Schauspieler Lars Eidinger

"Es ist unmöglich, sich selbst zu spielen"

17:23 Minuten
Porträt des Schauspielers Lars Eidinger, 24.2.2020.
Lars Eidinger © Getty / Andreas Rentz
Lars Eidinger im Gespräch mit Patrick Wellinski · 24.10.2020
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Ein Schaubühnen-Schauspieler spielt einen Schauspieler aus dem Milieu der Schaubühne: Lars Eidingers Rolle in "Schwesterlein" ähnelt ihm selbst. Ein Gespräch über die Fragen, wie man eine Figur gestaltet und was ein Publikum einem selten glaubt.
Am 29. Oktober kommt Lars Eindingers neuer Film "Schwesterlein" ins Kino: Darin spielt er eine Rolle, die gewisse Ähnlichkeiten zu ihm selbst aufweist: einen Schauspieler aus dem Umfeld der Schaubühne. Patrick Wellinski hat mit Lars Eindinger über unterschiedlichen Herausforderungen des Spielens gesprochen: Ähnliches und Fremdes darstellen, auf der Bühne und vor der Kamera.
Patrick Wellinski: "Schwesterlein" heißt der diesjährige Schweizer Oscar-Kandidat. Die beiden Regisseurinnen Stephanie Chuat und Veronique Reymont gelten als hochtalentiertes Schweizer Kino-Duo. Im Kern loten die beiden in "Schwesterlein" die unterschiedlichen Arten der Geschwisterbeziehung aus. Nina Hoss spielt eine Theaterautorin, die durch die Krebsdiagnose ihres Bruders mit dem Schreiben aufgehört hat. Lars Eidinger spielt ihren Bruder Sven Braunschweig, der mit dem nahenden Tod konfrontiert wird und dennoch an seiner Schauspielkarriere festhält. Angesiedelt ist der Film im Milieu der Berliner Schaubühne, Eidingers zweiter Heimat. Ich konnte ihn zum Gespräch treffen und konnte mit Eidinger über den Film sprechen und auch darüber, ob es sehr reizvoll ist, sich selbst in einem Film zu spielen.
Lars Eidinger: Wenn Sie jetzt sagen, "sich selbst zu spielen": Das ist ein ziemlich komplexes Thema. Ich würde zum Beispiel immer behaupten: Die schwerste Disziplin! Ich würde sogar behaupten: Es ist unmöglich, sich selbst zu spielen! Und ich bin eigentlich damit groß geworden: Den Schauspieler finde ich nicht so interessant, der spielt sich immer selbst. Ich glaube, das geht gar nicht, kein Mensch kann sich selbst spielen. Und diese Rolle - also den Sven Braunschweig, auch wenn es da natürlich viele Parallelen gibt, hat mit mir als Lars Eidinger eigentlich überhaupt nichts zu tun. Also, ich spiele da überhaupt nicht mich selbst.
Natürlich denkt man: 'Ah, auch ein Schauspieler, ...spielt auch an der Schaubühne und ...spielt den Hamlet.' Aber ich bin genauso wenig Sven Braunschweig wie ich Kai Korthals aus dem Tatort bin. Ich spiele die Rollen, trotzdem habe ich als Spieler immer den Ehrgeiz, das aus mir selbst zu nehmen. Und im Grunde möchte ich doch immer das, was die Rolle ausmacht und die Figur ausmacht, in mir als Persönlichkeit zum Klingen bringen. Ich halte die nicht von mir weg oder ich spiele nichts mir Fremdes, sondern ich versuche, das in mir aufzuspüren. Und insofern war das natürlich bei der Rolle leichter, weil ich nicht so viel recherchieren musste. Wenn ich jetzt einen Rechtsanwalt oder Staatsanwalt spiele, dann muss ich ins Landgericht gehen und mir angucken, wie so ein Staatsanwalt ist. Aber wenn ich einen Schauspieler spiele, muss ich nicht auf eine andere Theaterprobe gehen und sagen, ich gucke mal, wie die Schauspieler so privat sind.

