Schnaudertal in Sachsen-Anhalt

AfD wählen als "eine Art politische Notwehr"

Demonstranten halten am 26.08.2017 am Rande einer ahlkampfveranstaltung der CDU mit Bundeskanzlerin Merkel auf dem Marktplatz in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) Plakate der Partei Alternative für Deutschland (AfD).
Junge Frau aus Schnaudertal: "Die sollen mehr für unsere Kinder machen!" © picture alliance / dpa / Peter Gercke
Von Christoph Richter · 18.10.2017
Der lauschige Ort Schnaudertal liegt in Sachsen-Anhalt. Nirgendwo haben in diesem Bundesland so viele Menschen die AfD gewählt wie dort. Die Gärten sind gepflegt, die Häuser saniert. Doch es herrscht Frust und Resignation.
"Die sollen mehr für unsere Kinder machen ..."
... sagt die Mitarbeiterin einer Gutsfleischerei in Dragsdorf, einem Ortsteil von Schnaudertal. Auf die Frage, ob sie die AfD gewählt habe, zuckt die schlanke Frau nur mit den Schultern. Die Augen blitzen wütend, die Arme verschränkt sie vor der Brust. Das Mikrofon fürchtet sie wie den Bohrer beim Zahnarzt, weshalb sie immer weiter wegrückt.
"Für die ganzen anderen Kinder, die jetzt hineingekommen sind in unser schönes Deutschland, wird mehr gemacht."
Ihren Namen will die Anfang 30-Jährige nicht nennen. Wie so viele, die man fragt, warum die Menschen die AfD so attraktiv finden.
"Ich bin nicht unbedingt die Person, die sich ausdrücken kann, deswegen halte ich mich da lieber zurück. "

Sie sehen sich im Krisengebiet

Hans-Hubert Schulze, Bürgermeister von Schnaudertal in Sachsen-Anhalt
Hans-Hubert Schulze, Bürgermeister von Schnaudertal in Sachsen-Anhalt© Deutschlandradio / Christoph D. Richter
Ihr zur Seite springt der 61-jährige Bürgermeister Hans-Hubert Schulze. Schwere Schuhe und Tarnhose. Ein hemdsärmeliger Typ, seit 1994 ist er der Amtsleiter in Schnaudertal. Teil der Verbandsgemeinde Droysig-Zeitzer Forst.
"Ich muss mal der jungen Dame unter die Arme greifen, muss einfach mal sagen, was viele Leute bewegt: Jetzt kam die ganze Ausländerproblematik auf uns zu, ich bin schon ein humaner Mensch, aber dann waren auf einmal Milliarden da. Da fragt man sich, wieso sind nicht Milliarden da gewesen für unsere Schulen und Kindergärten, bloß um mal das Problem rauszugreifen. Und jetzt tauchen auf einmal Milliarden auf."
Einst war Hans-Hubert Schulze bei den DDR-Grenztruppen, hat Soldaten ausgebildet, später in Schnaudertal die Kneipe geführt, die längst geschlossen ist. Jetzt ist er Ortsbürgermeister, sieht seine Gemeinde abgehängt. Logisch, dass die Menschen da AfD wählen, sagt er. Die sehen sich im Krisengebiet.
"Der Personennahverkehr fährt nur noch ganz minimal. Wenn, dann nur noch mit Rufbus. Dann muss man einen Tag vorher anrufen, da schicken sie dann eine Taxe raus und holen die Leute ab."

Eine AfD-Hochburg in West-Deutschland ist das osthessische Neuhof bei Fulda. Ludger Fittkau berichtet:
Audio Player

800.000 Euro Steuer-Einnahmen hätte man, aber wenn man die Umlagen an den Landkreis und die Verbandsgemeinde zahlt, blieben noch 5000 Euro übrig. Das sei doch ein Witz, sprudelt es aus Schulze raus. Das wollen die Menschen nicht mehr.
"Die Verbandsgemeinde nimmt jetzt ihr Geld von uns. Der Gesetzgeber hat gesagt, die können nehmen, was sie brauchen. Und da nimmt man, was man kriegt. Wenn ich das mal mit einer Kuh vergleiche, muss ich sagen, die Verbandsgemeinde und der Burgenlandkreis melken eine Kuh und haben es nicht mal mitgekriegt, dass nicht mal mehr die Milch, sondern das Blut kommt."
Ortsvorsteher Schulze liebt die drastischen Bilder. Er steht im Amtszimmer, beugt sich über alte vergilbte Karten. Es riecht nach kaltem Rauch. Die Gemeindegebietsreform aus dem Jahr 2010, sie habe dem Ort das Genick gebrochen, sagt er.
Damals sind in Sachsen-Anhalt Kommunen entstanden so groß wie der Gaza-Streifen. Mancherorts müssen die Menschen, nur um die einfachsten Gänge zu erledigen, eine Stunde ins nächste Rathaus fahren. Das hat Folgen, negative Auswirkungen auf das Gemeinschaftsgefühl, Politikmüdigkeit stellt sich ein.
Weshalb gerade in den neuen Ortsgebilden der Populismus blüht, das zumindest sagen Wissenschaftler am Dresdner ifo Institut: "Dort, wo Kreise oder Gemeinden fusionieren, sinkt das Engagement der Bürger, es sinkt die Wahlbeteiligung – und es profitieren Populisten."

