Schellnhuber fordert kohlenstofffreie Weltwirtschaft

Hans-Joachim Schellnhuber im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 23.03.2012
Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber ruft zu einem Umdenken in der Energiepolitik auf und fordert eine kohlenstofffreie Weltwirtschaft. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sagte, es stelle sich die Frage wie die öffentliche Hand die Politik in die richtige Richtung lenken könne.
Jan-Christoph Kitzler: Der UN-Gipfel von Rio 1992 war ein Meilenstein der Umweltpolitik. Damals wurde deutlich formuliert, dass Fragen des Umweltschutzes und der Entwicklungspolitik eng zusammenhängen und dass wir es alle nur gemeinsam schaffen, dafür zu sorgen, dass unser Planet in manchen Regionen wieder ein lebenswerter Ort wird, und dass er es in anderen Regionen bleibt. Die Agenda 21, die damals 172 Staaten unterzeichnet haben, ist ein Dokument mit großer Strahlkraft bis heute.

20 Jahre danach findet in Rio im Juni wieder ein Nachhaltigkeitsgipfel statt. Immerhin, das wird im wahrsten Sinne des Wortes eine Chefsache: 100 bis 120 Staats- und Regierungschefs werden erwartet, aber ob die sich wieder auf ein wegweisendes Dokument werden einigen können, daran gibt es Zweifel. Die Bundesregierung wird unter anderem beraten vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderung, Dieter Nürnberger fasst dessen Empfehlungen vor dem Gipfel kurz zusammen:

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Und der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung ist Professor Hans-Joachim Schellnhuber, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Schönen guten Morgen!

Hans-Joachim Schellnhuber: Guten Morgen!

Kitzler: Sie und Ihre Kollegen fordern die große Transformation, die soll möglichst schnell kommen – wir haben es gerade gehört –, möglichst innerhalb von 20 Jahren. Was muss denn bis dahin alles passieren?

Schellnhuber: Ja, im Wesentlichen müssen in den nächsten 20 Jahren die Weichen gestellt werden zu einer nahezu kohlenstofffreien Weltwirtschaft. Wir haben das entsprechend anhand der klimatischen Herausforderungen durchgerechnet, was bedeutet, dass im Grunde genommen der gesamte Industrielle Metabolismus auf eine nachhaltige Basis gestellt werden muss.

Und das hört sich vielleicht erst mal ein bisschen geschwollen an, aber es soll heißen, die Menschheit erwirtschaftet ihren Wohlstand im Augenblick auf der Basis von fossilen Energieressourcen, also Gas, Kohle, Erdöl und so weiter. Wir wissen erstens, dass diese Ressourcen zu Ende gehen, natürlich kann man noch sehr lange versuchen, Kohlenstoff aus der Erde zu kratzen. Es wird immer teurer werden, und nicht alle Menschen werden damit versorgt werden können, aber zweitens haben wir eben massive Umweltprobleme.

Also, was geschehen muss, ist, dass wir zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise global übergehen und die Energiesysteme sind eben der entscheidende Faktor in dem ganzen Spiel, also sich verabschieden von der Energiewirtschaft des 20. Jahrhunderts und einsteigen in die Energiewirtschaft des 21. Jahrhunderts.

Kitzler: Dieser Abschied, der passiert natürlich nicht in den Köpfen, sondern der muss auch irgendwie gesteuert werden. Sie beschreiben das ja auch, dass die Wirtschaft und die Verbraucher Anreiz bekommen müssen, um den Wandel einzuleiten. Wie muss das ganz konkret passieren?

Schellnhuber: Ja, zunächst einmal stellen wir fest, dass es eine Alternative gibt, nicht? Das ist ja ganz entscheidend. Zunächst mal müssen wir der Regierung eine Option vor Augen führen, dass es eine Alternative gibt zu dem, was wir den fossilen, nuklearen Komplex nennen in diesem Fall. Und angesichts der Potenziale, die wir etwa für die erneuerbaren Energien haben, angesichts aber auch der enormen Möglichkeiten, Energie zu sparen und Ressourcen zu schonen, gibt es ganz klar eine längerfristig volkswirtschaftlich überlegene Alternative, nämlich genau auf kohlenstoffarm zu wirtschaften, und der erste Schritt auf einer solchen Reise ist eben zunächst einmal eine Potenzialanalyse, die wir übrigens interessanterweise durchgeführt haben vor Fukushima, also dem nuklearen Desaster letztes Jahr, wo wir schon komplett eine Vollversorgung der globalen Weltwirtschaft mit erneuerbaren Energien und ohne Nuklearanteil durchgerechnet haben.

