Schauspielerin Sesede Terziyan

Theater als Labor

32:19 Minuten
Die Schauspielerin Sesede Terziyan im Stück "Glaube Liebe Hoffnung" von Ödön von Horváth und Lukas Kristl am Maxim Gorki Theater Berlin
Die Schauspielerin Sesede Terziyan im Stück "Glaube Liebe Hoffnung" von Ödön von Horváth und Lukas Kristl am Maxim Gorki Theater Berlin © Maxim Gorki Theater / Esra Rotthoff
Moderation: Ulrike Timm · 01.03.2019
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Sie ist einer der Stars des Berliner Maxim Gorki Theaters: Sesede Terziyan. Derzeit spielt sie in dem Stück "Glaube Liebe Hoffnung" eine Frau, die um ihre Unabhängigkeit kämpft. Privat lässt sie ihre armenische Familiengeschichte nicht los.
Der armenische Name Sesede, den sie von ihrer Großmutter geerbt hat, ist für die Schauspielerin Programm. Er bedeutet "die Stimme erheben". Am Maxim Gorki Theater (MGT) hat Sesede Terziyan ihren "Hafen" gefunden: Endlich nicht nur als die ewige Türkin oder Muslima in Fernsehproduktionen besetzt zu werden. Das MGT steht für "postmigrantisches Theater": Unter der Intendanz von Shermin Langhoff spielt ein bunt gemischtes Ensemble der zweiten oder dritten Einwanderergeneration. Auf dem Programm stehen Klassiker ebenso wie neue hauseigene Produktionen.

Theater als Labor

Zu den erfolgreichsten Stücken gehört "Verrücktes Blut": Eine engagierte Deutschlehrerin versucht ihren renitenten Schülern, einem Haufen von "Integrationsverweigerern", die Ideale Schillers nahezubringen und greift dabei zu drastischen Mitteln. Sesede Terziyan spielt diese Rolle seit neun Jahren. "Bei dem Abend kann ich wirklich sagen, dass mir die Rolle und die Inszenierung den Raum gibt, meine Entwicklung der letzten neun Jahre auch mit einbringen zu können. Natürlich hat man eine andere Energie mit Mitte Zwanzig als mit Mitte Dreißig. Dadurch hat sich die Figur auch verändert und die Art und Weise, wie ich sie spiele und aus welcher Ecke ich diese Kraft hole. Das Durchgeknallte kommt aus einer größeren, tieferen Verwurzelung."
Das Maxim Gorki Theater funktioniere für sie wie ein Labor, sagt die 37-Jährige. "Nach zehn Jahren postmigrantischem Theater kann ich sagen, dass eine Bewegung aus dem Theater heraus in die Gesellschaft gebracht worden ist." Dabei sei es irgendwann das Ziel, dass der Begriff "postmigrantisch" aus dem Sprachgebrauch verschwindet, weil Nationalität gar keine Rolle mehr spielt.

Flucht aus der Türkei

Sesede Terziyan ist die Tochter christlicher Armenier, die 1980 nach dem Militärputsch in der Türkei nach Deutschland flohen. Die Eltern hatten im türkischen Anatolien gelebt, wo der Vater als Kinobesitzer französische Filme zeigte, bis ihm sein Filmtheater abgefackelt wurde. Zunächst fanden sie in Norddeutschland eine neue Heimat. Allerdings musste die Familie acht Jahre warten bis sie endlich als Asylberechtigte anerkannt wurden. "Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter in der Küche immer genäht hat, sie haben eigentlich schwarz gearbeitet. Dank unserer Nachbarschaft hat das sehr gut funktioniert. Mein Vater hat auf Bauernhöfen gearbeitet. Es gab eigentlich nichts, was meine Eltern nicht gemacht haben."
Erst als Jugendliche erfuhr sie Details vom Schicksal ihrer Familie. Dass die Eltern so lange geschwiegen hatten, habe sie damals sehr wütend gemacht. Ihr Vater habe ihr geantwortet, alles andere sei zu früh gewesen und jetzt sei sie "im richtigen Alter, um diese Geschichten richtig begreifen und auch kanalisieren zu können".

Geschichte der armenischen Familie aufspüren

"Auf der einen Seite wollte er mich nicht beschweren, denn man spürt natürlich, auch wenn man nicht darüber redet, was da so drunter liegt, und auf der anderen Seite ist die Kultur des Schweigens". Mit Ende Zwanzig ging Sesede Terziyan mit einem Mikrofon im Gepäck auf Spurensuche in der Heimat ihrer Familie. Sie habe aus der Zeit des Völkermordes an den Armeniern durch die Türken sehr "liebevolle Beschreibungen" zu hören bekommen "aus der Nachbarschaft, wie man sich gegenseitig geholfen hat. Mein Großvater hat mir berichtet wie meine Urgroßmutter von den Nachbarn versteckt worden ist." Für sie sei es zwar teilweise schmerzhaft gewesen, sich mit den Geschichten auseinander zu setzen, aber es habe ihr auch geholfen. Über die armenische Geschichte gebe es bis heute keine "Wahrheit". So dürfe man nicht über die Toten reden: "Meine Großmutter ist schweigend von dieser Welt gegangen, und das ist sehr bitter."
(so)
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