Schmerztherapie

Gesundheitsexperte beklagt Unterversorgung

Ein junge Frau mit Verspannungen und Schmerzen im Halswirbelbereich.
Ein junge Frau mit Verspannungen und Schmerzen im Halswirbelbereich. © picture-alliance / dpa / Lehtikuva Marja Airio
Thomas Isenberg im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 17.09.2014
Mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäuser sind nach Angaben von Isenberg nicht in der Lage, eine Akut-Schmerz-Therapie anzubieten: "Dann irren die Patienten teilweise drei, vier Jahre durchs System, bevor sie in einer adäquaten Behandlung ankommen". Heute tagt in Berlin erstmals des Nationalen Schmerzforum.
Korbinian Frenzel: Wir kennen ihn alle als kleines Ärgernis: den Schmerz. Kopfschmerzen zum Beispiel, Gliederschmerzen, keine große Sache, und doch: Es gibt nichts Besseres als das Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt. Medizinisch betrachtet sind Schmerzen alles andere als eine Kleinigkeit. Es gibt Menschen, die leiden chronisch daran, und vor allem sie erleben, dass es hierzulande keinen vernünftigen Umgang mit diesem Problem gibt. Das zumindest sagt die Deutsche Schmerzgesellschaft, die jetzt mit anderen zum ersten Mal das nationale Schmerzforum einberufen hat in Berlin. Am Telefon ist der Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft, der Berliner SPD-Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg. Einen schönen guten Morgen!
Thomas Isenberg: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wenn Schmerzen ein so großes Problem sind, warum gibt es dann erst jetzt dieses Forum? Ihren Verband gibt es ja immerhin seit 40 Jahren.
Isenberg: Das ist richtig. Die Deutsche Schmerzgesellschaft ist eine medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft, die größte Fachgesellschaft Europas im Bereich Schmerz, und sie kommt eigentlich aus der Forschung. Die Wissenschaftler, das sind Ärzte, aber auch Psychologinnen, Psychologen, Physiotherapeuten, denn Schmerz muss immer mit vielen Professionen gemeinsam behandelt werden, haben gesehen, dass sie in der Wissenschaft vieles kennen, dass sie auch vieles in der Therapie umsetzen könnten, aber leider die Rahmenbedingungen so sind, dass viele Patientinnen und Patienten unnötig Schmerzen haben, und das muss sich ändern.
Und deswegen hat die Deutsche Schmerzgesellschaft gesagt, wir müssen uns mehr einmischen, da wo Versorgung gestaltet wird. Wir trommeln alles zusammen erstmalig in Berlin, über 60 Vertreter der Institutionen des Gesundheitswesens, der Hausärzte, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, um zu schauen, wo stehen wir und wie können wir endlich die vielfältigsten Baustellen koordiniert angehen.
Frenzel: Wenn Sie diese problematischen Rahmenbedingungen ansprechen, dann fangen wir mal bei der ersten Ansprechstelle für Menschen an: die Ärzte, dort, wo sie hingehen mit Schmerzen. Warum irren Menschen offenbar so lange umher, bis ihnen geholfen wird? Kennen sich Ärzte nicht genug aus mit dem Phänomen Schmerzen?
Mehr spezialisierte Ärzte und Psychologen
Isenberg: Doch, die Ärzte haben das in der Ausbildung grundsätzlich dabei, im übrigen allerdings auch erst jetzt ganz neu, dass im praktischen Jahr da ein Querschnittsbereich eingeführt ist, dass jeder Mediziner in der Ausbildung da systematisch auch noch mehr als in der Vergangenheit herangeführt wird. Dann landet man häufig bei einem niedergelassenen Arzt, der hat vielleicht auch erst mal eine akute Situation, die kann man ja erst mal auch klein an-therapieren, nur dann werden chronische Schmerzen häufig auch aus den kleinen Situationen. Das heißt, wenn Patienten länger – drei oder sechs Monate – Schmerzen haben, der Schmerz an eigener Bedeutung gewinnt, dann wird es häufig schwierig für die Patienten.
