Schauspielerin Trine Dyrholm

"Die Kommune" erinnert mich an meine Jugend

66. Internationale Filmfestspiele Berlin, 20.02.2016, Verleihung der Bären, Preisträger Silberner Bär für die Beste Darstellerin: Trine Dyrholm (Schauspielerin "Kolektivet").
Trine Dyrholm wurde auf der Berlinale 2016 mit dem Silbernen Bären als beste Darstellerin ausgezeichnet. © picture alliance/dpa/Kay Nietfeld
Trine Dyrholm im Gespräch mit Patrick Wellinski · 23.04.2016
Seit dieser Woche läuft Thomas Vinterbergs "Die Kommune" in den Kinos. Hauptdarstellerin Trine Dyrholm erhielt für ihr Spiel auf der Berlinale den Silbernen Bären. Sie spricht über die FKK-Zeltlager ihrer Kindheit und darüber, warum das WG-Experiment im Film scheitert.
Patrick Wellinski: "Die Kommune" spielt in den 70er-Jahren in Dänemark, eine sehr politische Zeit. Man spürt so ein bisschen eine Utopie in der Luft. Sie mussten sich ja auf diese Rolle vorbereiten. Sie sind Jahrgang 1972. Was erinnern Sie von der Zeit?
Trine Dyrholm: Ich bin einer ziemlich aufgeschlossenen Umgebung aufgewachsen. Meine Eltern waren Lehrer. Ich erinnere mich daran, dass ich mit meiner Mutter bei Demonstrationen war, wir sind für Frieden und gegen Atomwaffen auf die Straße gegangen. Und dann gab es da diese Zeltlager, wo alle nackt waren. Ich gehörte zu den wenigen, die Kleidung trugen. Es war nicht so hippie-mäßig wie es klingt. Vieles ähnelte dem, was im Film "Die Kommune" passiert, aber ich habe es weniger radikal erlebt.

Sie verliert den Boden unter den Füßen

Wellinski: Sie spielen Anna, die mit Eric verheiratet ist. Er ist Architekturprofessur, sie ist Nachrichtenmoderatorin. Sie haben eine Tochter, die Ehe funktioniert, und dann erben sie ein großes Haus und können es sich nicht ganz leisten und beschließen dann eben, diese Kommune zu gründen. Und plötzlich beginnt die Ehe so ein bisschen zu kriseln. Ich habe mich gefragt: Liegt das daran, dass die beiden jetzt in der Kommune wohnen?
Dyrholm: Ich glaube, Anna geht in den Anderen geradezu auf, und Eric kann das nicht akzeptieren. Er braucht eine junge Frau, die ihn bewundert. Aber ich denke auch, dass Anna diese Kommune gründet, weil sie im Grunde wenig vom traditionellen Familienleben hält. Sie ist gelangweilt, will das Leben erkunden. Und deshalb überzeugt sie ihn, das Haus für ein Leben in der Kommune zu nutzen.
Ich denke, sie sehnt sich vielleicht nach etwas, dass sich ihr letztendlich als die Suche nach sich selbst offenbart. Und sie braucht ihre Tochter, die sie herausholt, als ihr der Boden unter den Füßen wegrutscht. Es ist ziemlich peinlich, dass ihre Tochter das erleben muss. Aber manchmal ist das Leben eben so. Dein Gefühlsleben dominiert alles, und du bist nicht so stark, wie du glaubst.
Wellinski: Wenn Eric Anna betrügt, geschieht ja das relativ schnell und der Film spielt das sehr cool und Anna reagiert sehr, also oberflächlich gesehen, entspannt darauf, dass ihr Mann ihr sagt "Du, ich betrüge Dich". Warum reagiert sie so entspannt?
Dyrholm: Ich denke, das ist zu dem Zeitpunkt gar keine große Überraschung. Überraschend ist eher, dass er sich in diese neue Frau verliebt. Ich glaube, das trifft Anna in dieser Szene sehr. Für einen Moment sieht sie, wie ihr ganzes Leben, wie ihre Ehe zerbricht. Gleichzeitig muss sie offen sein.
In ihrem Umfeld würde sie als fürchterlich altmodisch angesehen, wenn sie offene Beziehungen nicht tolerierte, und ich denke, dass sie wirklich glaubt, ihn loslassen zu können. Sie will ein freier Geist sein und im Kreis von Gleichgesinnten leben. Ich glaube, das ist ihr Dilemma. Einerseits will sie, dass es geschehen kann, andererseits kann sie es nicht ertragen.
Wellinski: Beide haben ja auch eine Tochter und diese Tochter ist auch mit diesem Problem irgendwann allein gelassen. Und ich habe mich gefragt, sind Anna und Eric gute Eltern?

