Schnee über Afrika

Von Marc Dugge · 01.08.2011
Früher hat Guinea-Bissau vor allem vom Handel mit Cashew-Nüssen gelebt. Die Nüsse wachsen in dem westafrikanischen Staat zwar immer noch, doch das Geld wird inzwischen mit Kokain und anderen Drogen verdient.
Die Hauptstadt Bissau erinnert mit ihren buntgetünchten, verwitterten Häusern ein bisschen an Havanna. Wie auf Kuba fahren uralte Autos über Straßen, die vor allem aus Schlaglöchern bestehen. Die Bars sind auch spätabends noch voll. Menschen prosten sich zu, auf Creole und auf Portugiesisch - und trinken Schnaps, der aus Cashewnüssen gebrannt wird. Guinea-Bissau ist ein Stück Karibik mitten in Afrika.

Vor dem Großmarkt an der Avenida Amilcar Cabral hält eine neue, schwarz glänzende Mercedes-Limousine. Ohne Nummernschild. Marinegeneräle steigen aus, in leuchtend weißen Uniformen.

Dieses Auto passt nicht nach Bissau, wo Neuwagen Mangelware sind. Es passt genauso wenig hierher wie die neuen, opulenten Luxusvillen. Bissau verändert sich. Und Padre Domingos Cá, der Generalvikar der Diözese, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

"Der Drogenhandel ist deutlich sichtbar geworden. Das sind Leute, die man bis gestern noch kannte. Und die ganz plötzlich reich geworden sind. Wir nennen sie die 'Neuen Reichen von Bissau'. Man fragt sich schon, wie diese Leute zu Geld kommen konnten. Und da sprechen viele von Drogenschmuggel."

Auf diesem Gebiet kennt sich Lucinda Barbosa besonders gut aus. Sie ist Chefin der Kriminalpolizei. Ihr Büro befindet sich in einem gelben, baufälligen Haus im Zentrum der Hauptstadt Bissau. Zum Jobbeginn wurde ihr hier ein makabres Begrüßungsgeschenk vor die Tür gelegt: Die Leiche eines Kollegen. Irgendwann kamen dann die Morddrohungen. Doch das hat sie nicht abgeschreckt.

"Gott gibt mir die Kraft für meine Arbeit. Ich habe als Bürgerin dieses Landes und gläubige Christin eine Mission zu erfüllen. Wenn ich zu lange über Bedrohungen nachdenkem würde, würde ich meine Arbeit nicht machen können."

Als Lucinda Barbosa vor vier Jahren anfing, hatte die Kripo gerade mal 60 Mitarbeiter. Nur die Hälfte der Beamten trug eine Waffe. Handschellen gab es bei der Polizei ebenso wenig wie Helikopter oder Flugzeuge. Die Polizei besaß ein funktionstüchtiges Boot und gerade mal zwei Dienstwagen. Im ganzen Land. 2007 sorgte der Kokainschmuggel erstmals für größere Schlagzeilen. Und seitdem bekommt sie internationale Hilfe – vor allem aus Portugal, Brasilien und den USA. Aber die Probleme bleiben.

"Wir haben weiterhin nur wenig Personal und auch zu wenig moderne Technik, um wirkungsvoll zu ermitteln. Zum Beispiel können wir keine Telefone überwachen. Aber wir tun, was wir können. Wir hatten mit unseren beschränkten Mitteln relativ große Erfolge. Aber in dem Maße, in der wir den Kampf gegen den Drogenhandel verstärkt haben, haben auch die Drogenhändler ihre Methoden verfeinert. Und da kommen wir kaum gegen an."

Sie hätten es hier mit unbegrenzten Ressourcen zu tun, sagt Manuel Pereira, Leiter der Zweigstelle des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung.

"Die Drogenhändler können ein Flugzeug verbrennen, wenn sie es nicht mehr brauchen. Und Beamte sehr leicht bestechen. Insbesondere in Ländern, wo die Bezahlung bei, sagen wir, einem Dollar pro Tag liegt. Was Menschen übrig bleibt, ist die Würde. Würde, um sich dem Drogenschmuggel zu widersetzen – trotz aller Armut. Oder dem Club beizutreten."