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass – deswegen sind wir auch froh, die Hausärzte an Bord zu haben –, dass wir schauen können, wie kann in der Erstversorgung die Therapie besser werden, wie können aber auch die Rahmenbedingungen, also häufig ist auch eine Langzeitverordnung von Physiotherapie notwendig, wie können die gesundheitspolitisch verbessert werden. Und dann die große Frage, wenn es eben dann Schmerzen sind, die spezialisierter oder gar chronisch sind, dann braucht man auch spezialisiertere Medizinerinnen und Mediziner und Psychologinnen und Psychologen, und davon gibt es eben leider sehr wenige, und dann irren die Patienten teilweise in der Tat drei, vier Jahre durchs System, bevor sie denn in einer adäquaten Behandlung ankommen.
Frenzel: Ich muss gestehen, ich hab erst in der Vorbereitung auf unser Gespräch richtig begriffen, dass Schmerzen nicht nur die Folge von Krankheit ist, also ein Symptom, sondern auch wirklich als Krankheit selbst gilt und gelten muss und angesehen werden muss, aber wahrscheinlich bin ich mit dieser, ja, freundlichen Ignoranz nicht alleine, oder?
Isenberg: Ja, man denkt bei Krankheiten erst mal an klassische Sachen wie Diabetes, Rheuma, Herzerkrankungen, nur der Schmerz, wie Sie eben am Anfang sagten, hat häufig eine Warnfunktion. Wenn es aber dann sechs Monate chronische Schmerzen werden, wenn der Schmerz einen so stark belastet, dass er in der Tat belastender ist als vielleicht die Grunderkrankung, dass man denkt, alles wird schlecht, ich verliere meinen Job, ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen kann, dann fixiert sich das Bewusstsein häufig auf diese Schmerzerkrankung.
Und insofern muss man alles tun, um hier zu einer besseren Therapie zu kommen. In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber auch auf Initiative der Deutschen Schmerzgesellschaft hin nachgebessert. Beispielsweise gibt es eigene Codierpositionen, die es denn auch möglich machen, in der Klinik und auch in der Praxis hier adäquater auch zu einer Leistungssteuerung zu kommen, aber insgesamt brauchen wir mehr strukturierte Infrastruktur, mehr spezialisierte Ärzte, mehr Kliniken, die eben auch zertifiziert sind, die auch nach einer besonderen Qualität – auch schon im Akutbereich übrigens – therapieren können.
Frenzel: Sie haben da jetzt schon viele Maßnahmen genannt, Sie möchten ja auch einen Aktionsplan aufstellen, der sich mit diesem Thema allumfassend beschäftigen wird. Wer ist denn da konkret gefordert? Ich frag erst mal Richtung Politik: Muss da was passieren?
Forderung nach Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Isenberg: Ja, da muss auf jeden Fall was passieren. Die Länder bundesweit sind beispielsweise in der Verantwortung der Krankenhäuser, und der offizielle Bericht der Bundesregierung zeigt ja, dass über die Hälfte der Krankenhäuser nicht eine Akutschmerztherapie haben, die adäquat ist, dass Patienten da unnötig leiden. Und da gibt es gute Initiativen, die die Krankenhäuser zertifizieren, wo Krankenhäuser besser werden, aber da machen leider nur fünf Prozent der Krankenhäuser bisher mit. Also ganz klar die Auflassung an den Landesgesetzgeber, jeweils hier auf die Strukturen Einfluss zu nehmen. Viele Krankenhäuser sind ja auch in Trägerschaft, nicht nur von privaten, auch von gemeinnützigen Organisationen, auch die könnten da einen neuen Fokus drauflegen. In der Selbstverwaltung der Ärzteschaft muss sich einiges tun.
