Donnerstag, 25. April 2024

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Das Eiserne Tor
Die wilde Seite der Donau

Die Donau ist über weite Strecken ein breit und behäbig dahinfließender Strom. Der zweitlängste Fluss Europas kann aber auch anders. Im Grenzgebiet zwischen Serbien und Rumänien zwängt sie sich nämlich durch das sogenannte Eiserne Tor. Bis heute gilt diese Gegend als einer der imposantesten Taldurchbrüche in ganz Europa.

Von Marion Trutter | 26.04.2015
    "Mit der Donau ist das eine besondere Geschichte. Die untere Donau ist unbändig und wild. Man muss sie wirklich gut kennen, sonst ist man verloren. Dagegen ist die obere Donau viel einfacher: präzise und leicht vorhersehbar - auch besser beschildert. Ich selbst mag die untere Donau lieber, denn sie ist zwar gefährlich, aber auch voller Überraschungen. Nie kann man sicher sein, was einen erwartet. Man muss sie lesen können, man muss sie kennen, man muss sich auf sein Gefühl und seine Erfahrung verlassen. Du musst wirklich ein Kenner sein, um das Wasser zu lesen und auf der unteren Donau arbeiten zu können."
    Aleksandar Jovanović kennt die Donau seit seiner Kindheit - eine Sandkastenliebe sozusagen. Seine ganz große Leidenschaft gilt der unteren Donau. Vor allem dem "Eisernen Tor", jenem Flussabschnitt, wo sich die große alte Dame einen abenteuerlichen Weg durch die Karpaten gebahnt hat. Über gut 100 Kilometer schlängelt sie sich hier durch dicht bewaldete Bergzüge. Mal ist sie breit wie ein See, dann wieder zwängt sie sich durch enge Schluchten mit bis zu 300 Meter hohen Felswänden. An ihrer schmalsten Stelle ist sie gerade mal 150 Meter breit, dafür aber unheimliche 90 Meter tief.
    Keine Menschenseele weit und breit
    Die Faszination dieser Naturgewalt erlebt man am besten mit dem Schiff. Aleksandar, ein erfahrener Kapitän großer Tanker, hat vor fünf Jahren das Ausflugsschiff "Stevanske livade" gekauft - und mit dem schippert er nun Touristen durchs Eiserne Tor.
    Erst einmal genießen wir einfach nur die Landschaft. Erst zieht sich der Wald bis ganz ans Ufer heran, dann öffnet er sich wieder, wir sehen sanft gewellte Wiesen, Obstgärten und Gemüsefelder. Eine kleine Straße schlängelt sich mal am Ufer entlang, dann wieder kann man sie nur erahnen – hoch oben über den steilen Kalksteinwänden. Keine Menschenseele weit und breit, kein Dorf, kein Haus, nur ab und zu ein Lastkahn. Wir schauen und genießen, bis die Reiseleiterin unsere Träumerei unterbricht: "Wir fahren jetzt vorbei an der Tabula Traiana, der Trajanstafel. Das ist Tafel, das 105 unserer Zeitrechnung der römische Kaiser Traian dort aufgestellt hatte. Bis zur Tabula Traiana kann man nur mit dem Schiff bisschen näher kommen - nicht ganz natürlich. Nicht zu Fuß, nicht mit dem Auto, weil wie wir sehen können, es keine Autostraße gibt. Das ist vielleicht Höhepunkt der ganzen Donaureise oder Reise in der Nähe von der Donau."
    Einige Mitreisende mit schlauen Büchern in der Hand suchen mit den Augen schon das Ufer ab, als die Führerin zu einem Felsen weist. Immer noch sehen wir nicht viel. Bis im grauen Fels eine Marmortafel zum Vorschein kommt: unscheinbar, etwa zwei mal drei Meter groß und so hell, dass sie sich farblich kaum vom Felsen unterscheidet. "Mit dieser Tafel wollte Kaiser Traian zeigen, dass er eine sehr lange Brücke - 1100 Meter lange Brücke - aufgebaut hatte für zwei Jahre, dass er damit Dakien zur Provinz des römischen Kaisers gemacht hatte und die dakischen Stämme besiegt hatte. "
    Trajan verewigte in einer Tafel seinen Sieg
    Verewigt wurden dieser Sieg und der historische Brückenbau in der Marmortafel am Donauufer. Nur undeutlich erkennen wir die lateinische Inschrift, denn die Steinmetze haben abgekürzt - wie bei einer modernen SMS. In Marmor gehauen steht da die Huldigung: "Der ehrwürdige Kaiser Trajan hat Gebirge und Strom überwunden und diese Straße gebaut."
