Schnulzenseligkeit zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit

Von Julia Eikmann · 17.06.2013
In die Riege der schillernden Gestalten namens "Dagobert" reiht sich jetzt ein weiterer Dagobert ein: der Schlagersänger aus den Bergen. Seine Geschichte ist so überzogen, dass man sie fast nicht glauben kann. Und seine Liebeslieder sind so ergreifend, dass man sie für blanke Ironie halten könnte.
Dagoberts Name steht nicht auf dem Klingelschild. Natürlich nicht. Es ist nicht seine Wohnung, er ist wieder einmal bei einer Freundin untergekommen, die zurzeit nicht in der Stadt ist.

"Bin vor zehn Minuten angekommen."

Der schlaksige, hochgewachsene Mann ist gerade erst von einer Konzertreise zurückgekommen. In abgewetzten Stiefeletten, das angeknautschte Hemd lässig in den hohen Bund der dunklen Stoffhose gesteckt, läuft er durch die Küche und kocht Tee.

Dagobert ist speziell. Nicht nur, weil er sich selbst einen Schnulzensänger nennt,…

"Ach, Schnulzen sind einfach Liebeslieder und ich schreib nur Liebeslieder."

…weil er offen zugibt, Fan der abgehalfterten Rock-Combo Scorpions zu sein, oder weil er ausschließlich in Klamotten 'rum läuft, die aus dem Filmfundus eines Nosferatu-Remakes stammen könnten.

"In den letzten Jahren hat meine Schwägerin mir ganz viele Anzüge genäht, einfach so, sie denkt sich dann so Klamotten aus, und ich trag die dann. Ich hab noch nie irgendwelche Kleider gekauft, das wär mir auch zu anstrengend, shoppen ist überhaupt nicht mein Ding."

Der Schweizer bringt eine Geschichte mit, nach der sich die Glitzerwelt des Pop-Biz die Finger leckt. Dagobert Jäger, 1982 als jüngstes von fünf Geschwistern in einem Dorf bei Basel geboren, behauptet von sich, bis zum sechsten Geburtstag ein glücklicher Mensch gewesen zu sein. Dann beginnt die Schulzeit.

"Das hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht, aber irgendwie gab es da keinen Ausweg und diese ganze Schulgeschichte ging 13 Jahre lang und zum Schluss war ich ein ganz schönes Wrack und hatte überhaupt keinen Plan fürs Leben."

Nur eines ist sicher: So soll es nicht weitergehen, Schluss mit Fremdbestimmung, lieber erst mal komplett aussteigen. Zwei Jahre lang haust Dagobert daraufhin im Proberaum von Freunden, in einem fensterlosen Keller unter einer Garage. Eine glückliche Zeit.

"Ich finde, Glück ist auch nicht so sehr von den Umständen abhängig, entweder man ist es oder nicht."

Hier lernt er, sich von seinen Existenzängsten zu befreien, dass Besitz auch eine Last sein kann. Er fängt an, die Instrumente im Keller auszuprobieren und Songs zu schreiben.

"Mit den Liedern hab ich nen Preis gewonnen. Obwohl die echt schlecht waren. Aber das ist ja egal, weil ich bin ja Schweizer und da gibt es Kulturgelder ohne Ende."

Die Hälfte des Preisgeldes wird der bis dato Mittellose in einen maßgeschneiderten Anzug investieren. A la Graf von Monte Christo, mit kurzer Taille und langen Frackschößen, den er noch heute vorzugsweise auf seinen Konzerten trägt.

"Und dann bin ich mit dem Geld in Berlin gelandet, da war auch noch so ein Atelieraufenthalt inbegriffen."

Nach einem halben Jahr in Berlin ist auch die andere Hälfte des Preisgeldes verfeiert. Und unglücklich verliebt ist der damals 22-Jährige auch noch. Er beschließt, sich für ein paar Wochen in die entlegene Berghütte eines entfernten Verwandten zurück zu ziehen, um sich konzentriert dem Komponieren zu widmen und die Wunden zu lecken.

Aus ein paar Wochen werden fünf Jahre, in denen sich Dagobert fast ausschließlich von Reis ernährt. In denen er über Wochen eingeschneit in seiner Hütte zubringt, im Kreis läuft und Lieder schreibt. Sehnsüchtige Lieder. Liebeslieder. Genau hundert Stück.

Schnulzenselige, bürgerliche Träume von Frau, Kind und dem Haus im Grünen.

Als die Plattenbosse von dem romantischen Schreiberling mit der charmanten Zahnlücke Wind bekommen, kraxeln sie reihenweise hoch in das Dorf in Graubünden. Sie erwischen den Einsiedler im richtigen Moment.

"Das war mir schon auch zu einsam, ich wollte dann wieder 'mal was anders, und als ich dann gemerkt hab: 'Da geht was, da gibt es Interesse von allen Seiten. - 'Dann mach ich jetzt das Gegenteil und werde reich und berühmt mit dem Scheiß.'"

Also kommt er vom Berg runter und zieht da ein, wo er keine Miete zahlen muss: im Hinterzimmer eines Cafés in Berlin-Mitte. Optimal für die Resozialisierung des abgebrannten Künstlers - und abends gibt es sogar noch die Reste des Tages zu essen.

Anderthalb Jahre kommt er im Café Ribo unter. Und gibt hier sein erstes Konzert. Ein erster kleiner Schritt auf dem Weg zu Reichtum und Ruhm.

"Ach, ich hab ja Geduld. Das ist ein längerfristiger Plan."

Die Richtung stimmt jedenfalls. Die Hallen werden größer. Und auch die Liebe hat der 30-Jährige mittlerweile gefunden. Geblieben ist der Leuchtkasten, den er als Dekoration für sein erstes Konzert gebaut hat: "Dagobert" steht in selbstbewussten roten Lettern darauf. Mehr als diesen Kasten braucht es nicht, wenn der Mann mit dem Gesicht eines Fotomodels, die Haare akkurat gescheitelt und zurück gegelt, in seinem altertümlichen Frack auf der Bühne steht. Und in einer Pose zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit sein Herz öffnet.