Schleswig-Holstein

Am äußersten Ende des Weltmeeres

Das Modell eines Wikingerbootes hängt in den Räumen des Wikingermuseums in Haithabu in der Nähe von Schleswig. Das Modell eines Wikingerbootes hängt am 23.03.2010 in den Räumen des neu gestalteten Wikingermuseums in Haithabu in der Nähe des schleswig-holsteinischen Schleswig.
Das Modell eines Wikingerbootes hängt in den Räumen des Wikingermuseums in Haithabu in der Nähe von Schleswig. © picture-alliance / dpa / Carsten Rehder
Von Claus-Stephan Rehfeld · 05.09.2014
Die sagenumwobenen Wikinger bieten viel Erzählstoff. Ihre damals bedeutende Siedlung Haithabu ist heute ein wichtiges Bodendenkmal Schleswig-Holsteins. Der Prähistoriker Claus von Carnap-Bornheim kennt die Geschichten, die mit den archäologischen Schätzen verbunden sind.
Haithabu ist dabei – bei der großen Wikingeraustellung Berlin, bei der Bewerbung als Weltkulturerbestätte. Die Wikingerausstellung war erst in Kopenhagen, dann in London, nun also Berlin ab 10. September im Gropius Bau. Und die Bewerbung – Wikingerkultur als gemeinsames Weltkulturerbe – läuft auf Hochtouren. In Zusammenarbeit mit Island, Dänemark und Norwegen. Wikingerausstellung und Weltkulturerbebewerbung sind bestens geeignet, um mit dem immer noch gängigen Klischee über die alten Nordmänner aufzuräumen. Waren sie wirklich kriegerischer als andere Reiche und Könige in ihrer Zeit? Oder wirkt da noch immer christliche Geschichtsschreibung nach? Die Geschichte der Wikinger gibt also viel Stoff her. Dies wusste schon der Diplomat At-Tartuschi im 10. Jahrhundert zu berichten, dort "am äußersten Ende des Weltmeeres". Und dies bestätigt auch gerne Claus von Carnap-Bornheim, Direktor des Archäologischen Landesmuseums Schloß Gottorf in Schleswig. Nur einen Steinwurf entfernt liegt Haithabu, wo Claus-Stephan Rehfeld mit ihm die Geschichte und die Geschichten der Wikinger abschritt.
Der See ist ein Meer: Die Schlei
Claus von Carnap-Bornheim: "Im Grunde genommen stehen wir in diesem Moment an einem der westlichsten Punkte der Ostsee. Und einer dieser Arme, die in das Land hineinreichen, der Ostsee ist eben die Schlei. Das ist, vom Charakter her ja so: ein bisschen wirkt es ja wie ein See, so ein holsteinischer See, aber im Grunde genommen ist das hier Ostsee. Und ich finde, es ist ein wunderschöner Platz, der den Kopf so ein bisschen öffnet in Richtung Ostsee und Richtung und für uns doch auch in der Wikingerzeit, die große weite Welt, und auf der anderen Seite wieder zeigt, wie wunderbar die Landschaft hier ist und wie sich Landschaftsgeschichte eigentlich auch an diesem Punkt so widerspiegelt."
Also, der See ist Meer.
Carnap-Bornheim: "Der See ist ein Meer und das Meer ist ein See hier."
Der Limes der Wikinger: Das Danewerk (1)
Claus von Carnap-Bornheim: "Ja, zwischen der Schlei im Osten, die wir ja gerade besucht haben, und der Nordsee, die sich hier in 30 km Entfernung befindet von uns, nach Westen gesehen, befindet sich die sogenannte Schleswiger Landenge. Und dieser Bereich, der zwischen der Treene dann, die zwischen der Nordsee und uns hier im Moment liegt, und der Schlei, dieser Bereich wird durch ein gewaltiges Sperrwerk abgeschnitten. Das ist das Danewerk mit zwölf, vierzehn Meter hohen Wallzügen, die als lineare Elemente schnurstracks durch die Gegend laufen."

