Schnecke, Fuchs und Schwager Kronos

Von Sven Rücker · 20.04.2013
Ob im Schneckentempo oder im Geschwindigkeitsrausch - die Post ist mehr als ein Transportunternehmen. Träger unserer intimsten und gefühlvollsten Gedanken, aber auch behördlicher Zustellungen, wird ihr Eintreffen wahlweise herbeigesehnt oder gefürchtet.
Liebesbriefe und Gerichtsbeschlüsse werden von ihr gleichermaßen verschickt, und der Briefträger in bildender Kunst und Literatur positiv wie negativ verklärt als Unglücksbote oder Postillion d´amour.

Die Post ist aber nicht nur von Bedeutung für jeden einzelnen, sondern auch für die Gesamtheit. Ohne sie gäbe es keine Gesellschaft, keinen menschlichen Austausch. Ihre Geschichte, fast so alt wie die Menschheit selbst, ist voller Mythen - von den antiken und mittelalterlichen Boten über die gefahrvollen Reisen in den Postkutschen der frühen Neuzeit bis zur Weltraumpost für Außerirdische finden sich in ihr ebenso viele Beispiele heroischen Durchhaltewillens wie Unfälle und Katastrophen, begegnen sich staatstragende Figuren wie die fürstlichen Postunternehmer Thurn und Taxis und bizarre Randfiguren der Gesellschaft, wie die berüchtigten Postillons, die knorrigen Reiter des amerikanischen Pony Express oder singende und zaubernde Postboten.

Drei Stunden lang geben wir Nachricht von der Geschichte des Nachrichtenverkehrs und laden ein, zum Schwager auf die Postkutsche zu steigen, auf einen Ritt durch die Zeiten und Räume postalischer Zustellung.

Auszug aus dem Manuskript:

"Berliner Neueste Nachrichten" vom 31. Mai 1908:

Jedes Mal, wenn der Frühling ins Land kommt, ergreift die Reichspost der Schönheitsdrang und sie läßt sämtliche Briefkästen Groß Berlins neu anstreichen. Erst kommt ein Mann mit einem Topf blauer Oelfarbe und betätigt sich. Dann wird ein Zettel angebracht: 'Frisch gestrichen', und das Publikum ist gewarnt. Es ist ungemein schwierig, ja fast unmöglich, einen so frisch gestrichenen Kasten zu benutzen, ohne sich die Finger blau zu färben. Die größte Fingerfertigkeit versagt. Kein Absender kann garantieren, daß nicht beim vorsichtigen Durchschieben des Briefes der Umschlag eine blaue Zierde abbekommt, zur freudigen Überraschung des fernen Empfängers. Wer aber in Anbetracht dieser Schwierigkeiten auf den Gedanken kommen sollte, dass es noch mehr Briefkästen in Berlin gibt, der erlebt eine bittere Enttäuschung, er wandert von einem Kasten zum anderen, und frisch gestrichen sind sie alle. Nach acht Tagen kommt ein anderer Künstler und verschönt das Werk mit Goldbronze. Endlich ist noch der weiße Brief mit dem roten Siegel, der den Kasten oben symbolisch ziert, aufzufrischen. Dieser letztere Teil der Auffrischungsarbeit ist der überflüssigste, da man auch ohnedies weiß, daß es ein Briefkasten ist.


Manfred Stephan
Zahlreiche Kasten sieht man hängen
Kleine Kulturgeschichte deutscher Briefkästen.

Berlin 1989.


Auszug aus dem Manuskript:

Die Memminger Chronik, entstanden Ende des 16. Jahrhunderts, berichtet von den Ereignissen des Jahres 1490:

" In diesem Jahr fingen die Posten an, bestellt zu werden auf Befehl Maximilians 1. des Römischen Königs, von Österreich bis in Niederland, in Frankreich und bis nachher Rom. Es lag allweil 5 Meil Wegs ein Post von der andern, .... Und must alweg ein Post des andern warten, und sobald der ander zu ihm ritt, so blies er ein Hörnlein, das hört ein Bott, der in der Herberg lag und mußt gleich auf sein. Einer mußte all Stund ein Meil, das ist 2 Stund weit reiten, oder es ist ihm an Lohn abgezogen, und mußten sie reiten Tag und Nacht. Also kam oft in 5 Tagen ein Brieff von hier bis nachher Rom. "

Durch diesen Erlass entsteht zum ersten Mal seit den Großreichen der Antike ein zentral organisiertes Postwesen, dass darüber hinaus nicht nur die staatliche Post, sondern auch die Privatpost umfasst. Denn durch den chronischen Geldmangel der Staatskasse wurden die Taxis nicht immer regelmäßig für ihre Dienste bezahlt, sodass sie praktisch von Beginn an als Nebenverdienst auch private Post beförderten. Nicht zufällig fällt der Erlass Maximilians mit der Neu-Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahre 1492 zusammen. Bereits im 18. Jahrhundert wurden die Taxis vom Staatsrechtler Johan Jakob Moser mit Kolumbus verglichen - und das zu Recht. Der europäischen Expansion nach außen entspricht die Vereinheitlichung des Nachrichtentransports und damit eine Stärkung staatlicher Strukturen nach innen. Wenn Kolumbus und die ihm nachfolgenden Konquistadoren das religiöse Monopol, die Nachricht von dem Einen Gott als militante Briefträger in alle Welt versenden, sorgt die Familie der Taxis innerhalb des europäischen Großraums für eine Monopolisierung des Nachrichtensystems. Vor der Postmoderne liegt die moderne Post. Durch die organisierte Post entsteht der moderne Verwaltungsstaat. Der spätere absolutistische Staat wäre ebenso undenkbar ohne diese vereinheitlichte Post wie der noch spätere Nationalstaat.

