Schnelldurchgang durch ein Jahrhundert

Rezensiert von Peter Urban-Halle · 10.10.2005
Zwei sonderbare Tode werden in dieser Erzählung gestorben, einer am Anfang durch eine Chaiselongue, die ein Möbelpacker fallen lässt, und einer am Ende durch einen wirklich unpassenden Nieser beim Fahren auf der Autobahn. Zwei Menschen werden aus dem Leben gerissen, obwohl sie in Peter Adolphsens "Brummstein" eine tragende Rolle spielen.
Aber allen anderen Figuren ergeht es kaum besser, auch wenn sie nicht unbedingt sterben müssen: Sie verschwinden ebenso unvermittelt, wie sie gekommen sind. Das Schicksal der Menschen interessiert den dänischen Schriftsteller nur am Rande.

Adolphsen verfolgt lieber das Schicksal eines walnussgroßen, vibrierenden Steins. Den hatte sich 1907 der Augsburger Amateurgeologe Joseph Siedler aus dem Fels des Hölloch bei Schwyz gehauen, weil er ihm den Beweis für eine unterirdisch lebende, intelligente Rasse zu liefern schien. Nach seinem Tod durch die Chaiselongue kommt der Brummstein zu seinem anarchistischen Neffen in Berlin, von dem zu dessen jüdischer Freundin, dann zu einem Hamburger Fundbürovorsteher und so weiter und so fort, bis er schließlich in Düsseldorf zum Kunstwerk erklärt wird und von einer gewissenhaften Kunsthistorikerin an seinen Herkunftsort, die Schweizer Höhle, zurückgebracht wird.

Peter Adolphsen, geboren 1972 in Århus und nach längeren Aufenthalten in Cordoba und Wien heute wohnhaft in Kopenhagen, ist ein langsamer Arbeiter. Er debütierte 1996 mit durchschnittlich zwei Seiten kurzen "Kleinen Geschichten", denen vier Jahre später ein zweiter Band folgte, der auch nicht dicker als 60 Seiten war.

"Brummstein" ist seine dritte Veröffentlichung, die im Deutschen auf luftige 90 Seiten gedruckt wurde (das Original hat nicht mal 70!). Adolphsen sagt, dass die schmale Erzählung ohne den schrulligen (und fünfmal so umfangreichen) Roman "Auricula" seines Landsmannes Per Højholt gar nicht zu denken sei. Gestohlen habe er die Idee des (2003 ins Deutsche übersetzten) Buches, dass die Reise eines phantastischen Elements durch Zeit und Raum Politik und Kulturgeschichte eines Kontinents präsentiert – bei Højholt sind es Ohren, bei ihm ist es der Stein.

Adolphsen beschränkt sich auf Deutschland, er streift Kaiserzeit, Revolution, NS-Zeit und Nachkriegszeit. "Brummstein" ist ein Schnelldurchgang durch ein deutsches Jahrhundert und dürfte das skurrilste Buch der Saison sein.

Peter Adolphsen: Brummstein
Erzählung. Aus dem Dänischen von Hanns Grössel
Nagel & Kimche, Zürich/München 2005. 91 Seiten. 11,90 Euro