    Übrigens befindet sich die Trajanstafel schon lange nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort: Als nämlich in den 1960er-Jahren Staudämme für zwei Wasserkraftwerke gebaut wurden, stieg der Spiegel der Donau um rund 30 Meter an. Also hat man die Tafel kurzerhand 30 Meter nach oben versetzt. Und die Rumänen, die setzten dem antiken römischen Kunstwerk vor etwa zehn Jahren ein modernes entgegen. Am anderen Ufer ließen sie das 40 Meter hohe Konterfei des Dakerkönigs Decebalus in die Felswand meißeln - auch wenn dieser gegen Trajan verloren hatte.
    Am nächsten Tag tauchen wir dann richtig ein in die grüne Wildnis. Zuerst mit dem Auto und dann zu Fuß erkunden wir den Nationalpark Derdap, der die Donau auf serbischer Seite flankiert. Noch ist die Natur hier oben völlig unberührt. Mitten im Wald wurde letztes Jahr ein kleines Naturschutzhaus eröffnet. Ausgestopft stehen da Reh und Schakal, Wildkatze und Waldschildkröte, Luchs und Wildschwein - und sogar ein Wolf. Schließlich sollen in der Gegend noch 20 bis 30 Wölfe leben.
    Wildlandschaften, die sonst verschwunden sind
    Das rund 640 Quadratkilometer große Naturparadies glänzt mit einer Artenvielfalt, von der andere Nationalparks in Europa nur träumen können: 1100 verschiedene Pflanzen wachsen hier, weil ganz verschiedene Naturräume aufeinandertreffen - vom Hochgebirge bis zur Pannonischen Tiefebene. Deshalb ist diese Gegend auch für Thomas Schneider aus Ingolstadt ein wahres Juwel. Schneider arbeitet im internationalen Netzwerk der Donauschutzgebiete und begleitet hier im Nationalpark ein Pilotprojekt für Artenschutz und Umweltbildung. Und Schützenswertes findet er hier jede Menge: "Heute in der Frühe hat mich ein Nashornkäfer angeflogen. Die schauen so aus wie Hirschkäfer, nur dass die ein Einhorn vorne haben, das werden sie bei uns wohl kaum erleben. Hier gibt’s ganz viele Bockkäfer. Also, das spannende ist einfach, dass Sie hier noch viele Wildlandschaften haben und dass hier nicht alles kulturell überprägt ist, sondern sehr viel von der Natur noch zu sehen ist, die in anderen Teilen Mitteleuropas schon verschwunden ist oder zumindest ganz stark im Rückgang ist. Also besonders ist mir hier aufgefallen eine ganz tolle Insektenfauna, blühende Wiesen. Das ist eine totale Idylle, was man da hat."
    Auf schmalem Pfad wandern wir durch duftende Blütenwiesen, bewundern Orchideen und riesige Glockenblumen, riechen wilden Thymian und naschen zuckersüße Walderdbeeren direkt vom Strauch. Nach einer Viertelstunde stehen wir an einem spektakulären Aussichtspunkt über der Donau.
    Wer den besten Blick auf den Strom haben möchte, kraxelt über spitze Felsen bis vorn an den Abgrund - mit Herzklopfen und auf eigene Gefahr. Eine sichere Plattform ist allerdings schon geplant.
    Steinzeitliche Wohnungen
    Nicht weit von Donji Milanovac entdeckten Forscher in den 1960er-Jahren auch die Reste der steinzeitlichen Siedlung Lepenski Vir - eine der ältesten Siedlungsstrukturen in ganz Europa. Ein Ranger führt uns durch das Gelände, erst einmal durch dichten Wald hinunter in Richtung Donauufer. "Dies ist eine der vier Schluchten im Bereich des Eisernen Tors, die Gospodjin Vir Schlucht. Und Schluchten waren für die Menschen in prähistorischer Zeit sehr gute Orte, um ihre Dörfer zu bauen und dauerhaft zu überleben. Warum? - Die Donau war eine ideale Quelle für Nahrung - und Wasser natürlich. Das Besondere aber an Lepenski Vir: Der Gipfel da gegenüber war ein sehr guter Orientierungspunkt. Wenn sie also jagen gingen, hatten sie immer den Gipfel im Auge. Außerdem - noch interessanter: Immer zur Sommersonnwende geht die Sonne direkt hinter dem Berg auf. Die Menschen nutzten ihn also auch zur kalendarischen Orientierung. OK, let’s go inside."