Und genau so, als Monarchen der Nachrichten, als oberste Briefträger von Gottes Gnaden inszenieren sich auch die Taxis. Recht feist blickt uns Franz von Taxis aus einem zeitgenössischen Porträt entgegen, sein massiver Körper, der den Bildrahmen sprengt, in einen Pelz gehüllt, die wulstigen Finger, mit einem Goldring geschmückt, ruhen auf einem versiegelten Brief, daneben eine Schreibfeder und Münzen. In der anderen Hand ein Stab, an der Mütze sein Wappen - die Insignien des Postmeister-Standes. Wie versiegelt auch der Mund, eigentümlich klein, ein schmaler Schlitz, in den keine größeren Sendungen eingeworfen werden könnten. Und dennoch strahlt das gesamte Porträt ein Sendungsbewusstsein aus, den selbstsicheren Stolz eines Mannes, der beinahe den gesamten europäischen Nachrichtenverkehr kontrolliert. Diese Kontrolle erreichten die Taxis nicht zuletzt dadurch, dass sie selber gewissermaßen Posten bildeten. Die Ausbreitung ihrer Post ist gleichbedeutend mit der Ausbreitung ihrer Familie. Gottfried North beschreibt in seinem Buch über die Post die familiären Expansionsbewegungen der Taxis:

" Die verschiedenen Brüder, Vettern und Neffen lassen sich an der Wende des 15. zum 16. Jahrhundert und kurz darauf in Innsbruck, Augsburg, Füssen, Venedig, Mailand, Rom, Brüssel, Antwerpen und Spanien nieder. So dehnt sich die von den Taxis geschaffene Postorganisation von Deutschland und den Niederlanden über den gesamten Bereich des mitteleuropäischen Verkehrs aus, der Gebietserweiterung des Hauses Habsburg folgend, aber sogar über deren Territorien hinausgreifend. Diese Internationalität bringt die Fähigkeit zu Leistungen, die keine andere Postorganisation ersetzen kann. "


Gottfried North war ein deutscher Postbeamter, Philatelist und Postgeschichtler. Er war von 1962 bis 1985 Leiter des Bundespostmuseums in Frankfurt am Main und hat zahlreiche Schriften zur Postgeschichte und Philatelie veröffentlicht.


Auszug aus dem Manuskript:

Wie sah das Leben eines Briefträgers im 19. Jahrhundert aus? Mehr als sonst muss hier zwischen Schein und Sein unterschieden werden. Mit seiner oft prachtvollen Uniform machte der Briefträger Eindruck in einer Zeit, die ohnehin versessen nach Uniformen war. Die Bedeutung, die seine Tätigkeit sowohl für jeden Einzelnen als auch für die Gesellschaft insgesamt hatte, erhöhte ihn zusätzlich und sorgte bei vielen Briefträgern für den entsprechend gravitätischen Habitus. Wie dieser Habitus Einfluss auf seine Berufsausübung nahm, schildert exemplarisch Ludwig Anzengrubers 1876 erschienene Dorfgeschichte "Der Schandfleck":

" Der Föhrndorfer Briefträger war ein alter Mann und betrieb sein Amt mit Verstand. Er sichtete genau die ihm anvertrauten Briefschaften, ehe er sie in seine Ledertasche steckte, nicht nur nach ihren Adressen, denn das verstand sich ja von selbst, dass er seinen alten Beinen kein unnötiges Gelaufe zumutete und alles hübsch ordnete, wie es der Straße und der Nummer nach lag, sondern er unterschied sie auch ihrer Art nach. Postkarten händigte er ohne Bedenken den auf der Straße spielenden Kinder der Adressaten aus, denn die Postkarte galt ihm als der 'Arme-Leut' Brief' und wo die Kunden mit dem Porto sparten, da durfte es wohl auch der Bote mit den Schritten so halten. Dagegen verabsäumte er nie, einen rechtschaffen frankierten und ordentlich geschlossenen Brief den Leuten selbst ins Haus zu tragen... . Aber auch da unterschied er zwischen den nur zugeklebten und den mit einem Siegel versehenen Schreiben, die ersteren nahm er für leichte Ware, die kamen von fremd wo her, waren Allerweltsbriefe; wer Wichtiges... zu schreiben hatte, der sparte wohl die paar Tropfen Lack nicht..., dann wirkten schon außen die bekannten Wappen oder Buchstaben des Siegels wie ein Gruß und auch die Farbe des Lackes hatte ihre Bedeutung. "