Für die Idylle blind

Schnaudertal liegt in einer sanft hügeligen Landschaft. Am Wegesrand stehen Apfelbäume, die Schnauder – ein kleiner Zufluss zur Weißen Elster – schlängelt sich elegant durch die Gegend. Wiesen und Maisfelder werden durch Wälder unterbrochen.
Doch für diese Idylle sind die Menschen blind. Sie haben Angst, sie wissen nicht, wie es weitergeht. Sie sind hochgradig erschöpft, empfinden sozialen Stress, weshalb sie die AfD wählen, sagt der passionierte Angler Hans-Hubert Schulze. Auch er hat überlegt, der Partei seine Stimme zu geben, doch der rechte Flügel um Björn Höcke, Alexander Gauland und André Poggenburg haben ihn davon abgehalten, erzählt er.
Aber er kennt sie, die AfD Wähler. Sehr gut sogar und aus nächster Nähe: Es sind die eigenen Kinder.
"Wobei ich aus der eigenen Familie auch sagen kann: Es sind ja keine rechten Bürger. Die haben einfach gesagt, wir haben die Nase voll. Über Jahre haben sie uns was versprochen. Vor der Wahl ist immer das Gleiche gewesen, nach der Wahl haben sie wieder alles vergessen."
Schulze nennt das Verhalten der AfD-Wähler in seinem Ort eine Art politische Notwehr. Die Politiker – so heißt es - sollen sich den abgekoppelten Regionen zuwenden. Das Credo laute:
"So wollen wir es nicht! Und da sind die Menschen im Osten sensibler als die Bürger in den alten Bundesländern."
Schnaudertal liegt am südlichsten Zipfel Sachsen-Anhalts, auf halber Strecke zwischen Leipzig und Erfurt. Andere sagen nur lapidar, auf der Landkarte liege es rechts unten.
"Und der Höhepunkt ist ja gekommen 2015, wo dann Frau Merkel mit ihrem Alleingang, wo die vielen Ausländer reingekommen sind, das hat bei den Leuten Angst verursacht. Richtige Angst. Die denken ja, jetzt fehlen schon Arbeitsplätze, jetzt werden wir wieder Arbeitsplätze los. Die Politik hat es nicht geschafft, unsere Bürger mitzunehmen."
Schnaudertal und die Ausländer. Sie macht man schnell für alles verantwortlich, auch wenn es kaum welche gibt. Das AfD-Wahlergebnis in Schnaudertal, aber auch die Erfolge in der Nachbarschaft, in Naumburg, Zeitz oder Weißenfels – sie liegen allesamt zwischen 25 und 30 Prozent.
Landrat Götz Ulrich wundert das nicht. Ein Christdemokrat, aber kein knallharter Konservativer:
"Ich hatte sogar die Befürchtung, dass die AfD hier sogar stärkste Kraft wird. Dass das nicht eintrat, hat mich schon erleichtert. Wohl wissend, dass drei, vier, fünf Prozent weniger als zur Landtagswahl nicht die Probleme gelöst haben."

Die Kanzlerin ist herzlich eingeladen

Die Politik müsse vielmehr als bisher mit den Menschen in den Dialog treten. Das sei doch eine der Lehren der AfD-Erfolge, sagt Landrat Ulrich. Vielleicht habe man doch ein wenig die Bodenhaftung verloren, ergänzt er noch ungewohnt selbstkritisch.
"Also die Politik, da nehm ich mich auch gar nicht aus, die neigt dazu, sich selbst zu bauchpinseln. Die Politikerkaste lädt sich gegenseitig ein, sind immer dieselben Personen, die aufeinandertreffen, sich gegenseitig auf die Schultern klopfen. Das geht ja bis zur Sprache, die dort gewählt wird."
Zurück ins lauschige Schnaudertal. Die Sonne scheint, die letzten Blätter an den Bäumen tauchen die Gegend in ein zartes Gelb. Die Gärten sind gepflegt, die Häuser saniert. Doch es herrscht Frust und Resignation.
"Nach der Wende ist vieles anders passiert, wie sich das viele in der ehemaligen DDR vorgestellt haben: dass die Arbeitslosenzahlen rapide nach oben gehen, dass die Menschen keine Perspektive sehen. Und dann resignieren viele und suchen sich eine Partei, die ihnen was bieten kann. Aber was gar nicht real ist. An die hängen sie sich, so ist das hier. Aber hier im Ort gibt es keine Rechten."
... sagt Ulrich Hartmann. Heute Rentner, früher Elektro-Installateur. Er trägt eine Outdoor-Expeditionsjacke, als habe er noch Großes vor. Seit 1950 lebt er in Schnaudertal, den Niedergang könne man aber seit 15 Jahren sprichwörtlich mit den Händen greifen, sagt er. Mit dem Geheul der Politiker über die AfD-Wähler könne er wenig anfangen. Sein Tipp: Die großen Parteien ...
"... die sollen mal wieder an der Basis horchen."
Kanzlerin Angela Merkel, sagt Rentner Hartmann noch, sie sei herzlich eingeladen, vorbeizukommen, um sich das alles hier vor Ort mal anzuschauen. Denn nur sanierte Straßen zu haben, das reiche nicht aus, schiebt er noch schnell hinterher:
"Sie könnte doch mal hier durchgehen."
Mehr zum Thema