Wenn Sie das erst einmal haben, eine klare Einsicht, dass es aus wissenschaftlicher Sicht möglich ist, dann müssen Sie fragen, welche gestalterischen Elemente ins Spiel kommen müssten, wie also die öffentliche Hand beginnen muss zu lenken in die richtige Richtung, dann ist die Frage, wie die Wirtschaftssektoren sich neu aufstellen, und am Schluss entscheidet aber natürlich das Individualverhalten, wie sich der Konsument, der Wähler, wie auch immer, das Familienmitglied verhält. Und diese ganze Kette von Prozessen haben wir betrachtet, haben wir abgearbeitet und für alle einzelnen Schritte Empfehlungen durchgeführt.

Kitzler: Das wollte ich gerade fragen: Auf der einen Seite sagen Sie, es muss staatliche Steuerung kommen, auf der anderen Seite sagen Sie aber auch, demokratische Veränderungen sind notwendig. Ist das nicht ein Gegensatz?

Schellnhuber: Nein, ganz im Gegenteil, in einer offenen demokratischen Gesellschaft ist es eben kein Gegensatz, da haben Sie immer ein Gleichgewicht, ein Miteinander, auch ein Streiten von Allgemeinwohl und Partikularinteressen. Unser Bericht heißt ja Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Bisher, wenn haben wir nur über die große Transformation gesprochen, lassen Sie uns also jetzt über den Gesellschaftsvertrag sprechen: Der Staat bildet die Summe der Einzelvorstellungen und Einzelwünsche ab, gießt sie in Gesetze und sorgt dafür, dass die Rahmenbedingungen eingehalten werden, aber er ist eben immer in Bewegung in dem Sinn, wie sich neue Diskurse, neue Auseinandersetzungen in der Gesellschaft ergeben.

Wir glauben, dass gerade die Energiewende ist ein Gemeinschaftsprojekt der Zivilgesellschaft, das heißt, wir glauben, dass die Versorgung mit Energie möglichst kohlenstofffrei immer etwas ist, was jeden Einzelnen angeht, wo jeder Einzelne beitragen kann, wo auch jeder Einzelne seinen Willen bekunden kann, das kann er durch Wahlen tun, das kann er aber auch tun, indem er sich in Genossenschaften engagiert, die zum Beispiel für autonome Energieversorgung eintreten. Wir glauben, dass es einen gewaltigen Diskussionsbedarf in der Gesellschaft gibt, und wir glauben auch, und das bestätigen alle Meinungsumfragen übrigens weltweit, dass sich 90 Prozent der Menschen den Übergang zu erneuerbaren Energien wünschen, also muss dieser Diskurs jetzt auch von Seite der Politik mit der Zivilgesellschaft geführt werden.

Kitzler: Auf der anderen Seite sind das natürlich gerade schwierige Zeiten für das Thema Nachhaltigkeit, für Klimaschutz, weil viele Staaten gerade versuchen, irgendwie durch die Krise zu kommen und die Politik, so scheint es zumindest, nicht gerade vor Zukunftsvisionen strotzt.

Schellnhuber: Ja.

Kitzler: Wie wird das eigentlich aufgenommen, Ihr Gutachten, auch von der Bundeskanzlerin, vom Umweltminister? Rennen Sie da zurzeit offene Türen ein?

Schellnhuber: Na ja, zunächst einmal sprechen wir über die Finanzkrise: Einerseits haben Sie recht, viele sind gelähmt durch die Furcht, dass nun unser Geld entwertet werden könnte oder was auch immer geschieht, gleichzeitig zeigt ja gerade die Finanzkrise, dass nicht nachhaltiges Wirtschaften irgendwann im Absturz endet. Also die Lehren werden gezogen werden, wenn sich der Staub ein bisschen gesenkt hat.

Ja, wir rennen in der Tat in vielerlei Hinsicht offene Türen ein – bei der Bundesregierung, bei den Parteien, es gibt da natürlich wie immer den politischen Streit, es gab Initiativen verschiedener Länder im Bundesrat, sogar explizit die Empfehlungen unseres Gutachtens umzusetzen, in entsprechende Gesetzesvorlagen zu gießen und so weiter, da ist natürlich dann das Parteienfarbenspiel wieder dabei, das möglicherweise solche Dinge verhindert. Ich glaube, dass in einem neuen Koalitionsvertrag, den wir nächstes Jahr bekommen werden, ganz gleich, wie die Regierung aussieht, dass unsere Anregungen dort sehr wohl Resonanz finden werden.

Und in der Öffentlichkeit ist die Aufnahme der verschiedenen Elemente unseres Gutachtens ausgesprochen enthusiastisch, in den Medien entsprechend. Es haben sich viele Forschungsinitiativen jetzt entwickelt – nein, wir sind der Meinung, dass unsere Gutachten durch eine große offene Tür gegangen sind.

Kitzler: Hans-Joachim Schellnhuber, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag!

Schellnhuber: Ihnen auch, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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