Schnurrende Katzen im Radio

Von Jochen Stöckmann · 23.04.2008
Geräuschkompositionen, Klangskulpturen und digitale Musik – all diese Lautmalereien gelten als "Radiokunst". Einen Überblick über dieses Genre vermittelt die Ausstellung "Art on Air" in der Bremer Weserburg. Besonders interessant ist das dort entstehende "Radiokunst Archiv", das eine Fülle von Radiokunstwerken zugänglich macht.
Aus dem "Garten der Lüste" schallt es mit immerhin fünf Sopranstimmen, einem Tonband, der 16-Spur-Anlage, visuellen Einlagen und Aktionsmusik. 1982 in Form gebracht von Wolf Vostell. Mit expressiven Tuschezeichnungen und fein ziselierten Bleistiftdiagrammen umriss der Schöpfer der Fluxus Medienoper, wie er sich den Einsatz von Sängerinnen, Technik und Tonkonserven vorstellte. Daneben hängt in der Bremer Weserburg an der Museumswand ein regelrechtes Konstruktionsschema von John Cage, ein Plan, mit dem der Komponist die parallel aufgeführte Musik von 50 verschiedenen Spielorten zu einer Gesamtaufnahme vereinte – für pro musica nova, eines der wenigen Radiokunst-Festivals im Hörfunk der ARD:

Anne Thurmann-Jajes: " Dort beginnen sie auch – aufbauend auf der Erfindung des Tonbands – Soundcollagen zu machen. Das sind eigentlich die Anfänge, diese Intermedialität von Bildender Kunst, Musik und Literatur. Und die wollten das natürlich bekannt machen – und da war das Radio eine Möglichkeit. "

Wie Schriftsteller und Poeten, Performancepioniere oder Musikavantgardisten diese Möglichkeit seit den Sechzigern genutzt haben, dokumentiert Anne Thurmann-Jajes im Bremer Studienzentrum für Künstlerpublikationen. Da geht es um mehr als nur die Rundfunkarchive: Neben Fotos der Uraufführungen, Partituren oder CD-Booklets tauchen in einer Vitrine auch Kassetten auf, Eigenproduktionen von Bill Furlong etwa: Der New Yorker Audio-Dokumentarist führte ganz allein auf sich gestellt Interviews mit Künstlergrößen wie Marcel Duchamp, streifte aber auch für Befragungen durch die Straßen – und rief das Radio zum "klassenlosen Medium" aus:

Anne Thurmann-Jajes: " Die traditionellen Wege der Kunst zu verlassen, das geht in eine Demokratisierung der Kunst. Wo es auch in eine Vernetzung hineingeht, etwa mit den Kassetten: Die werden verschickt, es entstehen richtige Netzwerke unter den Künstlern. Also: das Radio wird eigentlich zum Kunstwerk, aber der Prozess des Radios – nicht das Gerät!"

Und die Institution, die öffentlich-rechtliche "Anstalt"? In ihrem Schatten – oder auch Schutz – konnte Heidi Grundmann vom österreichischen ORF 1987 immerhin das "Kunstradio" gründen. Sie kannte die Kassetten-Netzwerke, verhalf etwa dem US-Amerikaner Terry Fox zu einer Ausstrahlung seiner "Cat Purrs", Aufnahmen von elf schnurrenden Katzen, die elf konzentrische Kreise im Fußbodenlabyrinth der Kathedrale von Chartres versinnbildlichten – oder besser: vertonten und ins Ohr setzten:

Heidi Grundmann: " Es gab vor allen Dingen dann intern doch einiges Aufsehen, auch bei den Technikern, die damals noch in Person des Programm abgewickelt haben spätnachts, weil solche Töne erklungen sind. Die wussten nicht, was da los ist, weil plötzlich Katzen im Radio schnurren. "

Eine Erfahrung, die auch der Fluxus-Künstler Wolf Vostell aufgriff:

" Ja hört mal, was macht ihr denn da? Hier ist die Zentrale. Die Leute kommen alle und fragen, ob wir verrückt sind."

