Scheinheilige Datenschutzdebatte

Von Peter Lange, Chefredakteur Deutschlandradio Kultur · 29.06.2013
Um den jahrelang gesuchten Autobahnschützen zu fassen, hat die deutsche Polizei datentechnisch so gehandelt wie die Geheimdienste der USA und Großbritanniens, kommentiert Peter Lange. Dass die einen gefeiert werden und die anderen mit Protesten überzogen, hält er für scheinheilig.
In dieser Woche hat die Polizei den Autobahnschützen gefasst. Einen Lkw-Fahrer, der fast fünf Jahre lang über 750-mal auf andere Lastwagen, Pkws und Gebäude geschossen hat. Eine Frau wurde dabei schwer verletzt, und nur durch viel Glück ist es nicht zu schweren Unfällen gekommen. Um den Täter zu ermitteln, sollen die Fahnder für einige Tage 60 bis 80 Millionen Datensätze erfasst und abgeglichen haben. Vielleicht machen Sie an sich selbst den Test: Sind Sie erleichtert, dass der geständige Täter gefasst wurde? Oder sind Sie besorgt wegen des Umfangs der Datensammlung?

Es geht um ein Dauerthema: das Verhältnis von Sicherheit und Bürgerrechten. Die deutsche Polizei hat – wenn auch unter Einbeziehung eines Datenschutzbeauftragten – nichts anderes getan als die Geheimdienste der USA und Großbritanniens. Die Polizei kann einen Fahndungserfolg feiern, die Geheimdienste und die verantwortlichen Regierungen sehen sich einer Protestwelle ausgesetzt.
Es ist eine Diskussion, die geprägt ist von Leichtfertigkeit, Naivität und Scheinheiligkeit.

Eigentlich sollte inzwischen jeder Mensch mit ein bisschen Verstand wissen, dass im digitalen Alltag der leichtfertige Umgang mit privaten Daten bis hin zur Selbstentblößung per se von Übel ist. Und wenn jeder Jugendliche mit ein wenig Erfahrung in der Lage ist, E-Mail-Accounts zu knacken; wenn die Cyberkriminalität zur Boombranche wird wegen der Unbedarftheit vieler Zeitgenossen: Wer ist dann so naiv zu glauben, dass Geheimdienste die Suchmaschinen-Technologie nicht einsetzen? Und ehrlich gestanden erwarte ich auch, dass ein aus Steuergeldern bezahlter Geheimdienst wie der BND mitkriegt, wenn irgendwo auf der Welt irgendwelche Islamisten, Salafisten, Dschihadisten, Rechts-.oder Linksextremisten per Mail oder Handy terroristische Schandtaten gegen arglose Zeitgenossen verabreden.

Datenschutzrecht und digitale Technologie
Hier beginnt nun die Scheinheiligkeit: Alle Regierungen, auch die in Berlin – egal ob rot-grün, rot-schwarz oder schwarz-gelb – dürften von einer zutreffenden Annahme ausgehen. Dass nämlich fremde wie eigene Geheimdienste technologisch in ähnlicher Weise vorgehen, wenn sie in der digitalen Welt Bürger anderer Staaten ausforschen. Und sollte der BND zum Beispiel irgendwelche Mails aus Pakistan auswerten, dann wird er dabei nicht das deutsche Datenschutzrecht anwenden. Es ist ein Feld, in dem man es eigentlich nicht so genau wissen will. Am Ende interessieren Informationen, Erkenntnisse und Analysen, nicht aber, wie diese zustande gekommen sind. Denn genaues Wissen über Art und Umfang dieser Art von Informationsgewinnung hätte zwingend zur Folge, dass man versuchen müsste, seine Bürger davor schützen. Da hat man schon verloren, bevor man angefangen hat. Nichts hat das besser illustriert als der liebenswürdige Brief, den Innenminister Friedrich von der britischen Botschaft erhalten hat.

So sehr die flächendeckenden Spähprogramme der NSA dem zuwiderlaufen, was man unter Freunden und Verbündeten mit gleichen politischen Wertvorstellungen für zumutbar hält – der eigentliche Skandal ist das Verhalten Großbritanniens. Das EU-Mitglied hat die Charta der Grundrechte der Europäischen Union akzeptiert. Darin heißt es in Artikel 8: Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlichen legitimen Grundlage verarbeitet werden. Zitatende. Dagegen verstoßen die britischen Geheimdienste mit ihrem Spähprogramm eindeutig. Und so zeigt sich an diesem Beispiel wieder einmal die europäische Krankheit: große Deklarationen und Sonntagsreden, aber viel bürokratisches Kleinklein. Wenn es um den Schutz vitaler Interessen der europäischen Bürger geht, wie hier um den Schutz personenbezogener Daten, tun einige Regierungen noch immer so, als sei die Nachbarschaft feindliches Ausland.

Das Verhältnis zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten und Sicherheit muss ständig neu justiert werden. Es bedarf einer öffentlichen Debatte, was uns unsere Sicherheit wert ist. Es braucht einen transparenten rechtlichen Rahmen und eine wirksame parlamentarische Kontrolle. Zumindest auf EU-Ebene sollte das kein unerreichbares Ziel sein.
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