Die leitende Archäologin Astrid Tummuscheit und der Leiter des Archäologischen Landesamtes, Claus von Carnap-Bornheim, stehen am 26.09.2013 an einem Teilstück des Verteidigungswalls Danewerk auf der Ausgrabungsstätte bei Dannewerk (Schleswig-Holstein).Die leitende Archäologin Astrid Tummuscheit und der Leiter des Archäologischen Landesamtes, Claus von Carnap-Bornheim, auf der Ausgrabungsstätte des Verteidigungswalls Danewerk  in Schleswig-Holstein
Claus von Carnap-Bornheim und die Archäologin Astrid Tummuscheit auf der Ausgrabungsstätte des Verteidigungswalls Danewerk in Schleswig-Holstein© picture-alliance / dpa / Benjamin Nolte
Zitat aus König Göttriks/Godofrids Fahrt nach Haithabu (2)
"Godofrid aber (…) nahm die Kaufleute … mit sich fort und fuhr dann mit dem ganzen Heere zu Schiff nach dem Hafen Sliesthorp. Hier blieb er mehrere Tage und beschloss, die Grenze seines Reichs nach Sachsen zu mit einem Wall zu schirmen, in der Weise, dass von dem östlichen Meerbusen, den jene Ostarsalt nennen, bis zum westlichen Meere, dem ganzen nördlichen Ufer der Eider entlang, ein Bollwerk reichte, nur von einem einzigen Tor unterbrochen, durch das Wagen und Reiter hinaus und wieder hereinkommen könnten. Nachdem er nun dieses Werk unter die Anführer seiner Truppen verteilt hatte, kehrte er nach Hause zurück." (3)
Archäologisch kontaminierte Kulturgrenze: Haithabu
Carnap-Bornheim: "Jetzt gehen wir hier im Bereich des Nordtores von Haithabu auf einer eisernen Treppe, die hier auf den mächtigen Halbkreiswall aufgelegt ist, auf dem Halbkreiswall von Haithabu, den Stadtwall von Haithabu, der hier um 950 nach Christus errichtet worden ist. Das ist ein Wall, der eine Höhe von 12 bis 14 Meter hat, in ausgezeichnetem Erhaltungszustand ist und der auf mehr als einen Kilometer Länge halbkreisförmig, wie so ein geschwungener Bogen, die Siedlungsfläche von Haithabu umfasst.
Die ist ca. 24 ha groß. Das ist also schon was! Ein stattliches Areal, das in der Wikingerzeit zwischen 800 und 1066, das ist das historisch überlieferte Datum für die Zerstörung Haithabus, eigentlich das Zentrum der Wikingerzeit hier im Westen der Ostsee war.
Alles, was hier vor uns liegt, ist archäologisch kontaminiert. Hier gibt es keinen Quadratzentimeter, in dem nicht irgendetwas verborgen ist. Hier standen Häuser. Hier sind Wegeverläufe. Hier haben Handwerker gearbeitet. Und den Archäologen geht’s eigentlich im Grunde genommen wie den Menschen, die Radio hören. Wir müssen uns immer vorstellen, was unter der Erde verborgen ist.
Und vor meinem Auge entsteht an so einem Platz, so einem Hafenplatz, entstehen auch die Kneipen und die Plätze, an denen die Fahrensleute zusammenkommen und sich über ihre letzten Reisen nach Nowgorod oder nach Skiringsal, nach Norwegen, oder vielleicht kommt auch der eine oder andere mal hierher, der schon in Island, Grönland oder vielleicht sogar in Nordamerika gewesen ist.
Wir müssen uns ja vergegenwärtigen, dass sich diese Welt der Wikinger, die maritim geprägt ist, die also von der Seefahrt lebt oder geprägt ist, ungeheuer weit aufspannt. Das ist ja eigentlich fantastisch."
Zitat: Kaufmann Ottars Reise von Skiringssal nach Haithabu um 870/90
"Und von Skiringssal, sagte er, dass er in fünf Tagen zu dem Hafen segelte, den man Haithabu nennt, der liegt zwischen den Wenden und den Sachsen und Angeln und gehört den Dänen. Als er dorthin von Skiringssal segelte, da war vor ihm an Backbord Dänemark und an Steuerbord die offene See drei Tage lang; und dann, zwei Tage bevor er nach Haithabu kam, war ihm an Steuerbord Jütland und Sillende und viele Inseln – in diesen Landen wohnten die Angeln, ehe sie hierher ins Land kamen – und die zwei Tage waren ihm an Backbord die Inseln, die zu Dänemark gehören." (4)
Die Suche nach Geschichte und Geschichten: Überraschungen
Carnap-Bornheim: "Für diese Seehandelsplätze, denke ich, ist ganz entscheidend, dass das die Orte sind, an denen die mündlichen Traditionen zusammenkommen, die Erzählungen, die Erfahrungen. Hier sind auch die Plätze, wo Menschen sind, die verschiedene Sprachen sprechen. Die Slawen, die aus dem Osten kommen, treffen hier auf die Sachsen und Franken, die aus dem Südwesten kommen. Dann natürlich die Skandinavier, die hier skandinavische Sprachen sprechen – dänisch, altdänisch –, und natürlich auch die Friesen, die so ähnlich gesprochen haben, wie wir es heute noch in der friesischen Sprache an der Westküste Schleswig-Holsteins erleben können. Also, diese Plätze sind auch, wir nennen das, multilingual. Das heißt, hier werden unterschiedliche Sprachen gesprochen."
Was wie eine Heidelandschaft anmutet, da war Stadt.
Carnap-Bornheim: "Da war Stadt. Vor uns auf dieser Wiese war Stadt. Wir wissen auch, wo die Straßenzüge verliefen. Wir haben hier eine sogenannte geophysikalische Prospektion durchgeführt (…) und uns den Stadtplan von Haithabu entwickelt."
Sollten Sie mal veröffentlichen.
"Wo ist der Marktplatz von Haithabu?"
Carnap-Bornheim: "Den haben wir in Ansätzen schon veröffentlicht. Aber was vielleicht die größte Überraschung war und für mich auch sensationell, dass parallel zum Küstensaum eine große Straße verlaufen ist. Also, wir haben eine Hafensituation mit Landungsbrücken. Und diese Landungsbrücken erlauben das Anlegen der Schiffe. Und am Ufer parallel verläuft eine Straße. Ich nenne sie immer die Hafenstraße von Haithabu. Und das macht ja logistisch auch ganz viel Sinn. Um die Landungsbrücken, die rechtwinklig vom Ufer in das Wasser hinausreichten, untereinander zu verbinden, brauche ich eine Straße. Und solche Hafenstraßen kennen wir auch zum Beispiel vom antiken Thessaloniki oder anderen Stellen. Und erst hinter dieser Hafenstraße entwickelt sich im Grunde genommen das chaotische Stadtbild.
Ganz, ganz wichtig für die Topografie von Haithabu, und das war auch eine große Überraschung: Ich persönlich hatte immer damit gerechnet, dass wir hier im Zentrum der Stadt irgendwo einen Marktplatz finden anhand der geophysikalischen Prospektion, also anhand dieses Röntgenbildes. Meine Vorstellung war, vom Hafen würden sternförmig Straßen auf einen Marktplatz hin verlaufen. Aber in dieser Zeit hat es in Haithabu keinen Marktplatz gegeben.
Die Frage war dann: Wo ist der Marktplatz von Haithabu? Und als wir die ersten Landungsbrücken, die wir aus den Ausgrabungen von 1979 und 1980 nachgebaut haben und erstmal deren riesige Dimension wahrgenommen haben, war uns auch klar, wo der Marktplatz von Haithabu war. Die Landungsbrücken, die hier von meinem Vorgänger, Herrn Schietzel, ausgegraben worden sind, waren zum Teil bis zu 40 m lang und 20 m breit - 800 Quadratmeter eine Landungsbrücke in einem System von sicherlich mehr als 20 oder 30 Landungsbrücken.
Und wofür brauche ich so eine große Fläche? Die brauche ich natürlich dazu, um die Schiffe zu entladen und den Handel voranzutreiben. Also, der Marktplatz von Haithabu befindet sich auf den Landungsbrücken oder befand sich auf den Landungsbrücken. Die Stadtstruktur benötigt keinen Marktplatz.
Und das ist natürlich, das ist für uns eine sehr, sehr große Überraschung gewesen, der Beweis dafür, weil wir dann auch verstanden haben, wie das Fundmaterial im Hafen zustande gekommen ist. Im Hafen liegen nämlich ganz viele Münzen. Warum? Weil die durch die Ritzen der Landungsbrücken ins Wasser gefallen sind. Und jedes Mal hat – 'Scheiße, jetzt ist meine Münze ins Wasser gefallen' … Also, wir können das Fundmaterial in den Strukturen wunderbar erklären dadurch. Und deswegen ist Haithabu eine Hafenstadt im Binnenland, weil der Handel auf, unter anderem eben ganz eng an den Hafen gebunden war, an die Landungsbrücken, die hier ab 820/830 schon entstanden sind. Und damit haben wir einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was hier in der Stadt selber geschehen ist.
Für den König ist es günstiger, wenn er außerhalb wohnt. Der muss hier nicht in diesem Gelände innerhalb der Stadt wohnen, wo er gefährdet ist möglicherweise, wo Handel und Wandel für viel Hektik und Unruhe sorgt. Dann ist es besser, außerhalb zu wohnen und die Dinge von außen her zu kontrollieren."
Zumal der Halbkreiswall auch relativ spät erst angelegt wurde. Da war es ja noch ungeschützt und lag ja vor dem Danewerk.
Ausgangspunkt christlicher Missionierung
Carnap-Bornheim: "Richtig. Also, das ist eine ganz wichtige Komponente, die Sie ansprechen. Der Halbkreiswall, auf dem wir hier stehen, der deckt nur die letzten 150 Jahre der 300-jährigen Geschichte, die hier vor uns liegt, ab. Es gibt verschiedene Argumente und Komponenten, die wir zusammentun können, um festzustellen, dass oder folgern zu dürfen, dass die politische Macht sich hier nicht konzentriert hat.
Anders ist es mit religiöser Entwicklung. Hier in Haithabu wissen wir, dass Ansgar (5) in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts angekommen ist, dass er hier eine Kirche gebaut hat und hier die Missionierung auch in Richtung Schweden entwickelt hat. Das war nicht immer erfolgreich. Letztendlich setzt sich der christliche Glauben hier erst um 948, also ein Jahrhundert später endgültig durch. Aber hier ist auch der Punkt, an dem religiöse Geschichte und Missionierungsgeschichte für den Norden stattfindet."
Hier ist der Ausgangspunkt für die Nordmissionierung.
Carnap-Bornheim: "Sicher, ganz richtig. Und warum? Also, das finde ich auch eine sehr interessante Geschichte. Die Missionierung, das ist ein spezielles Missionierungsmodell. Wenn wir an die Missionsreisen im Süden denken, dann wandern die Mönche von Dorf zu Dorf und missionieren dort. Hier der Ansgar, der kommt bewusst in die städtischen Zentren. Der reist nach Haithabu und nach Birka, also er versucht, diese Menschen hier zu überzeugen – natürlich, weil er hier besonders viele Menschen antrifft im Sommer.
Aber ich glaube, es gibt da auch einen mentalen Aspekt. Die Händler sind sicherlich religiös sehr flexibel gewesen, weil sie sich ja in unterschiedlichen Religionssystemen bewegen mussten. Wenn sie nach Nowgorod gereist sind, sind sie in das Umfeld der griechisch-orthodoxen beeinflussten Kirche gekommen. Wenn sie hier nach Franken, ins Frankenreich gereist sind, sind sie mit einer Kirche konfrontiert, die mit dem Papst in Rom zusammenhing. Und die skandinavischen Händler mit ihrem Glauben an Thor und Odin, die sitzen da so mitten drinne. Und ich glaube doch, das ist meine Interpretation, dass sich da auch so ein gewisser religiöser Opportunismus auch entwickelt, genauso, wie sich auch ein sprachlicher Opportunismus entwickelt. Soll heißen: Ein Händler, der nicht mit den Slawen in Nowgorod oder mit den Balten im Samenland, in Wiskiauten, wo er den Bernstein eingehandelt hat, sich zumindest über Zahlen unterhalten konnte, der war ja als Handelsmann schon gescheitert.
Und so ist es auch mit seinem, mit seiner Flexibilität der Religion gegenüber. Also, der musste schon tolerant sein. Er musste erkennen, dass das eine Berechtigung hat. Und wenn er sich verweigert hätte, mit einem orthodoxen Christen zu handeln, hätte er keinen geschäftlichen Erfolg erzielen können.
Das führt in Haithabu dazu, dass wir wissen, dass Handwerker hier Thorshammer und christliche Kreuze in einem produziert haben, in ein und derselben Gussform: auf der Vorderseite das Kreuz, auf der Rückseite den Thorshammer. Das ist so ein bisschen auch der Ausdruck für mich für diese Flexibilität und für den Opportunismus dieser Handelsleute, der notwendig ist, weil sonst, also sonst wäre das Geschäft sicherlich nicht vorangegangen.
Wir dürfen vielleicht auch nicht ganz vergessen, dass hier die Rolle der Frauen auch eine besondere war. Die skandinavische Gesellschaft dieser Zeit ist eine der ganz wenigen, die das Erbrecht für Frauen erlaubt. Das heißt, hier in dieser Stadt hat es sicherlich auch Frauen gegeben, die als erfolgreiche Geschäftsfrauen tätig waren, indem sie vielleicht Geschäfte weitergeführt haben, die von ihren verstorbenen Männern ihnen übertragen worden sind."
Frauen in der Welt der Götter
In der Götterwelt, der nordeuropäischen, gibt es auch Frauen.
Carnap-Bornheim: "Gibt es auch mächtige Frauen, anders als im Christentum. Also, das ist auch ein Aspekt, der in der Forschung der letzten Jahre noch weit stärker betont worden ist als es früher der Fall war. Aber, wie gesagt, ein Aspekt dieser skandinavischen Gesellschaft des Frühmittelalters im Norden ist eben auch, dass Frauen erbberechtigt sind, wie wir es aus dem christlichen Glauben und den christlich organisierten Gesellschaften so in diesem Maße gar nicht kennen. Also, hier sind sicherlich auch Frauen unterwegs gewesen, die großen Einfluss hatten. Das passiert hier.
Und hier kommen natürlich auch Leute aus ganz anderen Weltgegenden hierher. Wir wissen, dass Reisende aus dem islamischen Spanien hier waren, die natürlich diese Welt hier überhaupt nicht verstanden haben und die sich unter anderem darüber aufregen, dass diese Menschen hier so schlecht gesungen haben."
Zitat: At-Tartuschi zum Besuch in Haithabu/Schleswig im Jahr 965
"(Schleswig) ist eine sehr große Stadt am äußersten Ende des Weltmeeres. In ihrem Innern gibt es Quellen süßen Wassers. Die Stadt ist arm an Gütern und Segen. Die Hauptnahrung ihrer Bewohner besteht aus Fischen, denn die sind dort zahlreich. Auch gibt es dort eine künstlich hergestellte Augenschminke; wenn sie sie anwenden, nimmt die Schönheit niemals ab, sondern noch zu bei Männern und Frauen. Nie hörte ich hässlicheren Gesang …, und das ist ein Gebrumm, das aus ihren Kehlen herauskommt, gleich dem Gebell der Hunde, nur noch viehischer als dies." (6)
Und dieses halbe Jahrhundert, was in der Geschichtsbelegung sozusagen fehlt zwischen Haithabu und Schleswig, das habe ich in diversen Quellen gelesen, dass da sozusagen 50 Jahre luftleerer Raum sind. Da weiß man überhaupt nichts.
Carnap-Bornheim: "Dieser angeblich luftleere Raum, der zwischen 1000 und 1066, der hat sich eigentlich in den letzten Jahren durch unsere Forschung mit Metalldetektoren in Haithabu völlig aufgelöst. (…) Wir haben flächendeckend in Haithabu mit Metalldetektoren die obersten 10, 15 cm abgesucht. Und da liegt das ganze Fundgut der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, also zwischen 1000 und 1066, zum Beispiel die Münzen, die Herbert Jankuhn so vermisste, die Otto-Adelheid-Pfennige. Er kannte einen. Wir kennen jetzt 40."
Das ist noch nicht veröffentlicht?
Carnap-Bornheim: "Nein. Das läuft jetzt. Es ist auch ein bisschen mühsam, aber an Unglaubliches kommt man da ran. Also, das ist echt sensationell."
Welterbefähiger Feuchtboden: Die Funde
Carnap-Bornheim: "Das ist ein archäologischer Glücksfall, weil sich dadurch eigentlich ergeben hat, dass wir so eine wunderbare Archäologie da haben, die so gut in der Erhaltung auch ist, dass wir glauben, dass das welterbefähig ist."
Jetzt kommen wir auf den Punkt – der Feuchtboden.
Carnap-Bornheim: "Den müssen wir noch rein nehmen. Warum ist Haithabu so außergewöhnlich und zählt zu den absoluten Spitzenfundstellen der europäischen Archäologie? Dafür sind zwei Gründe verantwortlich.