Eingeschleust ins Architekturbüro

Oder ich weiß noch, als ich damals Chris in "Alle anderen" mit Maren Ade gespielt habe, da hatte mich ein Freund, der bei Sauerbruch Hutton arbeitet, dort eingeschleust: Ich durfte dann drei Tage im Architekturbüro sitzen und so tun, als ob ich Architekturstudent bin. Keiner kannte mich da, und da konnte ich mich einfach mit an den Schreibtisch setzen und war so interessiert, manchmal geht es ja auch um so einfache Sachen, wie telefoniert so ein Architekt bis hin zu: Was zieht ein Architekt denn eigentlich an außer eine Designerbrille, einen schwarzen Rollkragenpulli und ein Sakko? Das meine ich mit auf das erstbeste Klischee reinfallen. Eigentlich haben die Adidas-Schuhe an und einen roten Sweater.
Wellinski: Das ist die Idee, die Figur möglichst realitätsgenau zu fassen, das ist aber nicht die Frage nach der Motivation der Figur. Sie kennen doch vielleicht dieses überlieferte Bonmot von Hitchcock, der immer gesagt hat: Wenn ein Schauspieler zu mir kommt und sagt: 'Ja, ich möchte mit dir über meine Rolle reden.', dann sage ich: 'Steht doch alles im Drehbuch.' Und dann fragt er mich: 'Aber es geht um die Motivation.' Dann habe ich ihm gesagt: 'Ja, das ist deine Bezahlung.' - Aber es geht, das habe ich richtig verstanden, es geht weniger um die Motivation, sondern mehr, um das zu fassen: Wie telefoniert ein Anwalt?
Eidinger: Ja, interessanterweise haben wir mal im Zusammenhang mit einem Stück, "Trauer muss Elektra tragen", - da habe ich nur die Musik gemacht damals an der Schaubühne -, einen Analytiker eingeladen, der uns die Motivation und psychischen Hintergründe der Figuren aufdröseln sollte. Und der hat gesagt: Das kann er gerne machen, aber ehrlich gesagt, haben die Menschen das gar nicht. Das heißt, man begibt sich in Zusammenhänge und reagiert darauf. Kein Mensch geht in einen Raum und vollführt seinen Plan, den er vor hat.
Diese Logik, die oft der Fiktion abverlangt wird, die das Leben gar nicht innehat, die ist, glaube ich, irreführend. Ich glaube, wir alle haben große Sehnsucht nach einer Logik, weil unsere Existenz keine hat, weil keiner von uns weiß, was wir hier auf der Erde sollen, wo wir herkommen, wo wir hingehen. In der Fiktion will man diese Fragen aber beantwortet haben.
Mich fragen die Leute immer: Was ist denn das für eine Figur, die Sie spielen, was will die denn? - Ich weiß es nicht. Wenn Sie mich jetzt fragen: Was will ich? Ganz schwer zu beantworten. Und ich weigere mich dann immer, meine Figuren darauf zu reduzieren. Aber ich kann es trotzdem natürlich verstehen, was der Hitchcock sagt. Im Grunde geht es für mich dann eher immer um einen künstlerischen Ausdruck, also: Was möchte ich sozusagen erzählen, was beschäftigt mich. Und da gab es natürlich gerade in dem Zusammenhang mit jemandem, der so unmittelbar mit dem Tod konfrontiert ist, die Frage: Wie stellt man es dar? Wie zeigt man jemanden, der Angst hat zu sterben?
Was mir geholfen hat: Ich habe mir zwei Dokumentationen über Sterbehospize angeguckt. Das war sehr aufschlussreich zu gucken, wie denn jemand ist, der Angst hat zu sterben. Und mich hat überrascht, wie expressiv das ist. Ich hätte das aus meiner schauspielerischen Intuition viel zurückgenommener, viel introvertierter gespielt. Und es sind wirklich Leute zu sehen, die jammern, die schreien vor Schmerzen, die schreien auch vor Angst vor dem Tod. Und das habe ich benutzt.
Das andere war, dass mich gerade die letzten Jahre von Christoph Schlingensief sehr beeindruckt haben. Meine Frau hatte auch mitgesungen, sie war damals noch Opernsängerin, heute arbeitet sie als Familientherapeutin. Diese Stücke wie "Die Kirche der Angst" zum Beispiel, wo er seine Angst vor dem Tod thematisiert. Das hat mich damals schon sehr beeindruckt, weil ich da das Gefühl hatte, er arbeitet sich an den Klischees ab, die man so hat, dass zum Beispiel man immer denkt: Jemand, der unmittelbar mit dem Tod konfrontiert ist, erlangt irgendeine Form von Weisheit oder Größe. Christoph Schlingensief, finde ich, hat eher gezeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Man schrumpft eigentlich, man schrumpft vor Angst. Und das auszuhalten, zu zeigen und auch die Menschen damit zu konfrontieren, das fand ich eine große Qualität.

