Schlichte Antwort auf die K-Frage

Rezensiert von Simone Schmollack · 25.09.2011
Nicole Huber nimmt den "Familienfundamentalismus", wie sie es nennt, kritisch unter die Lupe und rechnet vor, was Kinderlose in die Staats- und Sozialkassen einzahlen müssen. Leider wartet sie auch mit Pauschalurteilen und Stammtischparolen auf.
Im vergangenen Jahr kamen in Deutschland so wenig Kinder zur Welt wie in keinem anderen Land der EU. Seit Jahrzehnten sterben hierzulande mehr Menschen als geboren werden. Solche Nachrichten erschrecken vor allem die Demografen. Nicole Huber indes dürften sie freuen. Sie ist bekennende Mutterschaftsverweigerin – eben "kinderfrei" und so provokant, wie es der Titel ihres Buches ausdrückt.

Darin debattiert die 36-jährige Regensburger Übersetzerin für Wirtschafts- und Rechtstexte all jene Themen, die mehr oder weniger mit der K-Frage – Kinder oder keine – zusammenhängen: besonderer Schutz von Ehe und Familie, Gleichstellung aller Lebensformen, Familienförderung, Kinderbetreuung, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik.

Nicole Huber mischt sich in einen wichtigen Diskurs ein. Dabei nimmt sie den "Familienfundamentalismus", wie sie es nennt, unter die Lupe: Warum wird von allen Menschen selbstverständlich erwartet, dass sie sich fortpflanzen? Warum wird immer so ein Wirbel gemacht um jedes neugeborene Baby? Und warum müssen sich vor allem Frauen, die sich nicht reproduzieren wollen, ständig fragen lassen: Und was ist mit dir? Klappt es nicht oder hast du keine Lust?

Das ist eine zutiefst private, intime Frage, die außer den Betroffenen niemanden etwas angeht. Es gibt viele Gründe, keine Kinder zu haben: fehlender Partner beziehungsweise fehlende Partnerin, Krankheiten, Alter, Karriereplanung. Oder schlicht ein Lebensentwurf, der sich nicht an Kindern orientiert. Dass ein solcher nicht gesellschaftlich akzeptiert wird, will Nicole Huber nicht hinnehmen.

"Kinderlosigkeit – genauer: freiwillige Kinderlosigkeit – ist eine Lebensform, die von der allgemeinen Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen ausgeschlossen ist. Kinder zu wollen ist ein Muss, und wenn es auf natürlichem Wege nicht klappt, ist man verpflichtet, alles in Anspruch zu nehmen, was die moderne Wissenschaft an Hilfsmitteln so hergibt."

Laut Statistischem Bundesamt waren 2009 rund 39 Prozent aller Frauen zwischen 31 und 35 Jahren kinderlos. Allerdings wollen nur 8 Prozent von ihnen kinderlos bleiben, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach herausfand. Warum klafft zwischen gewünschter und gelebter Realität eine solch große Lücke? Die Antwort ist schnell gegeben: In Deutschland ist es immer noch schwer, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.

Es fehlen Krippen, Kitas und Schulhorte. Und wenn es sie gibt, scheitern Eltern vielerorts an den ungünstigen Öffnungszeiten. Zu wenig Chefs lassen kreative Arbeitsbedingungen für Eltern zu. Es mangelt an Teilzeitstellen für Männer und an Führungspositionen für Mütter. Statt dessen gibt es das Ehegattensplitting, vom dem eine Partnerschaftsform besonders stark profitiert: nämlich die des männlichen, kinderlosen Alleinverdieners, dessen Gattin Hausfrau ist. Das alles weiß auch Nicole Huber:

"In Deutschland beobachte ich ein scheinbares Paradox. Einerseits hinkt Deutschland in Sachen Feminismus hinterher. Nach der Geburt eines Kindes landen Frauen immer noch auf dem beruflichen Abstellgleis. Mütter, die nach der Geburt früh wieder arbeiten gehen, werden als `Rabenmütter´ beschimpft. Bei den Müttern in meinem Bekanntenkreis überlassen die Männer die gesamte Erziehungs- und Hausarbeit – all die unangenehmen Aufgaben – den Frauen."