Es gibt ja Ärzte, die noch eine Zusatzqualifikation im Bereich Schmerz haben, das sind leider viel zu wenige. Viele sind älter davon, wenn die in den nächsten Jahren ihre Praxis aufgeben, muss die Kassenärztliche Vereinigung eigentlich sicherstellen, dass wir keine weitere Unterversorgung im Bereich Schmerz haben, sondern dass die Nachbesetzung ausschließlich mit den entsprechend qualifizierten Therapeuten erfolgt. Da ist die Kassenärztliche Vereinigung in der Pflicht.
Ein jugendliches Mädchen mit Kopfschmerzen
Ein jugendliches Mädchen mit Kopfschmerzen© dpa/picture alliance/Frank Rumpenhorst
Die Länder können darüber hinaus wesentlich mehr als bisher in der Aufklärung tun. Wir haben festgestellt, dass beispielsweise bei Migräne und Kopfschmerz, aber auch bei anderen Prävention in Schulen wirkt, die Leute hinterher auch die Kinder wesentlich weniger hinterher Kopfschmerz oder Migräneerkrankungen haben, wenn man da gut gegensteuert. Und auf Bundesebene natürlich auch. Das Bundesgesundheitsministerium hat ja eine Vielzahl an Einzelmaßnahmen im Programm drin, das muss koordiniert werden. Wir brauchen endlich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die auch auf Bundesebene die Rahmenbedingungen verbessert.
Das hängt dann beispielsweise auch mit der Frage zusammen, dass die Versorgungsforschung ausgebaut wird, da, wo wir das neue Qualitätsinstitut jetzt demnächst haben auf Bundesebene, und da sind ja die Bundesverbände und das Bundesgesundheitsministerium mit am Tisch. Da muss auch eine entsprechende Forschungsprogrammatik aufgelegt werden.
Frenzel: Wir haben jetzt über die praktischen Fragen geredet, was passieren muss, wie sieht es denn mit den ethischen Fragen aus, also Beispiel lebensverkürzende Schmerzmittelbehandlung von Dementen, auch Schmerzmittelmissbrauch, den es ja gibt. Haben die behandelnden Ärzte da klare Richtlinien, oder muss da auch etwas passieren?
Isenberg: Also bei den Medikamenten ist es so, dass in der Tat manchmal Medikamente notwendig sind und auch oftmals ergänzend zu einer Therapie, aber ergänzend auch unerlässlich sind, aber wir haben auch die Situation, dass viele Patientinnen und Patienten, die chronisch schmerzkrank sind, erst mal quasi entgiftet werden müssen und neu eingestellt werden müssen in dieser multimodalen Therapie, wo die Physiotherapeuten, wo die Psychologen und die Ärzte eng zusammenarbeiten. Es gibt dort Leitlinien der einzelnen Fachgesellschaften, wie denn beispielsweise in der Langzeittherapie richtig zu verordnen ist. Die sind auch gerade überarbeitet worden. Da kann man sicherlich noch mehr als bisher tun, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, aber auch die Kliniker sich drüber unterhalten, wie diese Leitlinien optimal angewandt werden im Einzelfall. Der Gesetzgeber übrigens müsste hier auch nachbessern. Nicht nur beim Bereich Schmerz, bei allen Krankheiten ist es so, dass diese Leitlinien unheimlich viel Arbeit sind zu erstellen, und das machen einige Fachgesellschaften besser und unabhängiger als andere.
Also wer möchte, dass die Leitlinien auch extremst unabhängig von der Industrie gemacht werden können, weil es kostet viel Geld, der muss auch die Ressourcen bereitstellen. Das fehlt im Gesundheitssystem, da müssen Krankenkassen und die Gesundheitspolitiker an einen Tisch, damit die Fachgesellschaften und andere hier noch besser als bisher gute Leitlinienarbeit machen können.
Frenzel: Thomas Isenberg, der Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft, vielen Dank für das Gespräch!
Isenberg: Sehr gerne doch, einen guten Tag noch!
Frenzel: Heute findet auf seine Initiative hin das erste nationale Schmerzforum statt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema