Schillernde Randzonen trauriger Schönheit

Rezensiert von Maike Albath · 01.08.2006
Der römische Berufsschullehrer Marco Lodoli zeigt in "Spaziergänge in Rom" mit viel Witz und Ironie die Seiten der italienischen Hauptstadt, die einem Touristen nicht auf den ersten Blick auffallen. Er empfiehlt abseitige Orte jenseits des Trubels. Für den Feuilleton-Autor der "La Repubblica" ist das Schöne nicht immer pompös, sondern oft auch armselig und traurig.
Marco Lodoli versteht sich auf die Kunst der Verführung. Mit "Spaziergänge in Rom" legt er jetzt seinen zweiten literarischen Stadtgang vor und führt seine sehr speziellen Erkundungen, die bei uns unter dem Titel "Inseln in Rom" (2003) herausgekommen waren, weiter fort.

In Italien erscheinen seine Feuilletons jeden Sonntag in der römischen Ausgabe der Tageszeitung "La Repubblica". Was ursprünglich als Entdeckungsreisen für abgebrühte Einheimische gedacht war, ist auch für Bewohner anderer Weltgegenden ein Genuss. Denn sein ungewöhnlicher Stadtführer lehrt uns, genauer hinzuschauen.

Den ästhetisch übersättigten Römern empfiehlt Lodoli abseitige Orte: das Puppentheater auf dem Gianicolo, den Verano-Friedhof, eine Ziegelsteinkirche im Borghetto di Vigna Manghani, die kongolesische Messe in der Kirche der Geburt Jesu oder den Brunnen Pozzo del Facchino. Er legt uns dar, warum Portiers aussterben, erklärt die Eigenarten des Puppenspiels, kommt den Waren eines Geschäftes auf die Spur, das den viel versprechenden Namen "Parfümerie und Messerwaren" trägt.

Lodolis Leichtfüßigkeit ist ansteckend, und schon nach wenigen Seiten imitieren wir seinen Schritt, folgen seinem neugierigen Blick und flanieren mit ihm durch die "caput mundi" auf der Suche nach unverbrauchten Augenblicken. Oft handelt es sich um kleine Erzählungen. Zum Beispiel erläutert Lodoli die Gedenktafeln an römischen Gebäuden, die an Leopardi, Wagner oder Ariost erinnern und schlägt dann vor, man solle auch für gewöhnliche Bürger Tafeln anbringen, die lauten könnten: "Hier lebte der Sor Giovanni, ein freundlicher Mann und ein Barbier, tüchtig wie selten einer, ein wahrer Meister der Schere und des Kamms, der es verstanden hat, viele hässliche Gedanken vom Kopf der Welt zu bürsten".

Nicht nur Hinweise auf kostengünstige Restaurants und die besten Gnocchi von Rom weiß er zu geben, auch echte Lebensempfehlungen. Statt an heißen römischen Sommertagen hechelnd auf dem Sofa zu liegen, solle man lieber mit dem Motorrad nach Nemi fahren. In Nemi, einem kleinen Dorf in den Bergen, machten schon Goethe, Byron und Turner Station.

Mit leiser Ironie schildert Lodoli die Kühle der Piazza, unbedingt Erdbeeren essen und das Brunnenwasser trinken, und die Wiederkehr der Lebensgeister. Es sind Momente der Einkehr und Ruhe, die der Schriftsteller für seine Leser ausfindig macht, Inseln der Kontemplation, gedacht als Entschädigung für die Hetze des Alltags, den zermürbenden Verkehr und die niemals versiegenden Touristenströme.

Kunstwerke kommen dabei nicht zu kurz, aber auch hier gilt es, das Unspektakuläre zu würdigen: ein abgeblättertes Mosaik, eine aufgemalte Kuppel, ein unbekanntes Gemälde von Giovanni Lanfranco oder ein Grabmal aus dem 15. Jahrhundert.

Der Schriftsteller Marco Lodoli, 1956 in Rom geboren, bekennender Lazio-Fan und Lehrer an einer Berufsschule der berüchtigten römischen Vorstadt, hat ein Gespür für die Paralleluniversen der Ausgestoßenen. Schönheit ist für ihn nicht unbedingt prächtig und blendend, sondern oft auch armselig und traurig. Ihn interessieren die schillernden Randzonen, in denen aus geschichtsträchtigen Bauwerken, pockennarbigen Tankstellen, Resten der Antike und verwahrlosten Sportanlagen ein eigenes Gewebe entsteht und plötzlich Zeitlöcher aufklaffen.

Seine Glossen entwickeln eine kleine Ästhetik des Alltagslebens, und sie enthalten ein literarisches Programm in Kurzform: Nur wer die Demut kennt, kann von der Welt erzählen. Bildung ist dennoch die Voraussetzung für sinnliche Wahrnehmung, aber auch da trumpft der Schriftsteller nicht auf. Seine Gelehrtheit kommt beiläufig daher, die Geschichte eines Bildes ist mit Aperçus gespickt, Splitter aus griechischen Mythen bereichern den Blick auf eine Statue. "Spaziergänge in Rom" ist ein Rombuch für Leute, die schon alles kennen, über alles Bescheid wissen und dennoch Neues entdecken wollen.

Marco Lodoli: Spaziergänge in Rom
Aus dem Italienischen von Gundl Nagel
Carl Hanser Verlag, München 2006
108 Seiten, 14, 90 Euro