Gerade in der ländlichen Umgebung, die Anzengruber schildert, konnte sich der Briefträger als Vertreter einer zentralen staatlichen Institution, die in seiner schimmernden Uniform verkörpert wurde, entsprechend inszenieren. Gut kann man sich vorstellen, dass seine Ankunft auf den Dorfstraßen ein Ereignis war - stand er doch für die weite Welt, von der er Nachricht brachte. Interessant ist Anzengrubers Erzählung aber nicht wegen der Beschreibung des typisch deutschen Beamten, der nach dem Prinzip 'Ordnung muss sein' seine Briefe sortiert. Interessant ist eher, wonach der Briefträger seine ausgleichende Ökonomie von Krafteinsatz und Briefart bemisst. Ihm kann es egal sein, welche Briefe er wie schnell oder präzise zustellt. Sein Gehalt bleibt so oder so dasselbe. Dennoch unterscheidet er genau zwischen wohlversiegelten, teuer oder wichtig aussehenden Briefen und Postkarten. Sparen sie an Porto, spare ich an Schritten, ist sein Motto - während mit teurem Lack und eingedrücktem Wappen versiegelte Briefe seine ganze behördliche Gewissenhaftigkeit auf den Plan rufen. Ohne dass ihm daraus persönliche Vor- oder Nachteile entstehen würden, reproduziert seine das Verhalten bestimmende Unterscheidung von "Arme-Leut-Briefen", "rechtschaffen frankierten Allerweltsbriefen" und "mit Wappen versiegelten Briefen" das Klassensystem. Insofern fungiert der Briefträger nicht zuletzt als Bote der gesellschaftlichen Ordnung, die er auch in die hintersten ländlichen Winkel trägt. Was er zustellt, sind nicht nur private oder behördliche Nachrichten, sondern die Ordnung der Standesgesellschaft selbst.

Ein noch radikaleres Beispiel postalischer Pflichterfüllung und Staatstreue findet sich in Guy de Maupassants Novelle "Die kleine Rocque".

" Der Briefträger Médéric Rompel, den die Leute in der Gegend vertraulich Médéri nannten, brach zur gewohnten Stunde vom Postamt...auf. Er machte große Schritte wie ein richtiger alter Soldat, ... ging über die Wiesen von Villaumes, um das Ufer der Brindille zu erreichen, das ihn ... zum Dorf Carvelin brachte, wo er mit der Verteilung der Post begann. "


Ludwig Anzengruber (* 29. November 1839 in der Alservorstadt von Wien; † 10. Dezember 1889 in Wien) war ein österreichischer Schriftsteller. Er gilt als bedeutender Dramatiker des österreichischen Volksstücks in der Tradition Johan Nestroys und Ferdinand Raimunds.

Ludwig Anzengruber
Der Schandfleck
Nachdruck des Originals von 1882
2013 Salzwasser-Verlag


Auszug aus dem Manuskript:

Ein alternatives Ende, das sich zu Eichendorffs Original verhält wie John the Postmans Punk zum Lied "Hoch auf dem gelben Wagen". Es bewirkt einen Filmriss in der romantischen Projektion und beschert dem reisenden Flug der Gedanken ein jähes Ende. Die pathetische Blase platzt. Aber auch der realistische Verweis auf die Amusikalität der Postillions kann nicht verhindern, dass die Analogie zwischen dem Klang des Posthorns und der Reise in die Ferne in gewisser Weise stimmig war. Denn seit der Neuzeit war der postalische Transport von Nachrichten zugleich der Transport von Menschen, und die Postkutsche stellte die einzige Möglichkeit dar, längere Reisen zu unternehmen.

Bedingung dafür war natürlich, dass überhaupt Kutschen zum Nachrichtentransport verwendet wurden. Der Beginn der sogenannten "Personenpost" um 1660 fällt daher zeitlich mit dem Übergang von Reit- zu Fahrposten zusammen. Erst mit der Verwendung von Kutschen war es möglich, auch Passagiere zu befördern. Und erst jetzt gilt die erweiterte Definition von Post, die das Zedler'sche Lexikon von 1741 wie folgt formuliert:

" Post, Cursus, Publicus heisset auch ein Wagen, welcher mit gleicher Geschwindigkeit durch Wechsel-Pferde Tag und Nacht fortgehet, und da Personen, Briefe und Güther mit fortkommen können.. [...] Wer geschwinde reisen will, nimmt die Post. Die Posten bringen neben der Bequemlichkeit für Privat-Personen, auch dem Landes-Herren mercklichen Nutzen. "

Ob die Fahrt mit der Postkutsche den Privatpersonen wirklich Bequemlichkeit brachte, wird noch zu überprüfen sein. Sicher aber ist, dass er den Landesherren oder sonstigen Eignern der Post tatsächlich Nutzen brachte. Schnell erwies sich die neue Einrichtung als äußerst profitabel. Die Kutsche musste ohnehin fahren, und wenn sie dabei auch Personen beförderte, die dafür zahlten, um so besser. Zu Recht konnte ein preußisches Memoire vom 8. Juli 1821 angesichts der Einführung der Schnellpost daher jubeln:

" Wir werden eine Posteinrichtung erhalten, die alle Bequemlichkeiten gewährt und die Reisenden, den Briefen gleich, so schnell den Ort ihrer Bestimmung bringt, als wenn sie mit Courierpferden reisen würden... Und wenn dafür gesorgt wird, dass von dem Reisenden nichts weiter als das Personengeld zu entrichten ist,... so werden diese Wagen immer besetzt und ebenso vorteilhaft für den Ruf unserer Posten, als für die Postkasse sein. "


Hoch auf dem gelben Wagen ist ein bekanntes deutsches Volkslied. Textgrundlage des Liedes ist das in den 1870er Jahren von Rudolf Baumbach (1840-1905) verfasste Gedicht "Der Wagen rollt" (Erstdruck 1879)

Walter Scheel - Hoch auf dem gelben Wagen 1974


Auszug aus dem Manuskript:

Die Postkarte, die ja einen Gruß darstellt, wurde auch nur noch beschrieben mit "Grüße aus...". Durch ihre codierte Sprache und ihren konsequenten Reduktionismus ist die Postkarte das Vorbild der heutigen E-Mail.
Es wäre allerdings völlig verfehlt, die Postkarte kulturpessimistisch zu diffamieren, wie es leider immer wieder getan wurde und wird. Weit entfernt davon, der Untergang der Schriftkultur zu sein, stellt sie vielmehr deren Modifizierung und Ausbreitung dar. Genau so wie das Reisen nicht mehr die Sache einer elitären Bildungsschicht ist, sondern zunehmend weiteren Teilen der Bevölkerung möglich wurde, endet mit der Postkarte auch der elitäre Zugang zur Schrift. Sie lässt sich daher vor allem als eine "Demokratisierung" des Briefverkehrs lesen. Durch ihre mehr oder weniger stereotype Sprache war nicht so viel Vor-Bildung erforderlich wie noch bei der exaltierten Briefkultur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Dadurch aber verringerten sich auch die weit verbreiteten Hemmungen, überhaupt die Schriftform zu verwenden. Und noch aus einem weiteren Grund stellte die Postkarte eine Demokratisierung dar, nämlich aufgrund ihres Preises. Sie war deutlich billiger als ein gewöhnlicher Brief. Um genau zu sein, kostete ihre Versendung nur halb so viel Porto, was auch den ärmeren Bevölkerungsschichten eine regelmäßige Teilnahme am Nachrichtenverkehr ermöglichte. Unter diesen Voraussetzungen war der Erfolg der neuen Nachrichtenform beinahe zwangsläufig. Schon 1879 wurden circa 123 Millionen Postkarten befördert, und bereits 1899 gab es allein von Paris 3000 Postkartenmotive. Und die bis heute größten Erbfeinde des deutschen Tourismus, die handtuchbewehrten Gegner beim Kampf um einen Platz an der Feriensonne, durften einmal mehr spotten, wie in diesem Artikel des "Standard" aus dem Jahre 1899:

" Der reisende Teutone scheint es als seine feierliche Pflicht zu betrachten, von jeder Station seiner Reise eine Postkarte zu schicken, als befände er sich auf einer Schnitzeljagd. Seine erste Sorge, nachdem er ein einigermaßen bemerkenswertes Reiseziel erreicht hat, ist es, ein Gasthaus zu finden, wo er abwechselnd sein Bier trinkt und Postkarten adressiert. "

Der reisende Teutone scheint sich zumindest in dieser Hinsicht kaum verändert zu haben. Von den Engländern lässt sich das nicht sagen, schließlich gehören sie heute zu den eifrigsten Kartenschreibern der Welt. Wehe, Sie haben einen englischen Freund und vergessen, ihm eine Weihnachtskarte zu schreiben.
Führte die Postkarte durch räumliche Verknappung und sprachliche Normierung einerseits zu einer weniger individuellen Nachrichtenkultur, so bot sie andererseits aufgrund ihrer Form auch neue Möglichkeiten des persönlichen Eingriffs. Am 3. Juni 1872, also bereits knapp 2 Jahre nach der Einführung der Korrespondenzkarte, wurde sie im Amtsblatt Nr. 41 nicht nur offiziell in "Postkarte" umbenannt, sondern auch der Weg für ihre kreative Gestaltung geebnet:

" Nach der Verordnung des Herrn Reichskanzlers vom 1.Mai beträgt das Porto für Postkarten (Correspondenzkarten) vom 1.Juli des Jahres einen halben Groschen. Vom gleichen Zeitpunkt ab soll gestattet sein, daß außer den bei den Postanstalten zu beziehenden Formularen zu Postkarten auch solche verwendet werden dürfen, welche das Publicum, je nach seinem Bedürfnisse, auf eigene Kosten sich herstellen läßt, oder bei Papier, Couvert oder sonstigen Fabrikanten entnimmt. "


Postkarten sind meist rechteckige Karten, in der Regel aus Karton, die als offen lesbare Mitteilungen per Post verschickt werden.


Auszug aus dem Manuskript:

" Eine sonderbarer Zug bewegte sich am 1. Dezember des verflossenen Jahres durch die Straßen Breslaus: ein Fest und ein Trauerzug war es zugleich, denn wohl schmetterten die Postillione zu Pferd...frische Fanfaren. Aber der 'Schwager', welcher in Gala-Uniform auf dem Bocke des dicht dahinter folgenden Personen-Post-Wagens saß, hatte Hut und Peitsche mit Trauerflor versehen. Diesem Wagen, welcher mit Blumengewinden geschmückt war, galt die Feier. Es war die letzte Breslauer Personenpost mit den letzten Passagieren, die man feierlichst eingeholt hatte. Dem offenen Wagen...folgten die Chefs und Beamten der Postbehörden, den Schluß des Zuges bildend. [...] Der Zug...nahm seinen Weg durch...die Vorstadt nach der Posthalterei, um hier der nunmehr durch das Dampfroß verdrängten letzten Breslauer Personenpost ihr Lebewohl zu sagen. "

So schildert uns ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 1887 die letzte Fahrt der Postkutsche. Ein festlicher Trauerzug, begleitet von den Honoratioren der Stadt, auf dem sich der Postwagen mitsamt seinen Passagieren selbst zu Grabe trägt. Ein letztes Mal schmettert das Horn sein Abschiedslied. Dem Schwager Kronos hat nun selbst das letzte Stündlein geschlagen. Der Schnecke folgt das Dampfross.