Der erste Grund ist die Zerstörung Haithabus 1066 und der Übergang von der Südseite der Schlei nach Schleswig auf die Nordseite der Schlei. Also, Haithabu wird zerstört, fällt wüst. Und der große Dom, der hier am Ende des 12. Jahrhunderts mit seinen Vorgängerbauten entsteht, die Klöster, die in Schleswig jetzt zum Teil noch, wie im Johanneskloster, erhalten sind, die Hafenanlagen, die wir in den letzten Jahren dort ausgegraben haben, die entstehen alle auf der Nordseite und überbauen nicht Haithabu. Das ist anders als in Ribe, der Partnerstadt Haithabus an der dänischen Westküste. Da liegt das Wikingsche unter dem Heutigen, weil dieser Wechsel dort nicht stattgefunden hat. Oder ganz extrem, kann man sagen, Köln: Köln hat eine zweitausendjährige Geschichte, geschichtet unter dem Kölner Dom zum Beispiel. Da ist die Situation natürlich eine andere als bei uns.
Und es kommt dazu, dass die Schlei in den letzten tausend Jahren eben um diese 80 cm bis ein Meter angestiegen ist. Damit ist in das Siedlungsgelände Wasser eingedrungen. Der Grundwasserspiegel ist gestiegen. Und das bedingt die außerordentlichen Erhaltungsbedingungen, archäologischen Erhaltungsbedingungen. Nämlich nur unter Luftabschluss, im feuchten Milieu erhalten sich Textilien, erhalten sich die Taue, die für das stehende und laufende Gut der Schiffe benutzt wurden, die Textilien, die wir aus dem Hafen kennen, mit denen die Schiffe kalfatert worden sind, die Geweihfunde, die organischen Materialien, die den archäologischen Befund in Haithabu so außergewöhnlich machen."
"Kein stinkender Fisch" für das Weltkulturerbe
Wird aus Haithabu auch in Berlin etwas zu sehen sein oder nur im Katalog?
Carnap-Bornheim:"Nein, es sind einige Funde aus Haithabu in Berlin zu sehen, unter anderem das berühmte Holzfass, das hier in Haithabu als Brunnen verarbeitet wurde. Das ist ein großes Fass, das möglicherweise in Süddeutschland entstanden ist. Das sind die Container der Seeschifffahrt des 10., 11. Jahrhunderts. Dinge, die wasserempfindlich waren, Stoffe, Felle, die wurden in Fässern verpackt und die Fässer fest verschlossen.
Und als diese Container des Frühmittelalters dann in Haithabu nicht mehr genutzt wurden, wurden sie zu Brunnen verarbeitet. Nur durch diese Zwischennutzung als Brunnen haben wir sie heute erhalten. Und eines der großen Exponate der Berliner Ausstellung wird dieses berühmte Fass sein. Und auch Münzen sind aus Haithabu zu sehen, andere Funde.
Wir freuen uns natürlich, dass wir im Zuge der großen Ausstellung, die ja von Kopenhagen über London nach Berlin geht, auch ein bisschen ne Möglichkeit haben, unser Material zu zeigen und um vielleicht auch ein bisschen für Haithabu zu werben."
Es gibt kein Denkmal in Norden von vergleichbarer Bedeutung wie das Danewerk - Sophus Müller. Das war ja damals (7) eine ganz wichtige Feststellung, um das auch einzubinden, in diesen Weltkulturerbekontext.
Carnap-Bornheim: "Wenn wir sehen, welche Komponenten hier zusammenpassen, nämlich Lage, strategische, geografische Positionierung, historische Bedeutung, archäologische Erhaltung, archäologische Forschung und museale Präsentation, wenn wir das als Gesamtpaket betrachten, dann muss ich schon sagen wie mein verehrter Vorgänger, Herr Schietzel immer gesagt hat: 'kein stinkender Fisch'. Und damit ist die Qualität dieses Platzes gut beschrieben. Und dafür verantwortlich zu sein, ist eigentlich ein beruflicher Traum. Das muss man ganz klar sagen."
Da will ich Sie nicht wecken!
(Von Carnap-Bornheim lacht herzlich.)
Anmerkungen
(1) dänisch "Danevirke", altdänische Reichsgrenze
Danewerk erstmals im Jahre 808 u.Z. in einer historischen Quelle genannt, in den "Fränkischen Reichsannalen". Der dänische König Godofredus habe zwischen Ostsee und Nordsee eine Befestigung erbaut; in diesem Zusammenhang war auch Haithabu als Hafen (portus Sliesthorp) erwähnt worden, wohin Godefredus Kaufleute aus einem Ort Reric hatte umsiedeln müssen.
(2) "Haithabu" erhielt je nach Kulturkreis und -zeit verschiedene Bezeichnungen.
