Schiitische Jugend in Bahrain

Jung, rebellisch, kritisch

Das größte Shoppingcenter von Bahrain, in der Hauptstadt Manama.
Das größte Shoppingcenter von Bahrain, in der Hauptstadt Manama © picture alliance / dpa / Oussama Ayoub
Von Mark Thörner · 25.11.2015
Die sunnitische Herrscherfamilie in Bahrain versteht bei Kritik keinen Spaß. Trotzdem kommt es immer wieder zu Protesten: Vor allem junge Schiiten fordern ihren Platz in der Gesellschaft ein. Am liebsten treffen sich ihre führenden Köpfe in Shoppingmalls.
Das Flugzeug der staatlichen bahrainischen Gulf Air fliegt längst der Golfküste, die spektakulären Bauten Dubais weit unter sich. Währenddessen preist ein Trailer im Bordfernsehen die Vorzüge Bahrains. Ein Golfstaat, ohne Denkverbote, ohne islamische Monokultur. Stattdessen: Multikulti. Leben und leben lassen.
Auf den ersten Blick scheint Bahrain zu halten, was die Werbung verspricht. Rund um die Corniche, die Flaniermeile an Manamas Perlenbucht, sitzen in den eingehegten Terrassen schicker Restaurants internationale Geschäftsleute: Sikhs, Filippinos, Chinesen, Amerikaner und Engländer. Zum Sonnenuntergang genießen alle gemeinsam die Happy Hour.
Der Chor der Muezzine, die zum Abendgebet rufen, scheint hier nicht an jenen Islam zu erinnern, wie er nur wenige Kilometer Luftlinie weiter benutzt wird, um die schlimmsten Grausamkeiten zu rechtfertigen. Es ist, als ob sich Toleranz und Multikulti in dem höchst heterogenen Mix der Stimmen widerspiegeln. Und dann auf einmal das:
Gut einen Kilometer entfernt von der Corniche, in einer Seitenstraße, unweit des alten Basars. Die Sonne ist gerade untergegangen. Brennende Autoreifen erhellen die Szenerie, der Geruch verbrannten Gummis hängt in der Luft.
"Schiit? Dann landet die Bewerbung im Mülleimer"
Polizisten mit Helmen, Schlagstöcken und Tränengasgewehren stehen wie aus dem Boden gewachsen an der nächsten Ecke. Jugendliche und junge Männer laufen vor ihnen her. Einer drückt sich in den Hauseingang unweit eines der kleinen Hotels, von denen es hier viele gibt. Kurz darauf hat sich die Situation beruhigt. Die Polizei ist weg, der Autoreifen entfernt. Ali sitzt in der Lobby des Hotels und erklärt, weshalb er protestiert.
"Ich studiere Flugzeugbau. Aber als Schiit finde ich in Bahrain mit diesem Studium keine Stelle. Alle Schiiten stehen hier vor dem gleichen Problem. Sie sind darauf vorbereitet, dass sie Arbeit nur woanders finden, in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder sonst wo. Weil sie Schiiten sind, werden Sie in ihrem Land nicht arbeiten können. Denn die Arbeitgeber lesen den Namen und erkennen daran, dass jemand Schiit ist. Ein Schiit? Dann landet die Bewerbung geradewegs im Mülleimer."
Was Ali sagt, würde in den Nachbarländern Bahrains nur Achselzucken hervorrufen. Überall in den Golfemiraten, insbesondere beim großen Nachbarn Saudi Arabien, hat die schiitische Minderheit einen schweren Stand, wird allenfalls toleriert statt akzeptiert.
Der zentrale Perlenplatz, der während der bahrainischen Arabellion 2011 das Zentrum der Proteste war, ist seitdem hermetisch abgeriegelt. Die führenden Köpfe der Oppositionsbewegung treffen sich heute vor allem in den vielen Shoppingmalls, in denen sich in Manama am ehesten so etwas wie urbanes Leben abspielt.