Und mit diesem Ende beginnt die lyrische Trauerarbeit, die das Vergangene, eben noch beschimpft, in dem Augenblick verklärt, in dem es vorbei ist. Mit dem gestern noch unerträglichen Schwager wird sich verbrüdert, die zuvor noch verspottete Schnecke erscheint im Angesicht der dampfenden Maschine plötzlich wie ein Himmelbett:

" Schöner wars, da Hörnerton / Durch die Gassen hallte; / Da der muntre Postillion / mit der Peitsche knallte. / Heute wie ein Vogelflug, / Wie ein Schwarm von Bienen / Eilts dahin. Am Eisenzug / Rasseln die Maschinen. "

Aber auch die Maschinen rasen geradewegs in den Untergang. Auch der neue Anfang entgeht seinem Ende nicht. Die Zukunft der postalischen Beförderung ist genau so dem Untergang geweiht, und, kaum hat sie begonnen, wird auch schon ihr Ende prophezeit:

" Kommt einst die Zeit, und sie wird kommen, / Da wir auf luftigen Bahnen fliegen / Wo nur der Aar den Flug genommen / Bis jetzt, und sich nur Wolken wiegen, / Dann wird uns selbst die Kraft des Dampfes / Schwach scheinen bei der neuen Praxis, / Wie die des Weiland Roßgestampfes / Der deutschen Reichspost Thurn und Taxis. "

Diese Nachrichten vom Ende des Nachrichtenverkehrs, wie wir ihn kennen oder erst kennen werden, sind nicht auf das 19. Jahrhundert beschränkt. So merkwürdig es auch erscheinen mag - das postulierte Ende der Post gehörte immer schon zur Geschichte der Post, und man findet es auch heute wieder, in den Zeiten einer zunehmenden Privatisierung und Zersplitterung der postalischen Beförderung. Fast scheint es, als könnte sich die sogenannte Postmoderne nicht nur dem Namen nach auf die tausendmal totgesagte Post berufen, und als hätte einer ihrer Hauptprotagonisten, Jacques Derrida, einen seiner Texte nicht zu Unrecht "Carte Postale", Postkarte, genannt.

Dass die Post alle Unkenrufe, ihr Ende sei gekommen, überleben wird, dass es immer irgend eine Form des Nachrichtenverkehrs geben wird solange es Menschen gibt, steht außer Frage. Aber dass zu ihren Sendeinhalten immer auch die apokalyptischen Reden vom Ende jeder Versendung gehörten, ist ebenso wahr. Wenn wir die Geschichte der Post - trotz einiger störender Nebengeräusche - in den ersten beiden Stunden hauptsächlich als Erfolgsgeschichte erzählt haben, als eine immer weitergehende Vereinheitlichung, Vernetzung und Verfeinerung des Transportwesens, wird es nun Zeit, auf die dunkle Seite der postalischen Beförderung zu blicken. Und das heißt - auf das Misslingen der Nachricht, auf die Botschaft, die zum Absender zurückkehrt, auf den Brief, der auf seinem Weg verändert wird oder verloren geht.

Nachricht von der dunklen Seite gibt auch der folgende gespenstische Postllion aus einem Gedicht von Joseph Victor von Scheffel:

" In der Nacht der Sonnenwend'/ Wo dunkle Schemen gehen, / Wir zwischen Erd' und Firnament / Ein fremd' Gespann gesehn. / Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt, / Laut schmettert Posthornton, / Als Geist kommt durch die Luft kutschiert / Ein greiser Postillion. / Fahl glänzt im gelben Sperlingsfrack / Thurn-Taxis' Wappenknopf; / Er raucht uralten Rauchtabak / Aus braunem Ulmerkopf. / Er raucht und spricht: 'O Erdenball, /Wie anders schaust Du drein, / Seit ich mit Sang und Peitschenknall / Reichspostdienst tat am Rhein! / O Zeit des Paßgangs und des Trabs, / Des Trinkgeld und des Trunks, / Des Poststalls und des Wanderstabs, / Des idealen Schwungs! / Jetzt geht die Welt aus Rand und Band, / Die Besten ziehn davon, / Und mit dem letzten Hausknecht schwand / Der letzte Postillion. "


Postkutschen waren von Pferden als Zugtiere gezogene Kutschen, die bis ins frühe 20. Jahrhundert von der Post zur Beförderung von Postsendungen und zahlenden Fahrgästen benutzt wurden.

Auszug aus dem Manuskript:

Trotz der Haager Konventionen, die ausdrücklich vorschrieben, Kriegsgefangenen Briefverkehr zu gestatten, hatte der Entzug von Kommunikationsmöglichkeiten System - insbesondere in den deutschen Lagern des 2. Weltkriegs und hier wiederum besonders drastisch in den Konzentrationslagern. In seinem Buch über den "SS-Staat" berichtet Eugen Kogon von den postalischen Zuständen in den Konzentrationslagern.

