Schön, aber giftig

Von Udo Pollmer · 28.08.2011
Das Hessische Ärzteblatt warnt vor einer giftigen Pflanze, dem Jakobskreuzkraut. Das breitet sich bei uns rasant aus. Auch wenn wir es nicht essen, so schlagen dessen gefährliche Substanzen dennoch bis in unsere Nahrung durch.
Man riecht sie nicht, man sieht sie nicht, aber wir essen sie trotzdem mit: die Gifte des Jakobskreuzkrautes. Das Kraut mit den hübschen gelben Blüten, das bis in den September hinein das Auge erfreut, mausert sich zum heimtückischen Killer. Immer häufiger verursacht es Vergiftungen von Nutzvieh, namentlich von Pferden und Rindern; auch beim Menschen sind vereinzelt Todesfälle dokumentiert.

Eigentlich ist das Jakobskreuzkraut ja eine alteingesessene Pflanze, die wie viele andere Wildpflanzen auch zum eigenen Schutz vor Fraßfeinden ein paar Gifte bereithält - die Pyrrolizidine, die vor allem der Leber übel mitspielen. Derzeit breitet sich jedoch das Kraut in Deutschland explosionsartig aus. Das liegt aber nicht am Klimawandel, sondern am Gesinnungswandel unserer Gesellschaft. Das Kreuzkraut wurde fleißig von öffentlicher Hand zur Straßenbegrünung ausgesät - zwecks naturnaher Artenvielfalt. Durch staatliche Subventionen für extensiv genutzte Flächen und durch Bioanbau fand das Kraut optimale Biotope in der Agrarlandschaft. Heute gibt es praktisch kein Zurück mehr: Die Samen bleiben etwa ein Vierteljahrhundert keimfähig.

Doch auch auf kreuzkrautfreien Weiden ist das Vieh nicht vor den Giften sicher, denn die Samen werden nach Art der Pusteblume vom Winde verweht. So gelangen sie ins frisch gemähte Heu und damit ins Viehfutter. Schlussendlich landen die Gifte in der Milch. Während sich dieses Risiko noch in Grenzen hält, einfach weil die Kuh vor dem Milchtrinker stirbt, sieht die Lage bei einem anderen Lebensmittel trüber aus. Denn die gelben Blüten sind eine beliebte Bienenweide, aber ihr Nektar ist hochgiftig. Den Bienen schaden die Pyrrolizidine natürlich nicht. Die Pflanze will sich ja nicht vor ihren Bestäubern schützen, sondern nur vor jenen Lebewesen, die herzhaft ins Grünzeug beißen.

Honig mit Pyrrolizidinen gibt es aber nicht nur bei uns. Eine aktuelle deutsche Studie, bei der Importhonig aus aller Welt überprüft wurde, fand in zwei von drei Proben Pyrrolizidine, wobei die höchsten Gehalte spanische und italienische Rohware aufwies. In einer Untersuchung deutscher Handelshonige fanden sich bereits bis zu einem halben Milligramm Pyrrolizidine pro Kilo. Das klingt nach wenig – ist aber ziemlich happig. In Pollen steckten sogar schon mehrere Gramm pro Kilo! Da genügen dann ein paar Löffelchen und ein paar Jahre später ist die Leber zerstört. Und keiner weiß warum. Pollen sind nicht nur im Honig, sie werden auch fleißig als Nahrungsergänzung geschluckt.

Im Vergleich zu handelsüblichen Pestiziden sind Pyrrolizidine Ultragifte. Nimmt man die Toxizität der in den Medien umstrittenen Pflanzenschutzmittel als Maßstab, wie Atrazin oder Glyphosat, das ist der Wirkstoff des Herbizids Roundup, dann braucht man von dem Zeug schon ein paar Gramm pro Kilo Körpergewicht, um ein Säugetier zu töten. Pyrrolizidine sind tausendmal giftiger, kein Pestizid kann mit dem Kreuzkraut mithalten. Sie sind ebenso wie DDT kumulative Gifte. Und sie werden wie Chlorpestizide auch über die Muttermilch ausgeschieden und erreichen so den Säugling.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung fordert aufgrund der extremen Giftigkeit sogar eine Nulltoleranz für Pyrrolizidine. Die Fachorganisationen auf dieser Welt wünschen sich eine Grenze von einem Zehntel Mikrogramm pro Tag – ein Mikrogramm ist wiederum ein Millionstel Gramm. Doch bis heute gibt es bei Lebensmitteln keine Höchstmenge, keine Kontrollen – rein gar nichts. Was der Bürger nicht weiß, macht den berühmten vorbeugenden Verbraucherschutz nicht heiß.

Das Gift ist – um die Sprache der Werbung zu verwenden – "rein pflanzlich". Für Naturstoffchemiker und Phytopharmakologen ist diese Auslobung schlicht ein Warnhinweis. Wenn fleißige Bienchen um bunte Blüten herumsummen, mag das zwar niedlich aussehen, es bedeutet aber für den Menschen noch lange nicht, dass das Ergebnis der Sammeltätigkeit auch für ihn bekömmlich ist. Mahlzeit!


Literatur:
Hüttich C: Jakobskreuzkraut, die gelbe Gefahr. Hessisches Ärzteblatt 2011; H.5: 273-276
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Kempf M et al: Pyrrolizidine alkaloids in food: downstream contamination in the food chain caused by honey and pollen. Food Additives and Contaminants 2011; 28: 325-331
Prakash AS et al: Pyrrolizidine alkaloids in human diet. Mutation Research 1999; 443: 53-67
Australia New Zealand Food Authority: A Toxicological Review and Risk Assessment. Technical Report Series No 2; 2001
Betteridge K et al: Improved method for Extraction and LC-MS analysis of pyrrolizidin alkaloids and ther N-oxides in honey: application to Echium vulgare honeys. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2005; 53: 1894-1902
Neitzke A, Berendonk C: Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea). Eine Giftpflanze auf dem Vormarsch. Herausgegeben von der Landwirtschaftkammer Nordrhein Westfalen, Münster, und dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, Recklinghausen, Juli 2011
Bundesinstitut für Risikobewertung: Nulltoleranzen in Lebens- und Futtermitteln. Positionspapier des BfR vom 12. März 2007
Edgar JA et al: Pyrrolizidine alkaloids in food: a spectrum of potential health consequences. Food Additives and Contaminants 2011; 28: 308-324
Molyneux RJ et al: Pyrrolizidine alkaloid toxicity in livestock: a paradigm for human poisoning? Food Additives and Contaminants 2011; 28: 293-307
Wiedenfeld H, Edgar J: Toxicity of pyrrolizidine alkaloids to humans and ruminants. Phytochemical Review 2011; 10: 137-151