Die UNO hat ihr Büro in Bissau 2008 geöffnet. Sie arbeitet mit Interpol und anderen Behörden zusammen, um dem Drogenschmuggel auf die Spur zu kommen. Offenbar mit Erfolg: Der "Club" der Drogenhändler wurde immer diskreter. Die Kokainfunde gingen zurück. Und Südamerikaner ließen sich nur noch selten in Bissau blicken. Doch Manuel Pereira ist überzeugt: Der Schmuggel geht weiter – vor allem auf den kleinen, unzugänglichen Inseln vor der Küste.

"Die Inseln sind wirklich ein großes Problem. Dort gibt es keine Sicherheitskräfte. Da sind nur ein paar Polizisten auf der Insel Bubaque – aber das ist es auch. Sie haben keine Boote, mit denen sie die Gewässer kontrollieren können. Und wir sprechen hier von über 80 Inseln, von denen nur 20 bewohnt sind! Es gibt Landebahnen, wo die Kleinflugzeuge landen können. Hier können die Drogen dann auf andere Flugzeuge oder Schnellboote verladen werden - ohne Kontrollen befürchten zu müssen."

Es gibt mehrere Wege, um die Drogen nach Europa zu schleusen. Kleine Mengen werden von Passagieren im Flugzeug transportiert. Auch gelangt Kokain über den Landweg via Nordafrika nach Europa. Ein besonders wichtiger Transportweg dürfte aber tatsächlich übers Meer gehen. Experten mutmaßen, dass größere Mengen in europäischen Fischtrawlern nach Spanien oder Portugal transportiert werden. Der Fischgeruch verhindere, dass Spürhunde die Drogen schnüffeln können. Und außerdem sei es aufwändig und teuer, solche Schiffe auseinanderzubauen.

Wie effektiv die Regierung gegen den Drogenschmuggel vorgeht, lässt sich aber leicht überprüfen: In Catió, einer Kleinstadt im Osten des Landes.

Wer lange in Catió lebt, kann tatsächlich auf trübe Gedanken kommen: Arbeitslosigkeit, Armut, Misere bestimmen das Leben der Stadt. Catió ist ein verlassenes Nest, in dem die Armut groß ist - und die Hoffnung gering. Wo jene den Ton angeben, die Geld haben. Und Geld lässt sich vor allem mit dem Drogenhandel verdienen.

Auch Amiva Gomes wird wütend, wenn sie über die Verhältnisse in Catió redet. Sie ist gerade mal 16, spricht aber schon mit dem Sarkasmus einer Erwachsenen.

"Eines unserer größten Probleme hier ist der Druck der anderen. Wenn ein Mädchen sich besonders gut anzieht, dann wollen andere das auch. Alle Mädchen wollen sich die Haare schön machen, feine Klamotten tragen. Aber das ist schwer - denn es ist teuer. Da muss man sich eben so einen reichen Typen angeln. Ich finde das furchtbar."

"Es ist so schwer, so ermüdend, hier zu leben. Alle Jugendlichen wollen weg. Es gibt nichts. Keine Straßen, keine guten Schulen. Politiker kommen nur im Wahlkampf her, anschließend vergessen sie uns. Alle Jugendlichen wollen weg."

"Die Bevölkerung zeigt Anzeichen der Resignation. Man nennt das in der hiesigen Sprache, dem Creole, "Djitukatem". Diesen Ausdruck kennt hier jeder. Er bedeutet: Es gibt keinen Weg, die Dinge zu ändern. Da bleibt einem nichts übrig, als die Arme zu senken."

Fafali Koudawo ist Dekan der Privat-Universität "Colinas do Boé" in Bissau. Gelehrte wie er sind rar in dem Land, dessen Bevölkerung zu mindestens 60 Prozent Analphabeten sind. Koudawo kommt aus Togo und gilt als einer der besten Kenner des Landes. Der Grund für die Resignation sei das Versagen der Politiker, sagt er. Denn die Guineer hätten jeden Glauben an sich verloren.

