Schöner lernen

21.07.2009
Wie Schule Spaß machen kann, das beschreibt Ulrike Kegler in ihrem Ermunterungsbuch. Für die Schulleiterin der preisgekrönten Montessori-Schule in Potsdam gehört auch körperliche Betätigung zum Unterricht.
Wer schon immer einmal wissen wollte, was in dem Kopf einer Lehrerin, eines Lehrers vorgeht, der sollte zu diesem Buch "In Zukunft lernen wir anders. Wenn die Schule schön wird" greifen. Das ist das Thema, dem die Leidenschaft von Ulrike Kegler gehört. Die studierte Pädagogin ist seit 13 Jahren Schulleiterin der Montessori-Schule Potsdam, einer mit Preisen überhäuften Reformschule, die heute zu den sogenannten Leuchtturmschulen unseres Landes gehört. Es wird fächer- und klassenübergreifend unterrichtet. In die Rolle von Lehrern schlüpfen oft Experten: Theaterleute, Handwerker, auch Eltern.

Statt mit einem Klassensatz gleicher Lehrbücher nutzen die Kinder verschiedene Bücher, Lexika und neue Medien aus dem Studienraum, um jeweils ihren Fragen nachzugehen. Dabei stehen immer die Kinder und ihre individuellen Begabungen im Vordergrund dieser "schönen" Schule. Es war schön! Das sagen Kinder, wenn man sie nach ihrer Einschätzung einer Begebenheit fragt. Ein einfacher Satz, der gleichzeitig beinhaltet, ich habe etwas Besonderes erlebt und jemand glaubte an mich. Genau diese Erfahrung wünscht sich die engagierte Schulleiterin für ihre Schüler und Schülerinnen. Über Jahre baute sie ihre Schule um, änderte gemeinsam mit dem Kollegium, was ihnen missfiel. Bei und mit ihrer Arbeit wollten sie sich wohlfühlen. Wie nach und nach eine "schöne Schule" entstanden ist, beschreibt die Autorin lebendig und mitreißend in ihrem Ermunterungs- und Vorbildbuch.
Der Klassenraum ähnelt nicht länger einem Kirchenschiff, mit festen Bänken in Reih und Glied, dem Lehrertisch als der Kanzel und den Schülern als folgsame Horde. Für Ulrike Kegler ist Lernen eine bewegte und bewegende Angelegenheit und braucht Bewegung auch im Unterricht. Gerade weil die Mädchen und Jungen an ihrer Schule selbstständig zum Regal gehen und sich ihr Arbeitsmaterial holen, an Tischen im Flur oder auch auf dem Teppich liegend ihre Aufgaben lösen und nicht länger still sitzen, kehrt Ruhe in den Raum ein.

Jugendliche in der Pubertät werden nicht gezwungen, in die Einrichtung "Schule" zu gehen. In dieser Phase sind sie nicht offen für neuen Lehrstoff, suchen wirkliche Herausforderungen. Deshalb lernen und mehren sie ihr Wissen, indem sie körperlich tätig sind und ein der Schule überschriebenes Stück vernachlässigte Natur urbanisieren. Lehren ist eben mehr: fühlen, schmecken, greifen und eben auch begreifen.
Glaubhaft wird Ulrike Kegler in ihrem Buch, vor allem deshalb, weil sie Streitpunkte im Team benennt und von schwierigen Situationen erzählt. Etwa beschreibt sie einen unerfreulichen Morgen. An der Schule gab es viel ungebändigte Energie - beschmierte Toiletten und Krach. Die anstrengende Konferenz der Kollegen wies noch nicht den Ausweg und zu Unterrichtsbeginn fehlten viele Lehrer. In ihrer Not entschied sich die Schulleiterin, die Jahrgangsstufe 9 gemeinsam mit der klassenübergreifenden ersten bis dritten Klasse zu unterrichten. Sie forderte die Großen auf, die Kleinen in ihrem Lernen zu beobachten und erst dann zu entscheiden, ob sie ihnen Hilfe anbieten oder nicht. Eine Notlösung, die viel über die Besonderheit der Schule und deren Verständnis von Lernen verrät. Die Großen spürten, wie viel Respekt und Einfühlung es verlangt, einen Lernprozess zu begleiten. Und die Kleinen genossen die plötzliche Aufmerksamkeit der Großen.

Genau solche Momente machen Schule "schön". Oder da ist der Umgang mit Störenfrieden, die laut Ulrike Kegler, nicht per se nerven, sondern vielmehr eine sehr anstrengende Strategie für sich gewählt haben, Aufmerksamkeit zu erregen. Alternative Verhaltensformen werden gefunden, indem das Lehrerteam, begleitet von Experten und im Gespräch mit den Schülern immer wieder den Alltag an der Schule reflektiert und seine eigenen Bedürfnisse ernst nimmt. Zwischen den Zeilen des Buches ist förmlich zu spüren, wie Schüler und Lehrer aus solchen Nachdenken gestärkt hervorgehen und gerade deshalb einander wertschätzend und vertrauend begegnen können.
Ulrike Keglers Buch inspiriert Lehrer, aber auch Eltern. Denn vor allem Letztgenannte lernen zu vertrauen, dass in solchen Bildungsräumen, wie sie die Montessori-Schule eröffnet, mit Herz und Verstand gelernt wird, ohne Einbußen beim Lernen hinzunehmen. Sie erfahren, welch hohe und eigene Professionalität zum Lehrerberuf gehört. Die Art und Weise, wie sich Ulrike Kegler phantasiebegabt, ernsthaft und auch selbstkritisch mit ihrer Arbeit als Lehrerin und ihrer Schule auseinandersetzt gereicht einem ganzen Berufsstand zur Ehre.

Besprochen von Barbara Leitner

Ulrike Kegler: In Zukunft lernen wir anders. Wenn die Schule schön wird.
Beltz Verlag, Juli 2009, 256 Seiten, 19,95 Euro