Schönheit gegen Schleier-Polemik

Von Martina Zimmermann · 07.10.2012
Im zehnten Jahr fand in Paris bei der "Nuit Blanche" Kunst auf Straßen und Plätzen statt - an mehr als 100 Orten. Ein Höhepunkt war die Performance der aus Marokko stammenden Künstlerin Majida Khattari: "Dies ist kein Schleier".
Zu Beginn die Worte der Kultszene aus dem Film "Die Verachtung" von Jean-Luc Godard: Brigitte Bardot stellt Michel Piccoli eine Reihe von Fragen zu ihrem wunderschönen Körper, magst du meine Augen, meinen Hintern, meine Brüste...

Dann flimmern Cary Grant und Katherine Hepburn über die Leinwände, die entlang des Laufstegs aufgebaut sind. Hepburn trägt ein sexy Kopftuch. Weitere Filmausschnitte zeigen Schauspielerinnen mit Schal, Kopftuch oder Schleier, während über den Catwalk Mannequins laufen, von denen die Zuschauer nur die Köpfe sehen, mit Tüchern und Schals umwickelt. Ihre Körper sind hinter Tüchern verborgen, die rund um den Laufsteg aufgespannt sind. Die Silhouetten der Mannequins erkennt man durch die leicht durchsichtigen bunten Seidentücher, auf denen steht: "Das ist kein Schleier".

Majida Khattari erklärt den Sinn ihrer Performance:

"Wenn man alle diese Frauen in all diesen Filmen sieht, stellt man fest, dass der Schleier auch im Westen in der Öffentlichkeit getragen wurde. Er war meist sehr schön und störte niemand. Er hatte keine religiöse Bedeutung. Ich möchte darauf zurückkommen. Heute spricht man nur vom Schleier, nicht vom Kopftuch oder vom Schal. Aber ein Schal ist kein Schleier und beim Schleier denkt man sofort an Verschleierung und an den Islam. Aber das muss nicht so sein!"

So trug Catherine Deneuve in Luis Bunuels Film "Belle de Jour" – Schöne des Tages – in einer Szene einen schwarzen transparenten Schleier und sonst gar nichts!
Die Debatte um den islamischen Schleier hat den künstlerischen Werdegang von Majida Khattari bestimmt. Die Marokkanerin erinnert sich:

"Ich kam 1989 nach Frankreich, um Malerei zu studieren. Damals kam die Polemik um den Schleier auf. Ich habe die Situation nicht verstanden und arbeite seither an der Frage des Schleiers, weil das sehr kompliziert, sehr reich, sehr interessant ist."

Bereits auf ihrer ersten Performance an der Schule der Schönen Künste in Paris zeigt Khattari 1996 Tschadorfrauen ohne Gesichter. Sie nennt ihre Modelle Kleiderskulpturen und hinterfragt damit von nun an die Lage der Frauen in der arabischen und in der westlichen Gesellschaft, die Rolle des weiblichen Körpers, Zwang und Freiheit. Die Künstlerin macht auch Fotografien, Zeichnungen und Videoinstallationen, aber Aufmerksamkeit erregen vor allem ihre "Modenschauen" mit Titeln wie "VIP – voile islamique parisien", zu deutsch: islamischer Pariser Schleier".

Inzwischen werden die Shows in Pariser Museen oder im Centre Pompidou gezeigt. Eine besondere Ehre ist, dass die Performance gestern auf dem symbolträchtigen Place de la Concorde stattfand, wo einst der König geköpft wurde und wo am Nationalfeiertag die Militärshow endet.

Doch am Anfang blieben Majida Khattari wegen ihrer Thematik viele Türen verschlossen:

"Künstler sind dazu da, die Leute zum Nachdenken zu bringen und Ängste abzubauen. Deshalb ist es traurig, wenn künstlerische Institutionen Angst haben vor einer Debatte über den Schleier. Denn mit Kunst kann man die Diskussion interessanter voranbringen."

Unter den Zuschauern der Performance ist Veronique Rieffel. Die Direktorin des Instituts der Kulturen des Islam, in dem Majida Khattari mehrmals ihre Installationen zeigte, erklärt:

"In diesen Zeiten der Islamophobie bringt sie ein bisschen Heiterkeit, ein bisschen Humor und die Schönheit, und auch eine Distanz, um uns den Islam anders zu zeigen. Dass der Schleier ganz einfach eine Mode war, bevor er zu Burka oder Vollschleier wurde. Eine schöne Arbeit."

Die Idee für die Performance "Das ist kein Schleier" hatte Majida Khattari 2010, als sie die Seidentücher sah, die Daniel Buren für eine Luxusmarke entwarf. Von ihm übernahm sie die bunten Streifen auf ihren eigenen Tüchern. Ihre Inspiration kommt aber vor allem von den surrealistischen Gemälden eines René Magritte, der hinterfragt, was man sieht und was man denkt.

"Ich kritisiere die Extremisten, ob auf westlicher oder orientalischer Seite. Ich bin für die Freiheit, für die Freiheit zum Nachdenken, für die Freiheit der Kunst und der Kreation."
Majida Khattari mit Kopftuch tragendem Mannequin bei der "Nuit Blanche" 2012 in Paris
Majida Khattari mit Kopftuch tragendem Mannequin© Deutschlandradio - Martina Zimmermann