" Es durfte zweimal monatlich geschrieben werden... . Den Briefen war ein vielzeiliger, den Schreibraum weiter verknappender Auszug aus der Lagerordnung vorgedruckt, von der kein Mensch jemals ein Exemplar gesehen hat, derzufolge der Häftling im Lager alles kaufen konnte und daher auch Geld empfangen durfte. [...] Den Juden war es oft monatelang überhaupt nicht gestattet, zu schreiben; die Angehörigen der Strafkompanien durften es nur alle Vierteljahre. Über das gesamte Lager wurde von Zeit zu Zeit aus irgendwelchen Anlässen eine Briefsperre verhängt. Von der ankommenden Post erhielt der Häftling häufig nur zerschnittene Schnipsel oder den leeren Umschlag, während die SS den Inhalt zerrissen hatte. [...] Der Buchenwalder Blockführer Kubitz kam zuweilen mit der gesamten Post für den Block 36 an, zeigte den Stoß her, verlas die einzelnen Namen und steckte das ganze Paket mit den Worten: 'So, ihr Schweine, nun wißt ihr, daß ihr Post bekommen habt!' in den Ofen. [...] Dieser schleichende Nervenkrieg stellte eine der zermürbendsten Belastungen des Lagers dar. "

Hier zeigt sich, wie die Zerstörung des Nachrichtenkanals unmittelbar als Folter verwendet werden kann. Den Inhaftierten Briefe ihrer Angehörigen zu zeigen und sie dann vor ihren Augen ungeöffnet zu vernichten, ist eine besonders perfide Form des Terrors. Die Verwandlung eines Briefes in einen toten Brief coram publico nimmt die Tötung des Inhaftierten vorweg. In denselben Öfen, in denen die Briefe brannten, wurden später auch die Leichname verbrannt.

Dass es aber zumindest theoretisch doch möglich ist, tote Briefe in lebendige Nachrichten zurückzuverwandeln, zeigt der Film "Postman" aus dem Jahr 1997,mit Kevin Costner in Personalunion als Regisseur und Hauptdarsteller. Allerdings muss zugegeben werden, dass der Film selbst als lebendige Nachricht nur leidlich funktionierte. Das 3-stündige postalische Epos wurde nach seinem Erscheinen von den Kritikern zerrissen und fand auch an den Kinokassen seine Empfänger nicht. Mit 17,5 Millionen eingespielten Dollar bei Produktionskosten von 80 Millionen war er einer der größten finanziellen Flops der Kinogeschichte und nahm sogar an der Wahl zum schlechtesten Film des Jahrzehnts teil. Manchmal aber sind gerade die erfolglosesten Filme die aufschlussreichsten, und die Handlung von "Postman" hat es durchaus in sich.

Der Film spielt in einer postapokalyptischen Welt nach einem Atomkrieg. Die Gesellschaft ist zusammengebrochen, es herrscht Anarchie, die Menschen leben in verstreuten Siedlungen. Hauptcharakter von "Postman" ist ein namenloser Fremder, der sich als Wanderschauspieler mehr schlecht als recht durchs postatomare Leben schlägt. Auf einer seiner einsamen Wanderungen durch das verwüstete Land macht er schließlich eine Entdeckung. Durch Zufall findet er in einem Autowrack eine Postuniform und alte Postsäcke. Und da er Schauspieler ist, beschließt er sofort, eine neue Rolle einzunehmen, von der er sich Vorteile verspricht: die Rolle des "Postman". Er gibt sich als Postbote der "Wiederhergestellten Vereinigten Staaten von Amerika" aus, um sich in der befestigten Siedlung Pineview ein warmes Essen und eine Unterkunft zu verdienen. In voller Postmontur tritt er an das Stadttor.

"Ich bin Sheriff Briscoll und wer zum Teufel sind Sie?" "Ich bin ein Repräsentant der Regierung der Vereinigten Staaten, autorisiert durch die Verordnung 417 des wiedereingesetzten Kongresses mit der Aufgabe, den Briefverkehr in Idaho und Oregon sicherzustellen." "Und was heißt das im Klartext?" "Man nennt mich Postman." "Gib mir dein Gewehr." "He, warten Sie. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass jede Behinderung der Postzustellung ein bundesweites Vergehen ist. Im Übrigen verlangt das Bolden-Gesetz, dass ihr alle Briefträger mit Unterkunft und Nahrung versorgt." "Du hast 3 Sekunden, um deinen Arsch hier wegzuschaffen." "Okay, kennen Sie Jerry, den Bauunternehmer?" "1" "Na schön, warten Sie ne Minute. Ich hole ein paar Briefe aus meiner Tasche. Paul. Paul David, 124 Pieneview." "Hab nie von ihm gehört. Zwei." "Lilly Mayreno, 16 Lincoln Road." "Drei" "Äh. Irene March, 478, River Road."



Literaturtipp für die Kleinen
Pitje Puck - eine Kinderbuchserie rund um den Briefträger und Detektiv des Ortes Kesseldorf


Musikliste:

Titel: Trara, die Post ist da
Chor: Wiener Sängerknaben
Ensemble:
Orchester: Wiener Symphoniker
Komponist: Unbekannt
Label: Philips
Best.-Nr: S 06199 R

Titel: I cried all the way to Kentucky
Interpret: Alecia Nugent
Komponist: Dixie Hall, Tom T. Hall
Label: ROUNDER
Best.-Nr: 1166105662
Plattentitel: A little girl ... a big four-lane

Titel: Empty Old Mail Box
Interpret: Don rigsby
Komponist: Tom T. Hall, Dixie Hall
Label: White Eagle Music
Best.-Nr: keine

Titel: The wicked messenger
Interpret: Bob Dylan
Komponist: Bob Dylan
Label: COLUMBIA
Best.-Nr: 512347-2
Plattentitel: John Wesley Harding

Titel: Ich bin die Christel von der Post
Interpret: Erika Köth
Komponist: Carl Zeller
Label: ohne
Best.-Nr: keine
Plattentitel: Fernsehwunschkonzert

Titel: The Mail must go through
Interpret: Disney Children
Komponist: Larry Groce
Label: Disneyland
Best.-Nr: keine
Plattentitel: Disneys childrens Favorites Vol. I