"Unsere Bevölkerung ist aufgeladen mit Wut"
Künstliche, klimatisierte Welten, wie sie zwischen Berlin und Singapur überall gleich aussehen: In einer Filiale von Costa Café, irgendwo zwischen Starbuck's oder Kentucky Fried's, sitzt Jalil Khalil, ein untersetzter älterer Herr in Nadelstreifenanzug und mit graumeliertem Kinnbart. Er gehört zur Führung der schiitisch dominierten Wefaq, der größten Oppositionspartei des Landes.
"Unsere Bevölkerung ist aufgeladen mit Wut. Viele haben Angehörige, die entweder tot sind oder hinter Gittern. Und diese Wut im Innern unserer Gesellschaft steigt stetig an. Zur gleichen Zeit hören wir keine starke, eindeutige Botschaft seitens der internationalen Gemeinschaft. Keine Botschaft, die die bahrainische Regierung zu einem ernsthaften Dialog auffordert, die politischen Forderungen der Bevölkerung wenigstens zu diskutieren."
Eine internationale arabische Untersuchungskommission forderte nach der Arabellion 2011, die bahrainische Führung auf, der Mehrheitsbevölkerung endlich eine angemessene Mitsprache einzuräumen. Die Regierung versprach Reformen - änderte aber bis heute nichts.
Die Nationalflagge von Bahrain
Die Nationalflagge von Bahrain© picture-alliance / dpa / LaPresse Photo 4
Das Parlament hat nach wie vor nur eine beratende Funktion. Ein vom König ernanntes Oberhaus kann alle Vorlagen des Unterhauses blockieren. Und für die Wahlen zum Unterhaus sind die Wahlreise so angelegt, dass die Schiiten, obwohl sie in der Mehrheit sind, niemals die Mehrheit erringen können.
"Wenn man die Aufteilung der Wahlkreise vergleicht: In einer schiitischen Gegend leben 16.000 Wähler und werden durch einen einzige Parlamentsabgeordneten repräsentiert. Und dort, in der sunnitischen Gegend: Ebenfalls 16.000 Einwohner, die aber von sechs Abgeordneten vertreten werden. Das ist unausgewogen, unlogisch, illegal. Wir brauchen ein System One Man one vote."
Szenerie erinnert an ein Land unter Besatzung
Am nächsten Tag steht der Student Ali unauffällig vor dem Hotel. Er hat versprochen, dem ausländischen Beobachter etwas vom schiitischen Alltagsleben zu zeigen.
Das Königreich Bahrain besteht aus einer winzigen Insel vor der Küste Saudi Arabiens. An einem halben Tag kommt man mit dem Auto durchs ganze Land und wieder zum Ausgangspunkt zurück. Schon in den Außenbezirken Manamas fällt die Vielzahl schiitischer Moscheen auf. Goldene Kuppeln und rituelle schwarze Trauerfahnen, die an den gewaltsamen Tod Alis erinnern, des Stammvaters der Schiiten.
Und unweit der Moscheen: immer wieder Polizeistationen, mit Betonmauern eingefasst, von Wachtürmen umgeben. Die Szenerie erinnert an ein Land unter Besatzung und gleicht den Außenposten der US-Armee in den Schiitenbezirken von Bagdad. Kein falscher Eindruck, meint Ali.
"Alle Polizisten, die hier stehen, stammen aus anderen Ländern: Es sind Pakistanis, Bengalen. Es gibt keine Bahrainis unter ihnen, höchstens ihr Kommandeur ist jemand aus Bahrain. Er steuert all die Pakistanis. Man zahlt ihnen Geld, damit sie unsere Demonstranten töten. Sie sprechen nicht mal arabisch. Sie kennen Bruchstücke der Sprache, sie können zum Beispiel sagen: 'Wie heißt du?'"
"Aber verstecken Sie jetzt besser Ihr Mikrophon, sonst bekommen Sie Probleme und wir auch. Sie wollen nicht, dass ausländische Medienvertreter ins Innere Bahrains vordringen."
