Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Wechsel an IAAF-Spitze
"Coe steht für Glaubwürdigkeit"

Der deutsche Leichtathletik-Chef Clemens Prokop begrüßt die Wahl Sebastian Coes zum neuen Präsidenten des Weltverbandes IAAF. Der Brite sei ein integrer Athlet, der mit aller Macht gegen Doping kämpfen werde, sagte Prokop im Deutschlandfunk.

Clemens Prokop im Gespräch mit Dirk Müller | 19.08.2015
    Sebastian Coe auf einer großen Leinwand, davor Delegierte.
    Sebastian Coe: Mit großer Mehrheit zum neuen IAAF-Präsidenten gewählt. (picture alliance/dpa/Wu Hong)
    Mit der Wahl Coes sei der Wunsch des deutschen Leichtathletikverbands in Erfüllung gegangen, so Prokop. Dass der bisherige IAAF-Vizepräsident im Vorfeld die aktuellen Dopingvorwürfe als "Kriegserklärung an die Leichtathletik" bezeichnete, sei dem Wahlkampf geschuldet gewesen. Coe sei ein "überzeugter Kämpfer gegen Doping". Prokop erwartet von ihm "Aufbruchsignale" und einen "Aufbruch in Sachen Glaubwürdigkeit der Leichtathletik".
    Der 58 Jahre alte Engländer Coe setzte sich auf dem 50. IAAF-Kongress in Peking mit deutlicher Mehrheit von 115:92 Stimmen gegen den Ukrainer Sergej Bubka durch. Coe löst den Senegalesen Lamine Diack ab, der fast 16 Jahre lang als Präsident amtierte.
    Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Clemens Prokop spricht am 30.07.2014 auf einer Pressekonferenz in der Geschäftsstelle des Landessportbundes Hessen in Frankfurt am Main (Hessen).
    Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. (picture alliance / dpa - Fredrik Von Erichsen)
    Prokop begrüßt Athleten-Initiative
    Die jüngsten Doping-Enthüllungen hätten gezeigt, dass ein Aufbruch wichtig sei, so Prokop. Dass etwas im Argen gelegen habe, habe er vermutet. Überrascht habe ihn die "Quantität auffälliger Werte".
    Prokop begrüßte auch, dass sich Athleten offensiv mit dem Thema beschäftigten. Diskus-Olympiasieger Robert Harting hatte mit der Veröffentlichung seiner eigenen Blutwerte gegen Missstände im Anti-Dopingkampf protestiert. Dem DLV-Chef warf er vor, die Anti-Doping-Politik des Weltverbandes IAAF nicht deutlich genug kritisiert zu haben.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Er ist Olympiasieger auf der Mittelstrecke, er saß für die Konservativen einige Jahre im britischen Parlament und er organisierte äußerst erfolgreich die Olympischen Spiele 2012 in London: Sebastian Coe. Jetzt will der 58-jährige neuer Präsident des Welt-Leichtathletik-Verbandes IAAF werden. Bei der Wahl in Peking tritt er gegen den früheren Stabhochspringer und Weltrekordler Sergej Bubka aus der Ukraine an. Dies drei Tage vor Beginn der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in China und dies mitten in der vielleicht größten Doping-Krise der Leichtathletik.
    Ich habe gesagt, er tritt an. Das stimmt nicht: Er ist angetreten. Er ist inzwischen gewählt worden. Vor knapp einer Stunde ist die Entscheidung gefallen zu Gunsten von Sebastian Coe, in Peking, und genau dort erreichen wir Clemens Prokop, Chef des deutschen Leichtathletik-Verbandes. Guten Morgen!
    Clemens Prokop: Guten Morgen!
    Müller: Herr Prokop, haben Sie für den Sieger gestimmt?
    Prokop: Ja, und zwar nicht nur für den Sieger gestimmt, sondern wir haben ja als erster Verband überhaupt unsere Unterstützung für Seb Coe öffentlich gemacht. Insofern ist unser Wunsch hier in Erfüllung gegangen.
    Müller: Und wenn Sebastian Coe sagt, diese jüngsten Doping-Enthüllungen, die Doping-Vorwürfe, das ist eine Kriegserklärung an meinen Sport, wie er es gesagt hat, dann hat Sie das auch nicht nachdenklich gemacht?
