Schauspielstar mit tierischen Rollen

Isabella Rossellini im Gespräch mit Holger Hettinger · 08.02.2013
Mit einem Ehrenpreis wird die italienische Schauspielerin Isabella Rossellini für ihr Engangement für die Berlinale ausgezeichnet. Im Radiofeuilleton sprach sie über pragmatische Tiere, romantische Forscher - und erklärte, warum der Naturforscher Charles Darwin Unrecht hatte.
Holger Hettinger: Isabella Rossellini schlüpft in Tierrollen, um uns den Menschen etwas genauer zu erklären. In "Green Porno" hat Isabella Rossellini uns Einblicke vermittelt, wie sich Tiere paaren. In "Mammas", ihrem neuen Film, jetzt vier Jahre später entstanden, geht es darum, wie Tiere ihren Nachwuchs großziehen. Und, was soll man sagen: Es ist enorm, welche Tricks und Kniffe sich Tiere einfallen lassen, um ihre Jungen großzuziehen und durchzubringen. Isabella Rossellini schlüpft immer in die Rollen eines Kuckucks, einer Spinne oder eines Hamsters.

Isabella Rossellini ist nun hier im Berlinale-Studio von Deutschlandradio Kultur. Isabella, kann man sagen, dass es in "Green Porno" um den Spaß ging und in "Mammas" um die Arbeit?

Isabella Rossellini: Ja, aber wir wissen nicht, ob es wirklich so anstrengend ist, eine Mutter zu sein. Was faszinierend ist an der Natur, ist ihre Vielfalt. All die Strategien des Liebesspiels oder der Verführung, wie ich sie auch in meiner zweiten Filmreihe "Verführungstechniken" zeige. Jetzt in der "Mamas"-Reihe habe ich mir den mütterlichen Instinkt genauer angesehen. Wir glauben alle zu wissen, was Mutterinstinkt ist, aber wenn man das näher betrachtet, sind da viele Möglichkeiten, wie man das Problem, sich um die Kinder zu kümmern, lösen kann.

Hettinger: Isabella, Sie gehen augenzwinkernd einigen Klischees und Annahmen auf den Grund, zum Beispiel einer Theorie Darwins, wonach Altruismus eine Art Mutterliebe ist, die ins Generelle gewendet wird. Und wie um diese Theorie zu widerlegen, schlüpfen Sie in die Haut eines Hamster-Weibchens, das die schwächeren unter ihren Nachkommen aufisst, um sich zu stärken. Wie ist das - befrachten wir solche Instinkte wie Mutterliebe mit romantischen Wünschen und Sehnsüchten, die mit der Natur herzlich wenig zu tun haben?

Rossellini: Natürlich – das war immer das große Problem der Wissenschaft, das man sie nie ganz von unserer Kultur loslösen konnte. Darwin hat sich die grundlegende Biologie des Altruismus angesehen, der ja ein Widerspruch zur natürlichen Auslese wäre, nach der ja der Stärkste überlebt, mehr Nachkommen produziert, etc. – Warum sollte also ein altruistisches Opfer für andere existieren? Warum sollte die Evolution das zulassen?

Er betrachtete also die Mutterschaft und nahm an, dass es in ihrer Natur läge, sich aufzuopfern. Heutige Wissenschaftler, vor allem weibliche, vermuten nun, dass Darwin vielleicht von der viktorianischen Kultur seiner Zeit beeinflusst war, in der Annahme, dass Frauen eher dazu neigen, sich selbst aufzuopfern als Männer. Und wenn sie sich diese Tiere ansehen, wie sie tatsächlich ihre Nachkommen essen, merken sie, dass es eben nicht um Opfer geht sondern um gutes Management.

Hettinger: Ein Motiv, dem man sowohl in "Green Porno" als auch in "Mammas" begegnet, das ist das Gefressenwerden. Die Gottesanbeterin etwa in "Green Porno", in "Mammas" wird die Spinnen-Mutter von ihrem Nachwuchs verzehrt. Haben Sie eine Erklärung für diese große Nähe von Sex und Nahrungsaufnahme?

Rossellini: Nun, wir essen Tiere, und Tiere essen uns und andere Tiere und manchmal essen sie sich kannibalisch innerhalb einer Art gegenseitig. Der Wissenschaftler wird hier wahrscheinlich annehmen, dass es der Eiweißbedarf ist, der sie dazu bringt. Wenn also die Gottesanbeterin ihr Männchen während der Paarung isst, heißt das, dass sie nicht nur sein Sperma, sondern auch eine hohe Dosis Proteine benötigt, um ihre Eier reifen zu lassen. Und dieses Protein nimmt sie sich eben direkt von ihrem Ehemann.

Hettinger: Waren Sie auch mal eifersüchtig auf eines der Tiere, die Sie in "Mammas” dargestellt haben?

Rossellini: Eifersüchtig zu sein ist da schwierig. Was wirklich ganz wunderbar ist, dass wir ja manchmal über Homosexuelle als etwas der Natur entgegengesetztes sprechen – natürlich gehöre ich nicht zu den Leuten, die sich gegen die sexuellen Vorlieben anderer aussprechen – aber auch ich habe dieses Argument schon gehört, dass es gegen die Natur sei. Wenn man sich aber die Natur anschaut, merkt man, dass es dort alles gibt. Natürlich gibt es Homosexualität bei Tieren. Es gibt die ganze Vielfalt, die die Welt so wundervoll macht, wie sie ist. Wenn das Studium der Tierwelt etwas bei mir bewirkt hat, dann hat es mich offener gemacht.