"Seit zwei Jahren nicht zu Hause geschlafen"
Ohne Aussicht auf politische Mitsprachemöglichkeit hat sich die schiitische Bevölkerung in den Vorstädten von Manama selbst organisiert. In so genannten Community Centers, Gemeindezentren, die sich stets um eine Moschee gruppieren, aber eine Vielzahl von Diensten anbieten. Von der Müllabfuhr über Krankenbetreuung bis zur Ausstattung lokaler Schulen. Die Polizei traut sich nicht in das Innere der "Dörfer" – wie die Gemeinden im Ballungsraum Manama genannt werden – und wenn doch, dann stets nur kurz, in schwer gesicherten Konvois.
Im großen Saal des Community Centers sitzen nach dem Mittagsgebet gut Hundert Männer auf einem Teppich, essen, diskutieren. Auch ein Mann, etwa Anfang Vierzig.
"Ich heiße Hassan. Ich werde von der Polizei gesucht. Seit zwei Jahren habe ich nicht zu Hause geschlafen. Die Polizei stürmt immer wieder mein Haus. Sie haben schon zwei von meinen Töchtern verhaftet, die älteste ist 17 Jahre alt. Sie hat sich an einer Demonstration zugunsten des Menschenrechtlers Abdelhadi al Khawaja beteiligt. Sie haben sie von der Demonstration weg verhaftet. Sie soll die Polizei angegriffen haben. In Wirklichkeit war es die Polizei, die sie angegriffen hat. Auch meine jüngere Tochter ist verhaftet worden, weil sie sich für al Khawaja eingesetzt hat, sie ist 15 Jahre alt."
Termin bei Ministerin Samira Rajab. Sie residiert im "anderen Bahrain", inmitten der Glitzerpaläste, Großbanken, internationale Firmen und Regierungsbauten unweit der Perlenbucht. Die Mittfünfzigerin ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten des kleinen Königreiches.
Leidenschaftliche Anhängerin Saddam Husseins
Die Beraterin des Königs ist bis heute eine leidenschaftliche Anhängerin von Saddam Hussein und dessen Baath-Partei. Sie steht für den aktuellen Kurs der auf Härte gegenüber der schiitischen Opposition. Mehr Teilhabe für die Bevölkerungsmehrheit, mehr Demokratie, mehr Einfluss für die gewählte Kammer des bahrainischen Parlaments? Dazu gibt es nicht den geringsten Anlass, meint sie.
"In unserem Parlament finden sich in der vom König ernannten Kammer die Leute mit der besseren Bildung. Sie sind liberaler und haben mehr Erfahrung als diejenigen in der gewählten Kammer. Aber in der gewählten Kammer sind nur Islamisten, aus Parteien des politischen Islam. Sie repräsentieren nur ihre Sekten, aber nicht Bahrain. In der ernannten Kammer finden sie bei 40 Mitgliedern neun Frauen. Aber in der gewählten, nur vier. Und auch die haben es nur durch Zufall geschafft. Denn einige islamitische Parteien haben nicht an den letzten Wahlen teilgenommen, und davon haben einige Frauen profitiert."
Dass er kurz vor den Wahlen im Januar 2015 zum Boykott aufrief, ist dem Führer der Wefaq, der größten Oppositionspartei, Scheich Ali Salman, nicht gut bekommen. Im Dezember 2014 wurde er unter dem Verdacht des Hochverrats verhaftet und sitzt seitdem im Gefängnis. Für Königsberaterin Samira Rajab ist das nur logisch. Denn Scheich Ali Salman sei so etwas wie der verlängerte Arm des Iran.
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen geht neben Bahrains König Hamad bin Isa al-Chalifa
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bahrains König Hamad bin Isa al-Chalifa in Manama © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
"Ali Salman, die Nummer eins der oppositionellen al Wefaq hier in Bahrain, hat seine Ausbildung im Iran absolviert, in der iranische Stadt Ghom. Niemand lernt dort, wenn er nicht für die Herrschaft der Religionsgelehrten ist."