    Prokop: Ich glaube, da war manches dem Wahlkampf geschuldet. Ich kenne Sebastian Coe nun seit vielen Jahren, auch vor allem jetzt intensiv im Wahlkampf, und ich weiß, dass er ein absolut integrer ehemaliger Athlet ist, der mit aller Macht gegen Doping kämpfen wird, sich immer klar dazu positioniert hat, und die Ideen, die er schon präsentiert hat, gehen ja in die richtige Richtung. Also ich glaube, wir werden hier wirklich einen Aufbruch in Sachen Glaubwürdigkeit der internationalen Leichtathletik erleben.
    Müller: Sie sagen, das war dem Wahlkampf geschuldet. Das heißt, man kann nur die Mehrheit bekommen beim Internationalen Leichtathletik-Verband, wenn man diese Doping-Sache nicht allzu ernst nimmt?
    Prokop: Das ist eine Spekulation. Das müssten Sie jetzt wahrscheinlich besser Seb Coe selbst fragen. Offensichtlich war er der Meinung, hier die Reihen geschlossen zu halten, als offensiv in diesem Thema nach vorne zu gehen. Aber ich weiß seine persönliche Meinung und ich weiß seine Intentionen, die er in diesem Gebiet hat, und ich kann nur sagen, Sebastian Coe ist ein überzeugter Kämpfer gegen Doping im Sport und er wird hier wirklich Aufbruchsignale senden.
    Müller: Und Sie sind sicher, dass er selbst - er hat ja nie so offen darüber gesprochen - nie gedopt hat?
    Prokop: Davon gehe ich selbstverständlich aus.
    Müller: Diese Spekulationen hat es immer wieder gegeben in den 80ern. Er ist Olympiasieger geworden 1980, 1984 Weltrekord. Das stand ja auch lange Zeit einmal zur Debatte. Also ein glaubwürdiger Kandidat für Sie?
    Prokop: Ich kenne Sebastian Coe als einen ausgesprochen charismatischen Menschen, absolut integer, der Leichtathletik mit seiner ganzen Seele tief verbunden, und ich habe keinen Zweifel, dass er absolut verlässlich und vertrauenswürdig ist.
    Sergej Bubka konnte sich am Ende nicht durchsetzen
    Müller: Herr Prokop, wir müssen auch mal über Verlierer reden. Was sprach gegen Sergej Bubka?
    Prokop: Sergej Bubka hat ja auch ein sehr ordentliches Ergebnis eingefahren. Er war ja relativ knapp auch an Sebastian Coe. Es ist schwierig, hier sich in die vielen Delegierten hineinzuleben. Da gibt es bestimmt viele Ursachen und Gründe, die für die Wahl am Ende entscheidend waren. Vielleicht war es ganz einfach, dass von Lord Coe mehr noch an Aufbruchstimmung erwartet wurde, von der Mehrheit jedenfalls, als von Sergej Bubka.
    Müller: Ich frage deshalb auch, weil Sergej Bubka ja ganz klar gesagt hat, er will mit der WADA zusammenarbeiten - das wird in Deutschland ja immer wieder sehr heftig diskutiert -, also mit der Welt-Anti-Doping-Agentur, und Sebastian Coe hat gesagt, nein, nein, mit denen lieber nicht. Jetzt haben viele Kommentatoren gesagt, na ja, das was Bubka will, das ist ja transparent. Das heißt, er ist bereit, diesen internationalen Anti-Doping-Code zu akzeptieren. Das hat ihm offenbar nicht viel geholfen?
    Prokop: Die IAAF hat ja den internationalen Anti-Doping-Code akzeptiert und unterschrieben und sich verpflichtet, ihn einzuhalten. Die IAAF arbeitet ja auch eng mit der WADA zusammen. Lord Coe hat ja eines vor, nämlich die bislang auf der Ebene der IAAF angesiedelte Anti-Doping-Einheit, dieses Anti-Doping-Departement hier loszulösen und auf eine unabhängige Organisation zu übertragen, und er verspricht sich dann mehr Effizienz, wenn diese Einheit nur für die Leichtathletik zuständig ist, weil die WADA natürlich durch ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem gesamten Sport insgesamt hier größere Probleme hat, einer einzelnen Sportart gerecht zu werden.
    "Überrascht über die Quantität auffälliger Werte"
    Müller: Herr Prokop, wenn wir noch mal auf Coe zurückkommen. Massive Doping-Vorwürfe, die es jetzt in den vergangenen Wochen ja gegeben hat, immer wieder gegeben hat, aber jetzt noch einmal massiert gegen russische Spitzensportler, Amerikaner sollen da drauf sein, viele westliche Athleten - die Namen sind jedenfalls öffentlich noch nicht genannt worden -, gegen chinesische Sportler. Da haben die Rechercheure, die Journalisten unter anderem bei der Recherche das Gefühl gehabt, dass der Welt-Leichtathletik-Verband nicht kooperiert, dass er nicht an der Aufklärung interessiert war. Das ist jedenfalls der Vorwurf. Und die These: Es kann gar nicht sein, dass Sebastian Coe, der ja Vizepräsident viele Jahre bereits schon gewesen ist, von dem ganzen Prozedere beziehungsweise von den ganzen Inhalten nichts gewusst hat. Ist das glaubwürdig, dass Sebastian Coe davon nichts gewusst hat?