Titel: aus: Winterreise, D 911 Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller (op. 89 Nr. 1-24),
Nr. 13: Die Post TEX: Von der Straße her ein Posthorn klingt
Solist: Hertha Klust (Klavier)
Ensemble:
Komponist: Franz Schubert
Label: ARCHIPEL
Best.-Nr: ARPCD 0178

Titel: Please Mr. Postman
Interpret: The Beatles
Komponist: Brian Holland, Frederick C. "Freddie" Gorman
Label: Parlophone
Plattentitel: With the Beatles

Titel: Hev yew gotta loight boy
Interpret: Allen Smethurst
Komponist: Rolf Harris
Label: Starline
Best.-Nr: SRS5063
Plattentitel: The Best of the singing Postman

Titel: Louie Louie
Interpret: The Clash
Komponist: Richard Berry
Label: Vinyl Bootleg
Best.-Nr: keine
Plattentitel: Louie is a Punkrocker

Titel: aus: Konzert für Horn und Orchester Es-Dur, KV 417 (Hornkonzert Nr. 2),
1. Satz: Allegro maestoso
Solist: Stefan Dohr (Horn)
Ensemble:
Orchester: Camerata Schulz
Dirigent: Emanuel Schulz
Komponist: Wolfgang Amadeus Mozart
Label: Camerata Tokyo
Best.-Nr: CM-28176

Titel: aus: Konzert für Horn und Orchester Es-Dur, KV 417 (Hornkonzert Nr. 2),
2. Satz
Solist: Stefan Dohr (Horn)
Ensemble:
Orchester: Camerata Schulz
Dirigent: Emanuel Schulz
Komponist: Wolfgang Amadeus Mozart
Label: Camerata Tokyo
Best.-Nr: CM-28176


2. Stunde

Titel: Hoch auf dem gelben Wagen
Interpret: Walter Scheel
Komponist: Heinz Höhne
Label: KOCH UNIVERSAL
Best.-Nr: 9837611
Plattentitel: Hoch auf dem gelben Wagen - die schönsten Volkslieder

Titel: Stagecoach
Interpret: Moonlight Howlers
Komponist: Jerry Goldsmith
Label: ohne
Best.-Nr: 7897766792
Plattentitel: aus: Rocket to the moon

Titel: Karma man
Interpret: David Bowie (voc)
Komponist: David Bowie
Label: Spectrum
Best.-Nr: 551706-2
Plattentitel: London boy

Titel: The Mail must go through
Interpret: Disney Children
Komponist: Larry Groce
Label: Disneyland
Best.-Nr: keine
Plattentitel: Disneys childrens Favorites Vol. I

Titel: Posthorn Galopp
Interpret: Heiko Herr, Bernd Karrer
Komponist: Johann Balthasar König
Label: B-ton
Best.-Nr: keine




Titel: aus: Konzert für 2 Corni da caccia, 2 Violinen und Basso continuo G-Dur, op 6,17
Solisten: Ludwig Güttler (Jagdhorn), Kurt Sandau (Jagdhorn), Roland Straumer (Violine), Michael Eckholdt (Violine)
Orchester: Virtuosi Saxoniae
Dirigent: Ludwig Güttler
Komponist: Valentin Rathgeber
Label: CAPRICCIO
Best.-Nr: 10238


3. Stunde

Titel: The old rugged cross
Interpret: Treme Brass Band
Komponist: George Bennard
Label: Unsere Stimme-Trikont
Best.-Nr: US-0234
Plattentitel: Dead & gone 1 - Trauermärsche/Funeral marches

Titel: (Ghost) riders in the sky
Interpret: Johnny Cash
Komponist: Stan Jones
Label: SONY BMG CATALOG
Best.-Nr: 708967-2
Plattentitel: Hit collection

Titel: Return to sender
Interpret: Elvis Presley
Komponist: Otis Blackwell, Winfield Scott
Label: RCA Records Label
Best.-Nr: 368079-2
Plattentitel: Elv1s (Elvis) - 30 No. 1 Hits

Titel: Take a message to Mary
Interpret: Bob Dylan (voc,g)
Komponist: Boudleaux Bryant, Felice Bryant
Label: COLUMBIA
Best.-Nr: 460112-2
Plattentitel: Self Portrait

Titel: 'Cross the green mountain
Interpret: Bob Dylan
Komponist: Bob Dylan
Label: COLUMBIA
Best.-Nr: 88697357972
Plattentitel: Tell tale signs: the bootleg series vol.8

Titel: The Mail must go through
Interpret: Disney Children
Komponist: Larry Groce
Label: Disneyland
Best.-Nr: keine
Plattentitel: Disneys childrens Favorites Vol. I

Titel: Trara, die Post ist da
Chor: Wiener Sängerknaben
Ensemble:
Orchester: Wiener Symphoniker
Komponist: Unbekannt
Label: Philips
Best.-Nr: S 06199 R

Titel: Posthorn Galopp
Interpret: Heiko Herr, Bernd Karrer
Komponist: Johann Balthasar König
Label: B-ton
Best.-Nr: keine



Auszug aus dem Manuskript:

Die Warnung des Physikers Stephen Hawking führt uns zu einer letzten Variante der toten Briefe, nämlich die Briefe, die den Tod mit sich tragen, also Briefe, die tödlich sind. Dass sich der postalische Weg aufgrund der Möglichkeit anonymer Zustellungen und der räumlichen Distanz zum Opfer für Attentate gut eignet, ist wenig überraschend. Allerdings ist diese Form des Attentats wenig zielgenau. Da Brief- oder Paketbomben meistens mit einem Zünder versehen sind, der beim Öffnen des Briefes die Detonation auslöst, treffen sie den, der den Brief öffnet. Ob dies dann auch die Zielperson ist, bleibt natürlich zweifelhaft, insbesondere dann, wenn es sich um eine prominente Persönlichkeit handelt, die über ein Büro verfügt, das die Post vorsortiert. Daher sind die Opfer von Briefbombenattentaten meistens auch nicht die eigentlichen Empfänger, sondern bedauernswerte, subalterne Büromitarbeiter oder Verwaltungsbeamte.

