Scheinschlachtung

28.04.2007
Gibt es einen neuen Fleischskandal? Die Redakteure von "Report" in Mainz berichteten aktuell über den Verdacht, ein norddeutsches Unternehmen habe "Kadaver" von Rindern verwertet. Die Tierkörper seien zu Döner und Würstchen verarbeitet worden. Klingt alles nicht sehr appetitlich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Hintergrund: Die Praxis, totes Vieh zu schlachten, ist so neu nicht und war früher weit verbreitet. Meldungen zu diesem Thema wurden häufig mit dem Hinweis abgelehnt, dies würde "den Verbraucher verunsichern". In den achtziger Jahren bis zum Anfang der Neuziger kam es bei Schweinen durch die Stressanfälligkeit zu enormen Verlusten. Die Züchtung auf Fleischreichtum ("Vierschinkenschwein") vermehrte den Anteil weißer Muskelfasern, deren Stoffwechsel nicht sonderlich belastbar ist. Gleichzeitig wurden die – wirtschaftlich uninteressanten – inneren Organe vernachlässigt. So verkleinerte sich beispielsweise den Herzmuskel bezogen auf das Gesamtgewicht um gut die Hälfte. Bei ungewohnter Belastung entgleist der Stoffwechsel. Dabei kommt es zur Überhitzung des Körpers. Bedauerlicherweise verfügt das Schwein über kein effektives System zur Regulation der Temperatur. Ihm fehlen Schweißdrüsen, die für Kühlung sorgen könnten.

Die Folgen: Bereits während der Mast starben in den achtziger und neuziger Jahren Jahr für Jahr Millionen der hochempfindlichen Schweine. Weitere 500.000 Artgenossen überlebten den Transport zur Schlachtung nicht. Sie waren schon tot, als sie den Schlachthof erreichten. Ungezählte Tiere krepierten nach dem Abladen in den Treibgängen auf dem Weg zur Tötungsbucht.
Der wirtschaftliche Schaden war enorm und wurde dadurch gemildert, dass sparsame Schlachthofbetreiber die verendeten Tiere (das heißt Aas) in den Treibgängen mit dem Gabelstapler einsammelten, zerlegten und verkauften. "Aus Gerichtsentscheidungen ist ersichtlich, dass transportverendete Schweine in den normalen Schlachtprozess eingeschleust werden. Dabei wird von erheblichen Dunkelziffern gesprochen", teilte die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach 1981 mit. Die Fachwelt sprach bisher von Scheinschlachtungen, aber seit der Begriff von der Sadomaso-Szene für andere Praktiken vereinnahmt wurde, ist nun von Totschlachtungen die Rede.

Und heute? Heute spielen derartige Praktiken in der Nutzviehhaltung keine große Rolle mehr. Der wichtigste Grund für diese Entwicklung ist die Züchtung. Die Stressanfälligkeit konnte dadurch weitgehend ausgemerzt werden. Dadurch sind die Tierverluste massiv zurückgegangen. Der zweite Grund ist die Entwicklung geeigneter Nachweisverfahren, mit denen man Fleisch von tot geschlachteten Tieren erkennen kann. Allerdings scheint es immer wieder ein paar Idioten zu geben, die glauben, damit den schnellen Euro machen zu können. Aber das ist im Vergleich zur Situation vor 25 Jahren schon fast belanglos.

Wie riskant ist das? Von jedem Tier, dessen Todesursache nicht klar ist, geht natürlich ein Risiko für den Verbraucher aus, denn es kann an Krankheiten verendet sein, die auch für den Menschen gefährlich sind. Es sind ja nicht die gesündesten Tiere, die auf dem Weg zum Schlachthof verenden. Zudem können sich Mikroorganismen aus dem Darmtrakt selbstständig machen, und das Muskelfleisch kontaminieren, vor allem wenn es noch dazu heiß ist. Durch die Verarbeitung zu Döner werden allerdings viele Keime am Grill abgetötet. Dennoch: Aas gehört nicht in die Dönerbude, sondern in die Abdeckerei.

Quellen: Stolle FA: Rechtsfälle "Scheinschlachtungen" – Zur Eignung des Proteinmusters von Muskulaturextrakten für die Feststellung von mutmaßlich scheingeschlachteten Mastschweinen. Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 1985; 92: 478-481
Woltersdorf W: Kriterien zur Erkennung unzulässig gewonnenen Schweinefleisches. Mitteilungsblatt der Bundesanstalt für Fleischforschung Nr.74, S.4859 vom 1.12.1981