Hettinger: Im Vergleich zu "Green Porno" ist die Ästhetik von "Mammas" ganz anders – "Green Porno" hatte diesen improvisiert-spielerischen Charme mit ganz viel Pappmaché, "Mammas" ist viel aufwendiger, kunstvoller, da haben die Tierkostüme regelrechtes Haute-Couture-Format. Warum haben Sie sich für diese kompliziertere Machart entschieden?

Rossellini: Das war eine praktische Notwendigkeit. Die ersten Filme wurden in den USA produziert für den Sundance Channel, diese Reihe dagegen wird von Arte produziert, Bedingung war, dass ich in Frankreich arbeite und ich konnte nicht mit meinem amerikanischen Team kommen, weil sie keine Visa hatten. Ich musste in Frankreich also mit einem komplett neuen Team arbeiten und entschied dann, mich der Landeskultur anzupassen und die lokale Kultur war nun mal Haute Couture – außerdem hatte ich schon viel Erfahrungen mit der Modewelt, als ich jünger war, habe ich als Model gearbeitet. Also habe ich meine Freunde aus der Haute Couture angerufen und wir haben die aufwendigsten Kostüme gemacht – das ist in der Tat ganz anders an "Mammas".

Hettinger: Wenn man heute in eine Buchhandlung geht, dann gibt es regalmeterweise Ratgeber und Bekenntnisliteratur, wie man ein Kind aufzuziehen hat – und wenn man das so sieht, dann wundert man sich, wie die Menschheit überleben konnte, als es all das noch nicht gab. Sind Tiere letztlich nicht besser dran, weil sie sich dieser Verunsicherungsliteratur nicht aussetzen müssen?

Rossellini: Ja, die können schon mal nicht lesen. Aber wenn Sie sagen, dass es all diese Erziehungsratgeber gibt, dann würde ich annehmen, dass es daran liegt, dass zumindest in den USA die Großmütter nicht mehr so präsent sind, wie sie es mal waren. Die Familien sind ziemlich klein geworden. Und diese Erfahrung des Lebens mit älteren Familienmitgliedern gibt es auch im Tierreich. Beim ersten Wurf kann es sein, dass die Tiere auch noch keine besonders guten Mütter sind, manche Tiere brauchen tatsächlich das sichtbare Vorbild älterer Tiere, die Mütter sind, um selber zu lernen. Das sieht man sehr deutlich bei Schimpansen oder bei Elefanten. Bei Tieren, die sehr verschieden von uns sind, wie Insekten, sind die Unterschiede vielleicht größer, aber auch dort gibt es einen Lernprozess in der Mutterschaft, nicht nur den Instinkt.

Vor Darwin ging man immer noch davon aus, das wir über die Fähigkeit des Verständnisses, der Argumentation und der Intelligenz verfügen, und dass die Tiere wie Maschinen sind, geboren mit ihrem Instinkt, der der Maschine sagte, wie sie zu laufen habe. Das stimmt so natürlich nicht. Es gibt nach wie vor Instinkte, auch wir haben natürlich Instinkte, so wie ein neun oder zehn Monate altes Baby, das gerne laufen möchte – was löst diesen Wunsch aus, ist das ein Instinkt oder ein Impuls? Aber wie auch bei den Tieren ist das eine sehr komplexe Angelegenheit, und das sieht man sich jetzt eben viel genauer an. Denn, wenn das Tier denken kann, sich an etwas erinnern, dann hat es ein Gehirn, eine Fähigkeit zu verstehen, eine Intelligenz – und das ist jetzt die größte Aufgabe: herauszufinden was die Unterschiede und was die Gemeinsamkeiten zwischen uns und den Tieren sind – und hier kommt Darwin ins Spiel.

Er sagte, wir sind mit den Tieren verbunden, unsere Intelligenz ist wahrscheinlich nicht einzigartig. Wir mögen intelligenter sein, oder über mehr Fähigkeiten verfügen, wir können Bücher schreiben und sie lesen, aber Tiere können zum Beispiel navigieren oder komplizierte Wanderungsbewegungen durchführen ohne irgendwelche Instrumente.

Hettinger: In "Green Porno" ging es um Fortpflanzung, in "Mammas" geht es nun um das Aufziehen von Nachwuchs. Was kommt als Nächstes?

Rossellini: Zurzeit arbeite ich mit einem großartigen französischen Autor namens Jean-Claude Carrière. Er hat zum Beispiel für Luis Bunuel "Belle de Jour" und "der diskrete Charme der Bourgeoisie" geschrieben, er hat auch mit Milos Forman und Peter Brook gearbeitet. Es ist eine große Ehre für mich, mit ihm arbeiten zu können. Wir arbeiten an einem Monolog über Biologie und Vielfalt, was ihn auch sehr interessiert, und ich hoffe, dass wir diesen Sommer mit dem Stück fertig sein werden.

Hettinger: Isabella Rosselini - ganz herzlichen Dank für das Interview!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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