Die erste Briefbombe wurde 1904 von dem Schweden Martin Ekenberg verschickt und sollte den Stockholmer Unternehmer Karl Fredrik Lundin treffen. Ekenberg, der Erfinder der Briefbombe, war auch hauptberuflich Erfinder und Chemiker. Er brachte es im Zeitraum zwischen 1904 und 1909 auf insgesamt vier Paketbomben. Bekannter ist der amerikanische Mathematiker Theodore Kaczynski, in den Medien "Unabomber" genannt. Kaczynski, ein verwirrter Ökologe, der in den Wäldern lebte, verschickte zwischen 1978 und 1995 16 Briefbomben und zwang die amerikanischen Medien durch seinen Bombenterror zur Veröffentlichung seines antimodernistischen Manifests "Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft". Ebenfalls ein verwirrter Einzeltäter war der Österreicher Franz Fuchs, der in den 90er-Jahren an diverse Persönlichkeiten in Deutschland und Österreich Briefbomben sandte. Besonders sein postalisches Attentat auf den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, bei dem dieser sich schwer an der Hand verletzte, erregte einige Aufmerksamkeit. Fuchs, der aus rechtsextremen Motiven handelte und von einer "Bajuwarischen Befreiungsarmee" phantasierte, verletzte sich bei seiner Verhaftung an seinen eigenen Bomben und nahm sich schließlich in einer Gefängniszelle das Leben.

Auch in jüngerer Zeit haben Briefbomben wieder Konjunktur. Im November 2010 wurden mehrere Paketbomben an europäische Regierungschefs und Botschafter verschickt. Unter anderem erreichte eine auch das Kanzleramt mit dem Empfängernamen Angela Merkel. Als Absender war auf allen Paketen das griechische Wirtschaftsministerium verzeichnet. Die Bomben stammten wahrscheinlich von der anarchistischen Gruppe "Konspiration der Zellen des Feuers".

Nicht immer aber enthalten Briefbomben Sprengstoff. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die amerikanische Anthrax-Hysterie von 2001. Damals wurden Briefe mit Milzbranderregern verschickt. Diese Form einer postalischen bakteriologischen Bombe ist seltener, aber auch perfider, weil natürlich Erreger schwerer zu erkennen sind als Zündmechanismen. Dennoch haben B-Bomben in Form von Briefen eine lange Tradition - auch wenn sie nicht immer als Bomben intendiert waren. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in den Zeitaltern der großen Epidemien, war die Kontamination von Briefen gang und gäbe. Insbesondere Briefe, die durch Cholera-Gebiete gingen, stellten ein Problem dar. Um sie zu desinfizieren, verwendete man eine komplizierte Technik.

In Holzkästen oder kleinen Kannen wurde ein Eisenrost installiert. Ein vermummter Arbeiter griff mit einer langen Eisenzange die Briefe und breitete sie auf dem Rost aus. Unter den Rost stellte man eine Pfanne mit Essig und darunter eine weitere Pfanne mit Kohlenglut. Der durch die Hitze aufsteigende Essigdampf sollte die Briefe reinigen. Meistens wurden zusätzlich noch die Umschläge aufgestochen, damit der Dampf auch ins Innere der Briefe gelangen konnte. Ob diese Perforierung schon eine Verletzung des Briefgeheimnisses darstellte, ob die Kombination von Essig und heißem Rauch wirklich die Erreger abtötete und ob die Briefe nach dieser Prozedur überhaupt noch leserlich waren - all dies bleibt fraglich. Sicher aber ist, dass die Empfänger, sollten Sie Briefe dieser Art überhaupt noch erreichen, eine reichlich saure Nachricht zu lesen bekamen.

Eine Nacht über die Post kann natürlich nicht zu Ende gehen, ohne eine Aufforderung an Sie, dem Absender etwas zurückzusenden. Schreiben Sie uns Ihre eigenen, süßen oder sauren Erfahrungen mit der Post, oder ergänzen Sie das, was auf unserem langen Zustellungsweg verloren ging. Ob Sie den guten alten, klassischen Postweg benutzen oder eine E-Mail schreiben; wir versprechen Ihnen, dass keine Ihrer Nachrichten zu einem toten Brief wird. Für heute haben wir alles verschickt.
Briefkasten und Türklingeln eines Mehrfamilienhauses
Briefkasten und Türklingeln eines Mehrfamilienhauses© Deutschlandradio - Daniela Kurz
Arbeiter entleeren am Flughafen Köln/Bonn im Distributionszentrum eines Frachtdienstleisters die Faecher der automatischen Sortieranlage für Pakete und Briefe
Distributionszentrum am Flughafen Köln/Bonn© AP
Poststelle im Europäischen Parlament
Poststelle im Europäischen Parlament© AP