"Das Land ist durch Gewalt zur Unabhängigkeit gekommen. Und nicht durch Debatten, wie etwa der Senegal. 38 Jahre später sind in dem Land noch immer nicht alle offenen Rechnungen aus dem Krieg beglichen. Es gibt eine Tradition von Hass und Gewalt. Seit 40 Jahren hat Gewalt die Elite dieses Landes hervorgebracht!"

Diese Elite hat über Jahrzehnte vor allem von Staatsgeldern gelebt. Viele haben sich illegal daran bereichert. Das Geld kam auch aus den Industrieländern. Guinea-Bissau war zeitweise eines jener Länder, die den höchsten Pro-Kopf-Anteil an Entwicklungshilfe hatten.

"Diese Entwicklungsgelder wurde von der Elite abgeschöpft. Es wurde in Luxusvillen investiert – und nicht etwa in eine nachhaltige Entwicklung. Das hat die Geldgeber irgendwann genervt. Nach dem Ende des Bürgerkriegs, Anfang dieses Jahrtausends, wurde die Hilfe zurückgefahren. Die Elite musste sich aber irgendwie weiter finanzieren – also hat sie sich andere Einkommensquellen gesucht."

Die politische Elite hat die Türen für den Drogenschmuggel geöffnet. Aber sie brauchte dafür auch die Elite des Militärs. Die Generäle fanden zunehmend Geschmack an dem Geschäft mit dem Kokain - und haben schließlich selbst die Regie übernommen.

Kein Wunder, dass viele Guineer sich angewidert von der Politik abwenden und die Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse verloren haben. Aber nicht alle sind von der "Djitukatem", der Resignation, ergriffen worden. Nicht alle glauben, dass sich nur mit Drogen Geld verdienen lässt. Es gibt auch jene, die optimistisch sind – trotz allem. Und die anpacken wollen, damit Guinea-Bissau eine bessere Zukunft hat.

Die Clique der Weltverbesserer trifft sich in der Pizzeria. 15 sind sie, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. Und wenn alles gut läuft, dann sitzt hier in der Pizzeria die künftige Elite von Guinea Bissau.

"Rotaract" heißt die Jugendorganisation des Rotary Clubs. Sie organisiert Benefizveranstaltungen, Hilfskampagnen, Aktionstage in Schulen – auch zum Thema Drogen. Aber es geht um mehr als nur um Wohltätigkeitsarbeit, sagt Wirtschaftsstudent Domingo:

"Wir wollen die künftigen Führer des Landes ausbilden. Damit diese dazu beitragen können, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen."

Viele der Mitglieder von Rotaract haben im Ausland studiert. Sie sind zurückgekommen – und wollen sich nun gegenseitig unter die Arme greifen, um gemeinsam das Land nach vorn zu bringen und es nicht den Drogenbaronen zu überlassen. Juelma hat in Frankreich Marketing studiert. Ihre Zukunft sieht sie nicht auf einer schicken Avenue von Paris – sondern in den staubigen Straßen von Bissau.

"Ich bin in Europa nicht 'nützlich'. Europa ist gut entwickelt, Afrika noch nicht. Mein Knowhow wird hier gebraucht! Ich habe mir gesagt: Ich muss meinen Beitrag leisten – egal, bei welcher Bezahlung, selbst, wenn ich erst einmal Straßen kehren muss!"

Auch für Aissa war es keine Frage, zurück in die Heimat zu gehen. In Brasilien hat sie Management studiert – und sich auf Marketing in armen Ländern spezialisiert. Es sein in Brasilien toll gewesen, sagt sie. Immer hätten sie Strom und fließend Wasser gehabt.

"Manchmal spreche ich mit Menschen, die Guinea Bissau nie verlassen haben. Sie denken, die ganze Welt sei wie hier! Sie verstehen nicht, wenn ich ihnen sage, dass manche Dinge nicht richtig sind oder besser sein müssten – und sagen: Warum sollten wir dieses oder jenes ändern? Aber wenn man mit ihnen spricht, verstehen sie, warum. Schließlich will jeder besser leben."
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