Altnordisch: Heidabyr;
Dänen: Hedeby, Haithaby
Sachsen und Franken: sliesthorp, später sliaswich;
Angelsachsen: aet Haethum
Latein: Heidiba (Adam von Bremen)
Die deutsche Forschung entscheidet sich nach dem deutsch-dänischen Krieg 1864 für "Haithabu", um sich von der dänischen Forschung abzusetzen und eine Grenzlinie zu ziehen ("vor 1000 Jahren waren dort die Germanen"). Abgeleitet wurde "Haithabu" vom Erik-Runenstein, auf dem der Name Heithabu steht, allerdings im Akkusativ. (Grundform heithaby).
(3) "Fränkische Reichsannalen" zum Jahr 808
zit. nach "Wikinger Museum Haithabu: Schaufenster einer frühen Stadt", S. 13, von H. Elsner, Hrsg. Archäologisches Landesmuseum der Christian – Albrechts – Universität, o.J.
(4) Reise des norwegischen Kaufmanns Ottar von Skiringssal nach Haithabu um 870/90
zit. nach "Wikinger Museum Haithabu: Schaufenster einer frühen Stadt", S. 112, von H. Elsner, Hrsg. Archäologisches Landesmuseum der Christian – Albrechts – Universität, o.J.
(5) 948 wurde Haithabu Bistum und somit kirchliches Zentrum. Dennoch war die christliche Gemeinde in Haithabu in der Minderheit (siehe Bericht von At-Tartuschi)
(6) Bericht des DiplomatenAt-Tartuschi aus Tortosa in Spanien über seinen Besuch in Haithabu/Schleswig im Jahr 965
zit. nach: "Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert" von Georg Jacob, S. 29 – Verlag de Gruyter & Co., Berlin und Leipzig, 1927
(7) Sophus Müller, Direktor für Vor- und Frühgeschichte des dänischen Nationalmuseums, 1903 im Vorwort seiner Publikation über das Danewerk.
Müller verortete 1897 auch anhand des Skarthi-Runensteines ("König Svend setzte diesen Stein für Skarthi, seinem Gefolgsmann, der nach Westen gezogen war, aber nun bei Haithabu den Tod fand", um 1000 errichtet, 1857 aufgefunden) die Wikingersiedlung Haithabu innerhalb des Halbkreiswalls. (siehe dazu KENNZEICHEN DK“, S. 9f)
Literaturhinweise
Gareth Williams / Peter Pentz / Matthias Wemhoff (Hrsg.)
Die Wikinger
Dänisches Nationalmuseum, Kopenhagen / British Museum, London /Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin
Katalog zur Ausstellung die Wikinger (zuvor in Kopenhagen, London) in Berlin vom 10.09.14 – 04.01.2015
Verlag Hirmer 2014 (für die deutsche Aufgabe)
Birgit Maixner
HAITHABU. Fernhandelszentrum zwischen den Welten
Begleitband zur Ausstellung im Wikinger Museum Haithabu
Hrsg. Archäologisches Landesmuseum in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf,
Ralf Bleile, Claus von Carnap-Bornheim
2. aktualisierte Auflage 2012
Königlich Dänische Botschaft (Hrsg.)
DANEWERK – UNESCO WELTKULTURERBEPROJEKT
in: "KENNZEICHEN DK", Heft 88, Mai 2009, 23. Jahrgang
Kurt Schietzel
Spurensuche Haithabu
Dokumentation und Chronik 1963-2013
Wachholtz-Verlag, 1. Auflage: 03. September 2014
Claus von Carnap-Bornheim & Martin Segschneider (Hrsg.)
Die Schleiregion. Land – Wasser – Geschichte
Theiss Verlag, 2007
Claus von Carnap-Bornheim
Wasserwege: Lebensadern – Trennungslinien
Wachholtz Verlag, Neumünster, 2005
Hilberg / Rösch / Schimmer
Zwischen Wikingern und Hanse
in: "Archäologische Nachrichten aus Schleswig-Holstein", S. 64ff, Heft 18 (2002)
Hrsg. Archäologische Gesellschaft Schleswig-Holsteins e.V. und Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein
Herbert Jankuhn
HAITHABU. Ein Handelsplatz der Wikinger
4, ergänzte Auflage, Wachholtz Verlag, Neumünster, 1963
Manfred Schelzel
Handelszüge der Wikinger
in: Wikingerzüge, S. 283ff
Koch Verlag, Rostock, 2001
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