Verrückt mochte es schon sein, wenn eine spärlich bekleidete Dame in Bremen Ende der Siebziger ein Cello aus klirrendem Eis traktierte. Aber es war auch spektakulär, wie das Instrument langsam dahin schmolz – und dennoch hat kaum jemand hingeschaut:

Anne Thurmann-Jajes: " Es waren nicht die Massen, sondern es waren mal 20, es waren vielleicht auch mal 50 oder 100, die zum Beispiel bei Vostell bei der Aktion "umgraben" dabei waren. Es kann auch sein, dass in einem Konzert oder bei einer Aktion vielleicht nur 20 Besucher da waren - die aber dann trotzdem als ganz zentrale Werke in die Geschichte, in die Kunstgeschichte und Mediengeschichte eingegangen sind. "

Bei Vostell ging es um feine Mikrofondrähte, die auf einem Acker beim Umgraben Klingeltöne und Geräuschgewitter erzeugten. Eine jener Live-Aktionen, die damals nur selten aufgenommen, später kaum noch ausgestrahlt wurden – und die von Anne Thurmann-Jajes jetzt erstmals auf einem Computer-Server in der Bremer Weserburg für den gesamten deutschen Sprachraum zentral archiviert werden.

Anne Thurmann-Jajes: " Das beste wäre natürlich, wenn es öffentlich permanent zu hören wäre, aber aus rechtlichen Gründen ist das einfach nicht möglich. Und es ist schon ein Wunder, dass wir es schaffen, mit sehr vielen Rundfunkanstalten und Künstlern dieses Radiokunstarchiv hier im Museum überhaupt zur Verfügung zu stellen. Und damit zum ersten Mal die Möglichkeit bieten, dass einfach jeder hierher kommen kann und sich das hier anhören kann. "

Zum Beispiel, wie Ferdinand Kriwet im Sommer 1969 alles, aber auch wirklich alles sammelt, was in den USA zum Mondflug der "Apollo"-Mannschaft gesagt wird: Solch groß angelegte Projekte waren zumindest für ihre Verbreitung auf die Institution Rundfunk angewiesen – damals in den Siebzigern:
Heidi Grundmann: " Und es ist natürlich für die Radiokunst die Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Medium oder mit dem Sendemedium Radio nicht mehr der große Fokus. In der Zwischenzeit kann jeder selber Radio senden und kann sich weltweit bemerkbar machen. "

Aber nicht allein die Technik macht’s möglich. Beim Gang durch die Bremer "Art on Air"-Schau bleibt Heidi Grundmann vom Wiener "Kunstradio" vor einer Arbeit von Gottfried Bechtold stehen, einer Installation, mit der dieser Bildhauer bereits in den frühen Siebzigern die multimediale Maschinerie rund um das Telefon vorwegnahm – und all jenen eine Lehre erteilte, die, wie Heidi Grundmann sagt:

" Nicht sehen und nicht hören wollen, dass Radio sich auch verändert durch die Digitalisierung und durch das Internet. Dass "Radio" eben nicht mehr heißt, nur Sound zu produzieren, sondern für mehrere Plattformen gleichzeitig zu produzieren. Diese Veränderungen haben die Künstler damals schon gespürt."

Vor allem "on air", mit Hörbeispielen und Klangräumen, erweist sich das Museum als Zeitmaschine. Ganz im Sinne des Wiener "Kunstradio"-Essayisten Lucas Cejpek, dessen mahnende Schrift an der Wand da lautet: "Wo Radiokultur im Verschwinden begriffen ist, wirkt Radiokunst als Erinnerung."


Service:
Die Ausstellung "Art on Air - Radiokunst im Wandel" ist vom 26. April bis 24. August 2008 in der Bremer Weserburg zu sehen.