Schillernde Beute, aber auch Beifang

24.08.2010
Er erzählt von der Verseuchung der Meere, vom grausamen Tod der Fische und von Besuchen auf Malta - der Journalist und Autor James Hamilton-Paterson liebt das Meer und seine Bewohner. Als Greenpeace-Schwärmer sieht er sich aber nicht.
"Als es darum ging, einige meiner journalistischen Arbeiten und Essays für diesen Band zusammenzustellen, befürchtete ich, in gebündelter Form könnten sie den Anschein erwecken, ich sei ein politisch korrekter Vertreter umweltschützerischer Anliegen."

Das stellt James Hamilton-Paterson gleich klar: Niemand soll ihn für einen Greenpeace-Schwärmer halten, nur weil er das Meer, die Tiere und die Verseuchung der Meere zu seinem Thema macht. Nein, ein Aktivist ist er nicht.

"Als Pessimist neige ich eher dazu, etwas zu beklagen, als für etwas zu kämpfen, oder ich lege Passivität an den Tag. Im Hinblick auf viele Anliegen, glaube ich, dass Resignation weniger intellektuellen Schaden anrichtet als Aktivismus."

Nun ist die Verseuchung der Meere sicherlich mehr als nur ein intellektueller Schaden, aber lassen wir dem Autor seine feinfühlige Distanziertheit. James Hamilton-Paterson ist Journalist, Romancier, Sachbuchautor und Mitglied der renommiert-ehrwürdigen Royal Geographical Society. Das Meer ist seine Welt, aber nicht sein einziges Thema. Seine Romane waren immer ein wenig bildungslastig, vergrübelt und schwerfällig, aber seine Sachbücher – allem "Drei Meilen tief" über eine Forschungsfahrt auf der "Keldysch" und eine Tauchfahrt in der "Mir" – sind echte Sammelware.

Der Band "Vom Meer" ist eine Sammlung von Artikeln aus unterschiedlichen Jahren, zusammengefasst in unterschiedlichen Rubriken. "Inseln" heißt eine, in der er über Malta oder die Teufelsinsel erzählt. Hier erscheint ein Artikel manchmal fast wie die Selbstvergewisserung über eine Reise, auf der der Autor nichts wirklich Mitteilenswertes erlebt hat. Ein Essay über Postkarten mit Sonnenuntergängen weiß auch nicht so recht, wohin er will. All das handelt irgendwie vom Meer, ist aber noch nicht gut.

"1998 fuhr ich nach Neufundland, um Outports genannte Fischerdörfer zu besuchen, für eine Reportage über abgelegene Gemeinschaften."

Hier ist Hamilton-Paterson at-his-best – er beschreibt die kleinen, isolierten Fischerdörfer, die nach dem Kabeljau-Fangverbot 1992 ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden. Und hier stimmt alles: Die Erzählhaltung, die Erzählung selbst, die so dicht und packend ist, dass man die feucht-kalte Luft und die kratzigen Salzkörner der Gischt auf der Haut zu spüren glaubt, und die Vermittlung von wichtigen Informationen über das Meer. Hamilton-Paterson blickt auf diese zum Untergang verurteilten Dörfer und verfasst eine kunstvolle Elegie:

"Dass nichts beständig, sondern im Fluss ist, ist charakteristisch für die Geschichte der Menschheit, auch wenn wir nicht gern daran erinnert werden. Vielleicht befürchten wir insgeheim, unser moderner, urbaner Lebensstil könnte sich als ebenso unhaltbar erweisen wie die Ausbeutung der Fischgründe im Gebiet der Neufundlandbank, und auch wir könnten eines Tags gnadenlos durch etwas anderes ersetzt werden."

Ein Beitrag beschäftigt sich mit der Frage: "Spüren Fische Schmerz?" Auch hier ist Hamilton-Paterson in Bestform: Der Ich-Erzähler ist angenehm zurückgenommen. Ausgangspunkt ist das – womöglich grausame – Harpunenfischen, das der Autor betrieben hat, als er auf den Philippinen lebte. Die Grundfrage lautet: Was weiß die Wissenschaft über das Schmerz-Empfinden von Fischen? Wie denken wir über Fische, wie sehr interpretieren wir unser menschliches Schmerzempfinden in Fische hinein, und was eigentlich ist unser menschliches Schmerzempfinden? Das ist spannend, kenntnisreich und klug erzählt und endet doch ohne Ergebnis: Schmerz ist ein Problem der kulturellen Anschauung. Hamilton-Paterson blickt auf seine Jahre als Fischjäger zurück und sagt:

"Ich werde also weiter mit meinen vergangenen blutigen Taten leben, doch ohne davon gepeinigt zu werden. Es liegt mir fern, meine Gewissenhaftigkeit überzubewerten, oder sie gar zu einer Ethik oder Kampagne aufzublähen. Bombast ist nicht angebracht in einem Universum, dessen Lebewesen so leicht entbehrlich sind."

Entbehrlich, weil sie zahlreich sind und weil die Evolution sich schon neue Lösungen einfallen lassen wird, auch beim Verschwinden der Menschheit. Da klingt ein intellektueller Nihilismus durch, der brillant ausgedrückt, aber immer auch ein wenig bedrohlich ist. Nimmt man das Buch wie ein Netz, dann wird der Leser einige wirklich schillernde Beutestücke herausziehen, aber auch viel Beifang. Romantikern der Meere wird das Buch nicht gefallen, aber genau deshalb sollten sie es lesen.

Besprochen von Paul Stänner

James Hamilton-Paterson: Vom Meer. Über die Romantik von Sonnenuntergängen, die Mystik des grünen Blitzes und die dunkle Seite von Delfinen
Aus dem Englischen von Thomas Bodmer
marebuch Verlag, Hamburg 2010
240 Seiten, 19,90 Euro
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