Sterben im Film, sterben auf der Bühne

Wellinski: Ist das Sterben Spielen vor der Kamera ein anderes Spielen, als auf der Bühne sterben zu spielen? Weil es ja auch durchaus im Film thematisiert, dass Sie da auf die Bühne gehen, den Hamlet spielen, Hamlet stirbt zwar mehr oder weniger zufällig am Ende des Stücks, aber es sterben fast alle in dem Stück. Man spielt das vielleicht jeden Abend – ist das dann ein anderes Spielen als für so einen Film den Sven, der stirbt, zu spielen?
Eidinger: Ja, die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, weil im Grunde ist es im Theater natürlich immer in gewisser Weise formaler. Es ist immer ein bisschen maskenhafter, weil es über eine Distanz funktioniert und weil es oft auch über ein Bild funktioniert, während ich beim Film natürlich den Ehrgeiz habe, dem eine Realität zu verleihen. Trotzdem ist da, das finde ich die große Erkenntnis auch in der Auseinandersetzung mit "Hamlet", gar nicht so per se zu unterscheiden zwischen Realität und Fiktion. Und Shakespeare bemüht nicht umsonst oft das Bild, dass er Schauspieler – Julia zum Beispiel in "Romeo und Julia" – sich fragen lässt: Vielleicht bin ich nur eine Schauspielerin oder Hauptdarstellerin in meinem eigenen Stück. Und das passiert immer in Momenten, wo Figuren unmittelbar mit dem Wahnsinn oder mit dem Tod konfrontiert sind. Und er löst da für mich immer diese Ebenen auf, und es ist dann doch immer meine Wirklichkeit.
Deswegen bemühe ich auch in unserer "Hamlet"-Inszenierung dieses Zitat von Katja Ebstein von dem Autor Bernd Meinunger, der sagt: Alles ist nur Theater und ist doch auch Wirklichkeit. Und das glaube ich zutiefst: Dass selbst, wenn es sehr theatral oder formal ist oder auch fiktiv ist, wie ich auf einer Bühne sterbe, es trotzdem die Wirklichkeit ist, und es wird trotzdem Teil meines Lebens. Und da macht es eigentlich keinen Unterschied, wie authentisch ich das, "spiele" oder ob das einfach eine formale Übersetzung ist. Deswegen würde man ja auch abstrakte Malereien nicht geringer schätzen als konkrete Malereien, Caravaggio nicht höher hängen als einen Picasso, sondern das ist eine unterschiedliche Art des Ausdrucks.