    Prokop: Ich kann das nicht beurteilen. Tatsache ist, dass diese Informationen, die da vorliegen, doch absolut vertraulich immer behandelt werden. Aber wie weit hier der engere Zirkel in der Führung der IAAF Kenntnis hatte, entzieht sich meiner persönlichen Kenntnis.
    Müller: Herr Prokop, aber Sie sind ja davon nicht überrascht, von diesen Veröffentlichungen?
    Prokop: Ich war natürlich überrascht über die Quantität auffälliger Werte. Aber dass hier noch einiges vor allem in der Vergangenheit im Argen gelegen hat, das, denke ich, haben wir zumindest vermutet, und deshalb ist es umso wichtiger, dass jetzt ein Aufbruch in diesem Bereich glaubwürdig geschieht.
    Müller: Aber da haben viele von Sebastian Coe erwartet, jetzt auch gerade im Wahlkampf, dass er sagt, oh, das ist ein Riesenproblem, das müssen wir klären, da müssen wir aufklären. Warum dann diese Herumdruckserei?
    Prokop: Das ist natürlich schwierig, weil ich tue mich auch schwer, manches zu erklären, was die IAAF in der Vergangenheit auch an Kommunikation hier betrieben hat. Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass jetzt ein Neuanfang geschieht, dass jetzt ein Aufbruch geschieht, und ich hoffe, dass damit die Probleme der Vergangenheit einfach dann offensiv gelöst werden.
    Müller: Sie sehen ja teilweise - ich weiß nicht, wie Sie darauf reagiert haben -, dass sich auch die Athleten inzwischen schon abwenden. Robert Harting, der deutsche Diskuswerfer, internationales Spitzenformat, hat ja mehrfach jetzt signalisiert, das mache ich nicht mehr länger mit. Er hat sogar seine eigenen Blutwerte veröffentlicht. Auch der französische Stabhochspringer Renaud Lavillenie, den viele von uns ja in den vergangenen Jahren immer wieder auch als Champion gesehen haben, auch im Fernsehen, im Stadion, sagt, unter diesen Bedingungen habe ich keine Lust mehr. Greg Rutherford gehört dazu, viele andere Namen, die gesagt haben, wenn hier jetzt nicht konsequent etwas passiert, dann müssen wir überlegen, ob wir überhaupt noch weitermachen.
    Prokop: Zunächst begrüße ich es, dass Athleten sich jetzt auch offensiv mit dem Thema Doping beschäftigen, sich engagieren und in die Offensive gehen, was den Kampf gegen Doping betrifft. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen. Was insgesamt der Hintergrund wirklich ist, ob hier die IAAF wirklich vertuscht oder verdrängt hat, ich kann es nicht beurteilen, weil ich ja auch die Werte nicht unmittelbar kenne, ich die Informationen nicht kenne. Aber ich muss noch mal sagen: Ich hoffe und vertraue jetzt darauf, dass mit Sebastian Coe eine wesentliche Änderung abläuft, dass hier Transparenz einkehrt und dass hier wirklich so was wie eine Aufbruchstimmung auf diesem Gebiet sich breit macht.
    Müller: Und das, was Robert Harting gesagt hat, gemacht hat, können sie absolut nachvollziehen?
    Prokop: Wie gesagt, ich begrüße das, dass die Athleten sich mal für dieses Thema engagieren, weil manchmal hat man den Eindruck, dass die Athleten hier mit diesem Thema eher passiv umgehen. Deshalb begrüße ich es gerade, dass Robert Harting hier die Initiative ergriffen hat. Mit der Veröffentlichung der Blutwerte ist natürlich trotzdem ungelöst, wer kann die veröffentlichten Werte interpretieren. Das ist ein schwieriges Thema. Aber generell begrüße ich, dass hier die Athleten zeigen, wir möchten engagierte und deutliche Zeichen setzen gegen Doping.
    Müller: Vielen Dank live nach Peking an Clemens Prokop, Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, zur Wahl von Sebastian Coe zum neuen Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes. Danke, auf Wiederhören und Ihnen noch einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.