In ihrem Buch rechnet Huber vor, wie viel Steuern und Sozialabgaben Familien und Singles zahlen. Ein kinderloses Ehepaar, bei dem beide Partner arbeiten und in etwa das Gleiche verdienen, zahlt laut Huber doppelt so viel in die öffentlichen Kassen ein wie eine vierköpfige Familie.

Bis hierhin kann man der Autorin folgen. Leider aber wartet sie den größeren Teil des Buches mit Pauschalurteilen, Stammtischparolen und Argumentationsketten auf, die an Schlichtheit kaum zu überbieten, zudem ethisch fragwürdig und oft sogar falsch sind. Nicht selten spricht aus den Zeilen der Autorin Sozialneid:

"So muss auch die kinderfreie Verkäuferin mit ihrer Zweizimmer-Mietwohnung und ihrem 15 Jahre alten Auto einsehen, dass es nur gerecht ist, wenn sie dem Manager und Familienvater das Eigenheim mitfinanziert und dafür sorgt, dass die elementarsten Menschenrechte des Sohnemanns nicht dadurch verletzt werden, dass er zum Geburtstag nicht jeweils den neuesten iPod geschenkt bekommt."

Dabei sei noch nicht einmal klar, behauptet Huber, dass der Zahnarzt-Sohn später überhaupt in die Rentenkasse einzahlt. Vielleicht gefällt ihm die Rolle des arbeitsscheuen Sozialschmarotzers oder die eines Kriminellen ja einfach besser. Und überhaupt: So eine Schwangerschaft ruiniere nur die Figur und ein kleiner Schreihals die Paarbeziehung:

"Die körperlichen Leiden bei der Geburt, der mögliche Verlust sexueller Erregung durch eine Weitung der Vagina, das Eingeständnis, dass die Beschäftigung mit Kleinkindern einen halbwegs intelligenten gebildeten Erwachsenen vor Langeweile die Wände hochtreiben kann – all das ist kein Thema für die Medien."

Einfältiger als Hubers Thesen sind nur noch die Zitate ihrer Protagonisten. Da sagt zum Beispiel Sara, dass ein Kind mit ihren Genen wahrscheinlich shopping-süchtig wäre. Und Saras Verlobter, der auch keine Kinder wolle, könne keine Windeln wechseln. Er komme ja kaum mit dem Katzenklo zurecht. Caro, eine andere Kinderlose, meint:

"Leute, die Eltern werden wollen, sollten lieber ein Kind adoptieren, wo es doch so viele Kinder gibt, die kein Zuhause oder ein schlechtes haben ..."

Zum Schluss macht Huber noch das ganz große Fass auf: Es gebe ohnehin schon zu viele Menschen auf der Welt, das schaffe unendliche soziale, ökonomische und ökologische Probleme:

"Wenn es wenigstens gelänge, das Absinken der Geburtenrate so weit zu beschleunigen, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 statt auf 9,1 Milliarden nur auf 8 Milliarden anwächst, ließen sich die Herausforderungen der Zukunft wesentlich leichter bewältigen."

Da wundert es nicht, dass Nicole Huber den Stopp der Reproduktionsmedizin fordert und Verständnis für Arbeitgeber zeigt, die junge Frauen bei einem Bewerbungsgespräch am liebsten fragen würden, ob sie Kinder bekommen wollen.

Was soll der ganze Quatsch? Möglicherweise will Nicole Huber zum Thilo Sarrazin der Kinderlosen avancieren. Aber selbst dieses armselige Ziel wird sie vermutlich verfehlen.

Nicole Huber: Kinderfrei oder Warum Menschen ohne Nachwuchs keine Sozialschmarotzer sind
Herbig-Verlag München, 2011
Cover Nicole Huber: "Kinderfrei"
Cover Nicole Huber: "Kinderfrei"© Herbig Verlag