Nach dem Tod bleibt die Kunst

Wellinski: Ich frage auch, weil es, wenn es um die Figur des Sven geht, immer die Frage ist: Kann ich durch die Kunst vielleicht die Vorstellung des eigenen Todes zumindest zähmen oder anders begleiten? Er ist Schauspieler, für ihn scheint es immer sehr wichtig zu sein, dass er die Kunst hat. Einer der wesentlichen Konflikte mit seiner Zwillingsschwester ist ja, dass sie aufhört zu schreiben in dem Moment, wo er die Diagnose bekommt. Das heißt, sie verabschiedet sich von der Kunst, was auch immer das für eine Kraft sein soll, heilend oder zähmend - das sind jetzt meine ungelenken Worte. Aber ist da etwas, kann man das durch die Kunst, mit der Kunst?
Eidinger: Ja, ich glaube, die Erkenntnis ist innerhalb des Films, dass sie am Anfang denkt: Sie schafft ihm eine Perspektive dadurch, dass sie wieder anfängt zu schreiben. Und was ich mit Erkenntnis meine, ist, dass sie irgendwann versteht: Sie schafft damit etwas, was über den Tod hinausgeht. Das finde ich eigentlich so den interessantesten Punkt, dass Kunst etwas ist, das immer darüber hinausweist, weil es auch immer etwas klar Transzendentes hat und weil es sich dem Irdischen entzieht. Das ist das Aufregende an Kunst, dass es über den Dingen steht, dass es etwas Überirdisches oder nicht Weltliches ist per se. Und ich glaube, das ist so die Schönheit, dass man merkt, dass sie sich darüber eigentlich wieder begegnen, dass es wie eine Verabredung im Jenseits ist. Und ich bin wirklich ein hochgradig ungläubiger Mensch und ich glaube auch nicht an den lieben Gott, auch nicht an das Paradies – und trotzdem finde ich diese Idee, dass man sich auflöst, reizvoll.
Ich glaube zum Beispiel, dieser Begriff von Stille, auch der Satz, mit dem ja "Hamlet" endet: "Der Rest ist Stille", fälschlicherweise immer von Schlegel Tieck übersetzt mit "Der Rest ist Schweigen", was mit "the rest is silence" eigentlich gar nichts gemein hat. Stille ist ein paradiesischer Zustand. Und das ist eigentlich das, nach dem wir uns sehnen und worin wir uns auflösen. Und das ist eher so ein Anknüpfungspunkt, wo ich das Gefühl habe, das ist etwas, wo man sich wieder begegnen kann.
Wellinski: Ist "Schwesterlein" dahingehend nicht auch ein Film über die Frage, in welcher Konstellation genau das am besten funktioniert, also die Frage nach der Alternativfamilie? Es sind Zwillinge, das ist wichtig, es geht auch um die Kernfamilie dieser beiden, aber es geht ja auch um die Alternativfamilie des Theaters. Die Frage, ob es dort vielleicht der Ort ist, wo eben dieses Verständnis eher vorherrscht, als wenn die Mutter dann kommt und das alles ignoriert mehr oder weniger? Die Frage, wo kann ich sterben, im wahrsten Sinne des Wortes?
Eidinger: Ich habe mich mal mit Georg Trakl beschäftigt, weil ich ihn gespielt habe in einem Film von 2008, glaube ich, also lange her. Und Georg Trakl hatte das Ideal der Eingeschlechtlichkeit und die Behauptung, dass alles Übel dieser Welt daher rührt, dass Mann und Frau getrennt sind. Und deswegen ist dieser Begriff im Englischen auch so treffend, sex für Geschlecht, dass es eigentlich darum geht, diese Geschlechterunterscheidung aufzulösen. Und das Gefühl habe ich hier eigentlich, dass es dadurch auch sehr treffend ist, dass man sagt, man nimmt Zwillinge, es sind zweieiige Zwillinge, das sind ein Mann und eine Frau. Und am Ende löst sich das eigentlich auf diese Trennung, und sie werden eins. Das finde ich, ist wie so eine gelebte Utopie oder das steht so am Ende für mich selbst darüber, dass er stirbt, aber dass durch diese Trennung eigentlich eine Vereinigung vollzogen wird.

Glaubhaft eine Familie spielen

Wellinski: Bei Zwillingen wird ja immer wieder gesagt, dass, wenn einer stirbt, der andere bis zu seinem eigenen Lebensende dieses Fehlen spürt, dass es ja wirklich jemand anderes ist, der doch ich bin. Ich weiß, es ist auch ein Film über diese ganz spezielle Bindung. Wie spielt man eine Bindung mit Nina Hoss, die jetzt nicht Ihre Zwillingsschwester ist, denn das ist ja die große Kunst, das zu erzeugen.
Eidinger: Ja, ich meine, es ist immer natürlich eine Behauptung, überhaupt Familie zu spielen in einem Film. Und ich würde mal unterstellen, es gibt auch eine Ebene, an dem auch der Zuschauer immer sieht, das ist jetzt Corinna Harfouch, die spielt die Mutter von Lars Eidinger. Also auch die Monstrosität meinetwegen von inzestuösen Verbindungen stellt sich nicht wirklich her, weil es dann doch noch mal etwas anderes ist, wenn tatsächlich eine Schwester ihren Bruder küsst.
Bei Nina war es halt wirklich einfach, erst mal aus einer großen Zuneigung zu einem Menschen, ich bin einfach schon immer ein Fan gewesen von Nina Hoss und großer Bewunderer und fühle mich ihr einfach sehr zugewandt und kenne sie seit 25 Jahren. Wir waren zusammen in einer Schauspielklasse auf der Schauspielschule. Und auf dieser Verbindung können wir auch aufbauen natürlich im Spiel, wir mussten jetzt nicht irgendwas konstruieren und sagen, wie können wir denn eine Ähnlichkeit oder eine Vertrautheit erzeugen vor der Kamera. Wir sind uns wahnsinnig vertraut, auch auf eine Weise, die schon geschwisterlich ist in der Hinsicht, wir treffen uns jetzt gar nicht so oft. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es da eine Verbindung gibt und auch eine gegenseitige Wertschätzung bis hin zu einer Zuneigung oder vielleicht auch so einer Form von Liebe, aber im Sinne einer geschwisterlichen Liebe, dass man den anderen einfach gernhat und gern zusammen ist. Wenn man das alles sichtbar machen kann vor einer Kamera, dann spielt einem das natürlich gerade bei so einer Thematik extrem zu. Darauf konnten wir uns voll verlassen.