"Nein. Nichts als Lügen, ewig Lügen."
"Wir fordern Demokratie, sonst nichts"
Verbindungen zum Iran hatte Scheich Ali Salman stets zurückgewiesen. Auch in einem Interview, das er dem Deutschlandradio vor seiner Verhaftung gab.
"Wir sind eine unabhängige Partei. Wir glauben nicht an den Iran oder irgendwelche anderen Länder. Wir wollen in unserem eigenen Land wie Menschen behandelt werden. Wir wollen das Recht haben, in unserem Land unsere Regierung zu wählen. Wir fordern Demokratie, sonst nichts."
"Der Kampf dauert leider schon über 100 Jahre, schon 1920 unter den Briten forderte die Opposition ein Parlament, mit deren Hilfe wir die Fragen des politischen Alltags lösen können. Von dieser Zeit an, gibt es bei uns so gut wie alle zehn Jahre einen Aufstand. Ehe noch irgendetwas wie eine islamische Republik Iran existierte. Wir brauchen niemanden, der uns beibringt, was für uns politisch erforderlich ist und was nicht."
Als die USA im Sommer 2014 mit arabischen Staaten eine Koalition schmiedete, um den IS aus der Luft anzugreifen, schloss sich Bahrain als einer der ersten Staaten an. Seitdem ist die ohnehin sehr leise westliche Kritik an den Zuständen in Bahrain so gut wie ganz verstummt.
Und das, obwohl fast zeitgleich Informationen bekannt wurden, die darauf hinweisen, dass Mitglieder der bahrainischen Regierung den Siegeszug des Terrorstaat zumindest mit viel Sympathie verfolgten. Unter ihnen auch Samira Rajab, damals noch Informationsministerin und heute Beraterin des Königs. Sie twitterte im Sommer 2014, als der IS die irakische Armee in der al Anbar-Provinz überrannte:
"Was jetzt in al Anbar passiert, kann als eine Revolution gegen die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung verstanden werden, unter der der Irak seit mehr als 10 Jahren leidet."
In Abwesenheit zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt
"Länder wie die USA, Großbritannien und Deutschland sind bereit, Waffen an Länder wie Saudi Arabien und Bahrain zu verkaufen, Länder mit großangelegten Menschenrechtsverletzungen."
In einer Shopping Mall sitzt Maryam al Khawaja. Die 27-Jährige ist die Tochter des Menschenrechtler Abdulhadi al Khawaja. Nach den Protesten 2011 verhaftet und immer noch inhaftiert, hat er die Weltöffentlichkeit durch seinen Hungerstreik auf Bahrain aufmerksam gemacht.
Maryam engagiert sich weiter in dem Menschenrechtszentrum, das ihr Vater ins Leben rief. Fast-Food Ketten, Starbucks, Costa Coffee. Eigentlich sieht hier alles so aus wie in Bahrain. Tatsächlich lebt Maryam inzwischen im dänischen Exil. In Bahrain wurde sie in Abwesenheit zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt.
Der Westen, sagt Maryam al Khawaja, ist dabei, einen Riesenfehler zu machen: Sich auf eine Antiterrorallianz mit Staaten und Akteuren zu verständigen, die selber Terror unterstützen und Demokratie bekämpfen. Baathisten wie Samira Rajab, während es gerade die Baathisten sind, die in der Militärführung des IS die Fäden ziehen.
"Die bahrainische Regierung möchte gern das Bild verbreiten: Wir sind auf einem langsamen und stetigen Weg der Reform. Die Wahrheit ist: Sie sind nicht auf diesem Weg. Wenn sie auf diesem Weg sein sollten, dann gehen sie ihn in die entgegengesetzte Richtung. Und es ist sehr gefährlich, wenn die Außenwelt ihnen das Image abnimmt, das es von sich kreiert."
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