Schauspielerin Youn Yuh-jung

Mit der ersten Frage ins Fettnäpfchen

Die südkoreanische Schauspielerin Youn Yuh-jung im Jahr 2012.
Die südkoreanische Schauspielerin Youn Yuh-jung im Jahr 2012. © picture alliance / dpa / Ian Langsdon
Von Holger Hettinger · 18.02.2016
Nicht selten entscheidet die erste Frage, welchen Verlauf ein Interview nimmt. Im Gespräch mit der Meryl Streep Ostasiens, der Schauspielerin Youn Yuh-jung, landet unser Redakteur Holger Hettinger knietief im Fettnäpfchen - und trotzdem gibt es ein Happy End.
Jawolllll, mein Interview mit der Schauspielerin Youn Yuh-jung und dem Regisseur E J-yong ist gerade mal zwei Minuten alt, und ich stehe mit beiden Beinen knietief im Fettnäpfchen. Der südkoreanische Film "The Bacchus Lady" illustriert eine ganz besondere Facette der Altersarmut: in einem Park inmitten der Häuserschluchten von Seoul verkaufen ältere Frauen im Alter von 60 bis 70 Jahren das Getränk "Bacchus" – so eine Art asiatisches "Red Bull" – und sind daneben auch für sexuelle Gefälligkeiten zu haben.
Das erzählt der Film so lebhaft, beiläufig und augenzwinkernd, dass ich mich animiert fühle, in bester Horst-Schlämmer-Manier – "knallhart nachjefraacht!" – einfach mal lässig zum Einstieg das Thema Armutsprostitution im Alter anspreche: da gehen die Augenbrauen von Schauspielerin und Regisseur erstmal in die Höhe – denn auch wenn der Film das Thema mit einer beiläufigen Selbstverständlichkeit beleuchtet, heißt das noch lange nicht, dass man in Südkorea offen darüber plaudert:
Youn Yuh-jung: "I didn't, because not many people have this kind of experience, and it's very special for an old lady, for old ages. We heard about that, we heard a lot of things about that."
Sie hat sich vorher noch nicht mit diesem Thema befasst, da es schon sehr speziell sei – man kennt das Thema aber eher vom Hörensagen, meint Youn Yuh-jung, die die "Bachhus Lady" in diesem Film verkörpert, und der Regisseur E J-yong ergänzt:
"It's not a secret, but ignored for many years. Because it's the dark side of the society."
Es sei kein Geheimnis, aber man habe das Thema lange ignoriert – weil es die dunkle Seite der südkoreanischen Gesellschaft ist, sagt er. Einer Gesellschaft, die sich brutal gewandelt hat in den letzten Jahrzehnten.

Zu pessimistisch für das breite Kinopublikum?

War es in Korea üblich, dass sich die Kinder um ihre alternden Eltern kümmern und im Großfamilienverbund zusammenleben, so sind diese alten Bindungen aufgebrochen: durch eine massive Landflucht, die die Kinder zur Arbeit in oft weit entfernten Orten zwingt, und durch ein Wirtschaftswunder, das ganz auf das reibungslose Abschnurren der ökonomischen Maschinerie setzt und die gewachsenen Beziehungen und Traditionen darüber vernachlässigt.
Offen gesprochen wird darüber nicht – und Youn Yuh-jung ist skeptisch, ob sich durch diesen Film daran etwas ändert. Der südkoreanische Mainstream-Geschmack setzt auf leichte Unterhaltungsware, ganz wie überall sonst auch. Nun ist "The Bacchus Lady" kein düsteres Sozialdrama – eher eine leicht dahingetupfte, melancholische Mediation über die Themen Alter, Armut und Würde, die im Verlauf des Films noch einensehr humoristischen Unterton bekommt, nach Art der "Fabelhaften Welt der Amélie": die alte Prostituierte kümmert sich selbstlos um ihre bedürftigen Mitmenschen, und wird dann schließlich belohnt.
Doch ungeachtet dieses versöhnlichen Motivs - die Schauspielerin fragt sich, ob dieser Film nicht doch zu pessimistisch für das breite Kinopublikum sein könnte:
"My opinion is: I am not sure if it is too depressing for the people, it is not optimistic; so I don't know what's going to happen."
Doch Youn Yuh-jung stellt das vielleicht etwas düsterer dar, als es eigentlich ist. Denn die Schauspielerin ist nicht irgendwer in Südkorea – sondern die mit Abstand berühmteste Darstellerin des Landes, so eine Art Meryl Streep Ostasiens. Wer, wenn nicht sie, wird die Menschen ins Kino locken – und damit auch das Thema auf die Agenda des gesellschaftlichen Diskurses setzen?

Lobt mich für "german directness"

Und weil ich ohnehin meinen Ruf als der ungehobelte deutsche Journalist weg habe, weil ich unbedachterweise gefragt habe, wie sie sich denn auf diese Rolle vorbereitet habe, ist es nun eh egal, was Youn Yuh-jung von mir denkt – da kann ich sie dann auch fragen, ob sie nicht Sorge um ihren Ruf als Schauspielerin hat, wenn sie nach all den glamourösen Rollen nun eine Prostituierte in Jeansjacke spielt, die in einem Park anschaffen geht?
Da lacht Youn Yuh-jung erstmal – "in meinem Alter ist mir das egal!"
"At my age, I don't care! Really! Sorry talking about my age – but I have nothing to loose. After all, I am actress, I can do anything."
Zum Abschluss herzt mich die Schauspielerin, der Regisseur lobt mich für meine "german directness" – gerne geschehen! Oder, wie es in pathetischen amerikanischen Filmen heißt: ich habe es für mein Land getan!
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