Der Regisseur als Schauspieler

Wellinski: Ist Thomas Ostermeier ein guter Schauspieler?
Eidinger: Thomas Ostermeier ist auf jeden Fall ein sehr toller Regisseur und auch ein toller Mensch und der Grund, warum ich überhaupt an der Schaubühne bin, und für mich ein großes Vorbild und ein Mentor. Ich glaube, es gibt einen Grund, warum er Regisseur geworden ist und nicht Schauspieler. Er hat ja als Schauspieler angefangen, und ich glaube, er sieht das auch selbst mit dem nötigen Abstand und auch einem gewissen Humor und er spielt wahnsinnig gerne. Und das ist auch alles, was ihn interessiert, wenn man mit ihm arbeitet: der Schauspieler. Ich glaube, es setzt auch immer ein gewisser Punkt ein, wo er auch den Schauspieler darum beneidet, dass er der Schauspieler ist und nicht er, also dass der Schauspieler der Schauspieler ist und nicht Thomas der Schauspieler, sondern der Regisseur.
Ich fand es interessant. Ich habe jetzt zum zweiten Mal mit ihm gespielt, ich habe auch einen russischen Film mit ihm zusammen gemacht, "Matilda", da hat Thomas so eine Figur gespielt, angelehnt an Rasputin. Auch da fiel mir schon auf, dass natürlich Thomas in erster Linie dem Schauspieler einen Raum schafft, in dem er sich bewegen kann. Da ist er sehr gut drin, etwas zu konstruieren, in dem sich der Schauspieler wohlfühlt. Das habe ich tatsächlich auch mir eingebildet, bei ihm zu beobachten, dass er sich selber diesen Raum schafft als Spieler. Das Problem liegt nur darin, dass er den nicht wirklich füllen kann, auch aus mangelnder Erfahrung, weil er einfach nie als Schauspieler arbeitet. Das heißt, das wäre, glaube ich, das Ziel für ihn, dass er das nochmal mit einem Grad an Emotionalität füllt, was eigentlich die Aufgabe des Schauspielers ist. So ein bisschen das, was Sie beschreiben von Hitchcock, dass man sagt, die Motivation, das ist aber das, dafür wird der Schauspieler bezahlt, das muss er selber leisten, das kann ihm der Regisseur nicht geben.

Rollenauswahl nach dem Lustprinzip

Wellinski: Mir hat mal ein sehr bekannter Kollege von Ihnen gesagt, dass man einen guten Schauspieler erkennt an den Rollen, die er annimmt, sondern an denen, die er nicht annimmt.
Eidinger: DJ Koze hat auch gesagt: Den guten DJ erkennt man daran, was er nicht spielt.
Wellinski: Wonach wählen Sie aus? Das war ja schon die Eingangsfrage: Was ist der Impuls, wo Lars Eidinger sagt: Das Projekt? - "Ja!" Und das? - "Nein!"?
Eidinger: Manchmal muss man schon auch absagen, einfach weil man es zeitlich sonst auch gar nicht bewältigen könnte, aber ich folge da tatsächlich meiner Intuition. Ich glaube tatsächlich, behaupten zu können, dass ich noch nichts aus karrieristischen Gründen gemacht habe oder des Geldes wegen, sondern immer aus einem Lustprinzip heraus. Wenn ich etwas lese und es interessiert mich und ich habe einen Spielimpuls, dann versuche ich, das zu machen. Und wenn nicht, dann lese ich mir das auch nicht schön oder lasse mich dazu überreden. Das ist eigentlich tatsächlich so das Hauptkriterium: Ob ich Lust darauf habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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