Der Egoismus der Eltern

Dyrholm: Ich denke, sie sind gute Eltern, aber was sie tun, das ist schon ziemlich egoistisch. Eric findet nicht aus der patriarchalen Rolle heraus. Es ist so, als hätten selbst die Wände, zwischen denen sie leben, den starken Einfluss seines dominanten Vaters aufgesogen. Anna ist pure Emotion. Sie ist in ihren eigenen Gefühlen gefangen und steckt fest. Der Tochter bleibt gar nichts anderes übrig, als sich wie eine Erwachsene zu verhalten.
Wellinski: Wenn man Sie dann beobachtet in dem Film, wie Sie diese Anna spielen, kam mir der Vergleich, man sieht irgendwie Gena Rowlands aus den Cassavetes-Filmen. Und ich wollte fragen, war Gena Rowlands eine Bezugsperson für Sie?
Dyrholm: Ich habe mit ein paar Cassavetes-Filme angeschaut und ich mag sie als Schauspielerin einfach sehr. Ja doch, sie hat mich ein wenig inspiriert…
Wellinski: Ich wollte Sie noch nach der Politik fragen, weil in der Kommune spielt sich ein Leben ab und außerhalb ein anderes. Also Anna ist ja auch Nachrichtenredakteurin und muss Nachrichten aus der ganzen Welt präsentieren. In Kambodscha wird gerade ein Völkermord verübt. Aber die Leute in dieser Kommune wirken so selbstsüchtig. Ist das denn ein politischer Akt, in dieser Kommune zu wohnen?

Bier und Politik am Kommunen-Tisch

Dyrholm: Nein. Ich denke, sie sind Intellektuelle. Thomas Vinterberg wollte eine Umgebung schaffen, in der man genauso gut über Bier und andere banale Dinge des Alltags diskutieren kann wie über Politik. Es zeigt sich, dass man sein Leben mit lauter unwichtigem Zeug vergeuden kann. Sie diskutieren wirklich alles. Thomas nutzt diese Haltung, um zu zeigen, wie eine Familie auseinanderbricht. Eric und Anna breiten ihre ganz privaten Angelegenheiten am Tisch aus. Die Kommune sitzt rings herum und schaut und hört zu. Er nutzt den Film, um genau das zu zeigen.
Wellinski: Wenn Sie ihn schon erwähnen, Thomas Vinterberg, es ist, wenn ich mich nicht irre – ich habe versucht, es nochmal zu checken -, erst die zweite Zusammenarbeit mit Ihnen beiden, und das wirkt so seltsam lang, weil der erste Film, den Sie zusammen gemacht haben, "Das Fest", ja sowohl seine internationale Karriere als auch Ihre gestartet hat. Warum kam das denn so?
Dyrholm: Ich mag die Art, wie er ein großes Drama aufbaut, es erzählt und ins Licht setzt. Da empfinde ich sehr ähnlich. Er hat viel Humor, und ich finde es toll, dass er wirkliche Menschen zeigt. Ich meine, sie haben eine große, packende Lebendigkeit, und man schlüpft den Charakteren unter die Haut. Er ist einfach ein sehr talentierter Regisseur und es ist wunderbar, mit ihm zu drehen.
Er verliert das wirklich Wichtige nie aus den Augen. Er schafft eine Atmosphäre am Set, die konzentriert ist und zugleich offen. Ich mag es, wenn ich beim Spielen das Gefühl habe, die Rolle geht mich wirklich an. Und er erlaubt einem, sich als Person einzubringen. Es macht einfach sehr viel Spaß, mit ihm zu arbeiten.
Wellinski: Dann noch eine letzte Frage, Frau Dyrholm: Wie suchen Sie sich eigentlich Ihre Rollen aus? Nach was gehen Sie da vor?
Dyrholm: Ich suche die Komplexität, das Vielschichtige und natürlich mag ich Charaktere, die weder Weiß noch Schwarz gezeichnet sind. Ich achte darauf, mit guten Leuten zusammenzuarbeiten, und je älter ich werde, desto wichtiger wird dies. Ich achte noch mehr darauf, mit wem ich drehe. Schließlich ist man bei Dreharbeiten gut zwei Monate von seiner Familie getrennt. Es muss also eine interessante Herausforderung sein, wenn man sich darauf einlässt, und es muss Spaß bringen. Natürlich nicht nur Spaß. Das allein würde nicht reichen, nein, man muss schon das Gefühl haben, daß es einen bereichert.
Übersetzung: Sigrid Brinkmann
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