Schiefe Bilder und albernste Obszönitäten

27.02.2007
DBC Pierre, der für seinen Erstlings-Roman "Jesus von Texas" 2003 den englischen Booker-Preis bekam, erzählt in seinem neuen Werk die Geschichte von Bunny und Blair, zwei siamesischen Zwillingen, die erst im Alter von 33 Jahren getrennt werden. Doch diesmal geht alles schief: Verwundert, schockiert, schließlich empört sieht man einen Roman zugrunde gehen.
Das ist eine Geschichte, die man auf Anhieb liebt: Da verlottert ein Mensch sein Leben, als Spieler, Junkie, halber Gangster; im letzten Moment zieht er die Reißleine, setzt sich hin und schreibt einen Roman. Eine wilde, bizarre Story über einen jugendlichen Rüpel aus Texas, der in die Mühlen der Justiz gerät, zum Tode verurteilt wird und mit herrlicher Unverfrorenheit das System überlistet: Vernon God Little hießen Held und Buch, auf Deutsch "Jesus von Texas".

Diese atemberaubende Satire auf den American Way of Life war ein Schlag ins literarische Kontor, wurde ein weltweiter Bestseller und erhielt 2003 mit dem britischen Booker-Preis den öffentlichen Ritterschlag, auch das eine Sensation: Der Autor DBC Pierre war über Nacht ein Star und gemachter Mann. Und natürlich wartete die literarische Welt nach einem solch grandiosen Debüt gespannt auf die Fortsetzung dieser Karriere. Außer den Informationen über seine unselige Vergangenheit wusste man so gut wie gar nichts über diesen Autor. Was würde als nächstes kommen?

Also ist man hochgespannt auf diese Geschichte: Bunny und Blair sind zwei siamesische Zwillinge, die erst im Alter von 33 Jahren getrennt werden. In einem sozial degenerierten England – die Handlung spielt in nebulöser näherer Zukunft –werden die beiden aus dem Heim geschubst, in dem sie bislang verwahrt waren, und auf die Menschheit losgelassen. Angestellt bei einer dubiosen Partnervermittlungs-Agentur stößt Blair via Internet auf die Anzeige der kaukasischen Schönheit Ludmilla.

Sie hat gerade ihren zudringlichen Großvater aus Versehen umgebracht und sitzt nun mit ihrer Familie mächtig in der Bredouille: kein Geld, der Versorger tot, um sie herum tobt ein Bürgerkrieg. Genau dort nun fliegen die britischen, extrem weltfremden Zwillinge ein, um Ludmilla in den rettenden Westen zu holen ...

Kann mit einem solch burlesk-schmissigen "plot" etwas schiefgehen? Und wie! Nämlich alles! Verwundert, schockiert, schließlich empört sieht man einen Roman zugrunde gehen, von der ersten Seite an. In einer furchtbar pubertär-rotzigen Fäkalsprache, mit schiefen Bildern und albernsten Obszönitäten, schreibt DBC Pierre einen peinlichen Text zusammen, in dem nichts stimmt. Es wird geflucht, proletet, dämlich rumgeflachst, Klamauk und öder Slapstick auf Pennäler-Niveau, keine Spur jener literarischen Kraft, wie sie "Jesus von Texas" verströmte. Keine Figur wird richtig entwickelt, das reizvolle Thema der Zwillinge völlig geistlos ignoriert, Psychologie findet ebenso wenig statt wie irgendeine ernstzunehmende politisch-soziale Auseinandersetzung.

Man traut seinen Augen nicht! Soll das ein Witz sein? Es ist eher ein böser Scherz, dass dieses saudumme, ärgerliche Buch in 17 Ländern erscheint und vermutlich viele Leser zum Kauf animiert. Davor sei eindringlich gewarnt! Ich gehe jede Wette ein, dass "Bunny und Blair" bislang in einer Schublade verschimmelte, jetzt hervorgezaubert wurde, um im Fahrwasser des grandiosen Vorgängers ordentlich Kasse zu machen. Und diese Geschichte kennt man in der literarischen Welt leider allzu gut.

Rezensiert von Joachim Scholl


DBC Pierre, Bunny und Blair
Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens.
Aufbau Verlag, Berlin 2007, 396 Seiten, 19,90 Euro.