Schneller, besser, kreativer

29.07.2008
Eine Pille zum Wachhalten, eine für geistige Höhenflüge und eine zum Einschlafen - die Einnahme von Medikamenten, um jederzeit "on the top" zu sein, scheint sich immer weiter auszubreiten. Der Journalist Jörg Auf dem Hövel hat diese Angewohnheit kritisch unter die Lupe genommen. Er liefert spannende Einblicke in die Strategien der Pharmabranche und Wissenswertes über die Wirkung der Präparate
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Allzeit einsatzbereit, lautet heute die Devise für viele im Beruf. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, mindestens hundert Prozent Aufmerksamkeit sind gefordert. Wer auf Dauer "on the top" sein will, hilft da schon mal nach. Psychopharmaka, Kokain, Antidemenzmedikamente, Mittel gegen Schlafentzug und Beruhigungspillen, um wieder runter zu kommen.

Es ist heute nicht ungewöhnlich, Manager in Entziehungskliniken zu finden oder auf Kongressen Wachhalterpillen von einem Kollegen zu bekommen. Zwölf Prozent aller Wissenschaftler, so das Ergebnis einer Umfrage des Fachmagazins "Nature", nehmen Präparate, um länger arbeiten zu können und auf Dienstreisen keinen Jetlag zu haben.

Welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft? Ist der mit Medikamenten vermeidlich optimierte Mensch ein Opfer unserer modernen, hyperkognitiven Kultur?

Der Journalist Jörg Auf dem Hövel hat die aktuellen Entwicklungen in Sachen Gehirndoping jetzt genau unter die Lupe genommen. Das ist gut, denn Aufklärung tut hier Not. Was zurzeit unter dem Begriff "cognitive enhancement" in die Gesellschaft sickert, dürfte in seiner Tragweite so noch nicht wirklich erfasst worden sein.

Denn Psychopharmaka und andere Substanzen, die auf die Signalübertragungen im Gehirn Einfluss haben, beschränken sich nicht nur auf Spitzenkräfte in Industrie und Wissenschaft. Auch an Universitäten, Schulen und sogar in Kindergärten werden immer häufiger Substanzen für mehr Aufmerksamkeit und Leistungsvermögen eingenommen, haben aktuelle Umfragen ergeben. Es droht die Pharmakologisierung ganzer Bevölkerungsgruppen, warnt Auf dem Hövel.

Bestes Beispiel ist das Medikament Ritalin, dass Kindern mit ADHS, besser bekannt als Zappelphilippsyndrom, verabreicht wird, schreibt der Autor. Die Zahl der Verschreibungen hat sich in Deutschland allein innerhalb der vergangenen fünf Jahre mehr als verdoppelt. Pharmakonzerne produzieren heute so viel Methylphenidat wie nie, das ist die Grundsubstanz von Medikamenten wie Ritalin.

Detailliert erläutert Jörg Auf dem Hövel, welche Medikamente wie funktionieren, wie weit die Forschung ist und welche ökonomischen Interessen eine Rolle spielen. Spannende Einblicke in die Marketingstrategien der Pharmabranche, lassen den Leser staunen. Wer hätte gedacht, dass der Marketingetat der meisten Pillenhersteller deutlich höher ist, als der Etat für Forschung.

Jörg Auf dem Hövel schreibt kritisch, aber ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Anhand von Zahlen, Daten, Fakten erklärt er nüchtern, welche Substanzen verbreitet sind, was genau in den Laboren getestet wird und wie auf dem Gesundheitsmarkt neue Mittel etabliert werden.

Besonders beliebt ist die Erfindung neuer Krankheiten oder Störungen. Neuster Kassenschlager ist Mild Cognitive Impairment, kurz MCI genannt. Eine Art frühe Vorstufe von Alterdemenz, die sich schon bei 40-Jährigen diagnostizieren lässt, schreibt der Autor. Die Kriterien für die Diagnose sind schwammig. Gelegentlich etwas zu vergessen reicht schon aus, um MCI zu haben und Gedächtnispillen verschrieben zu bekommen.

Das verschiebt nicht nur den Grenzbereich zwischen Krankheit und Gesundheit, kritisiert Auf dem Hövel, sondern erweitert vor allem auch den Markt für Arzneimittel, die bislang nur bei Alzheimerpatienten oder anderen Formen der Altersdemenz verschrieben wurden.

Die damit verbundene Hoffnung ist groß: Steigerung der Intelligenz. Doch machen die Mittel tatsächlich schlauer? Ob Hydergin, Piracetam, Donepezil, oder Galantamin, alle Demenzmittel haben in Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt, resümiert Auf dem Hövel. Die Beweise für eine höhere Gehirnleistung sind spärlich. Oft ist nicht einmal klar, wie die Substanzen überhaupt im Körper wirken.

Und trotzdem, was wäre wenn sie dem Geist doch auf die Sprünge helfen? Die Verlockung ist groß. Auch der Autor kann ihr nicht widerstehen und testet im Selbstversuch. Jörg Auf dem Hövel schluckt zwei Demenzmittel, Donepezil und Ergolid, danach testet er ein Kräutermittel aus Asien (Gotu Kola) und versucht es noch mit einem Medikament gegen plötzliche Schlafattacken, dass Modafinil heißt. Bei allen Tests ist die Wirkung enttäuschend: keine geistigen Höhenflüge, notiert der Autor.

Die Selbstversuche sind ein interessanter Schachzug mit Überraschungseffekt. Eine gute Idee, nur leider bleiben die privaten Tests völlig kommentarlos. Kein einziges Wort darüber, wieso einige Substanzen gestestet wurden und andere nicht. Unklar bleibt auch, wie der Autor an die Mittel gekommen ist oder ob er einen Arzt konsultiert hat. Zwei, drei Sätze im Vorwort hätten dazu an Information schon genügt.

Doch vielleicht muss darüber schon gar nicht mehr sprechen, weil es anscheinend "normal" ist, sich für den Alltag zu dopen. Wenngleich der Effekt mehr als fragwürdig bleibt, die Tendenz ist eindeutig. Ob wir uns darüber im Klaren sind? Es scheint nicht so, schreibt der Autor.

Sein Fazit lautet: Die wahre Wirkmacht dieser Substanzen ergibt sich weniger im Gehirn der Menschen, als aus der kollektiven Beurteilung durch die Gesellschaft. Wer sich davon unabhängig, sein eigenes Urteil bilden will, ist nach dieser Lektüre bestens gerüstet.
Rezensiert von Susanne Nessler

Jörg Auf dem Hövel: Pillen für den besseren Menschen. Wie Psychopharmaka, Drogen und Biotechnologie den Menschen der Zukunft formen.
Heise-Verlag
196 Seiten, 18 Euro