    Wir betreten einen hochmodernen Glasbau mit Blick auf die Donau. Als das Tal für die Kraftwerke geflutet wurde, hat man - wie die Trajanstafel - auch diesen Kulturschatz rund 30 Meter nach oben verlegt. Zu sehen sind Grundrisse von Häusern und Gräber mit Skeletten aus verschiedenen Epochen. Wir pirschen um zwei Hologramme, die mögliche Hausformen aus prähistorischen Zeiten darstellen. An Monitoren kann man sogar virtuell durch steinzeitliche Wohnungen streifen. Draußen im Wald haben die Forscher ein Haus in Originalgröße nachgebildet - so, wie es vor 8.000 Jahren vielleicht ausgesehen hat - aus Holz und Stroh, gedeckt mit Tierhäuten. Und wahrscheinlich gab es in jedem Haus eine Skulptur aus Sandstein: "Diese Steinskulpturen sind eine Kombination aus Mensch und Fisch. Denn in vorgeschichtlicher Zeit glaubten die Menschen immer an das, was ihnen Nahrung brachte. In Lepinski Vir glaubten sie wahrscheinlich, dass göttliche Wesen im Wasser lebten. Deshalb erschufen sie diese einzigartigen Steinskulpturen - halb Mensch, halb Fisch. Sie bewahrten diese Skulpturen im Haus auf und benutzten sie als eine Art Kultfigur, als Beschützer des Hauses und der Familie."
    Mit einem hausgemachten Honigschnaps
    Die Skulpturen von Lepenski Vir beeinflussen auch heute noch Künstler in der Region. Nur ein paar Kilometer entfernt hat sich Živorad Stefanović, genannt Žika, sein eigenes kleines Donauparadies geschaffen. Er begrüßt uns im Garten – schwarz gekleidet, ohne Schuhe, dafür mit kräftigem Händedruck und mit einem hausgemachten Honigschnaps.
    Wie ein Adlerhorst liegt das Anwesen auf einem Bergrücken – mit herrlichem Blick über eine Biegung der Donau. Nach einem wohltätigen Donaureeder aus dem 19. Jahrhundert hat Žika es Kapetan Mišin breg getauft: Kapitän Mišas Hügel. "Dieser Platz ist für mich die größte Inspiration für mein Schaffen. Ich habe viel von der Welt gesehen, aber nie so eine Art Kunst gemacht. Hier hat von Anfang an der Mann von Lepinski Vir meine Kreativität beeinflusst. In dieser uralten Zivilisation spielt ja der Fisch-Mensch eine wichtige Rolle. Ich rufe diesen Mann aus Lepenski Vir – und er gibt mit Kraft und Energie für mein Werk. "
    Zwischen Froschteich, Pflaumenbäumen und Lauben bevölkern 400 von Zikas Holzskulpturen den Garten. Ruhesuchende Gäste können hier ausspannen in einem Gesamtkunstwerk aus Open-Air-Galerie, Naturreservat und Öko-Lodge. Man wohnt in einfachen Zimmern und wird mit serbischen Leckereien verwöhnt - alles ökologisch produziert: "Was man hier auf diesem schönen Tisch sehen kann: Hier steht Pogača, ein großes typisches Brot, Brennnessel auf eine ganz gewisse Weise gebacken mit Eier auch und ein bisschen Mehl. Hier steht eine wunderschöne Suppe, hier steht Proja, das ist Brot, das man aus Mais macht, dann Ziegenkäse, verschiedene Pittas mit Pilze, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und dort stehen die typischen ganz kleinen Kuchen."
    Nach dem Essen setzt sich Žika noch mit einer Flasche Honigschnaps zu uns in die Laube oben am Hügel. Unten wälzt sich träge die Donau in ihrem Bett, es dämmert beinahe kitschig in Rosa und Orange. Was für ein magischer Platz - meint auch Žika: "Hier oben habe ich meine Ruhe gefunden, und hier bin ich ein extrem reicher Mensch geworden. Wissen Sie: Ich schätze Menschen nicht danach ein, wieviel Geld sie haben, sondern danach, wie viele Freunde sie haben. Ich selbst habe hier viele Freunde gefunden - und in diesem Sinne bin ich sehr reich und glücklich."