Scharping: Sport braucht international einheitliche Grenzwerte und Sanktionen

Moderation: Holger Hettinger · 30.07.2007
Zur Bekämpfung von Doping hat der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), Rudolf Scharping, einheitliche Grenzwerte, Kontrollen und Sanktionen im internationalen Sport gefordert. Der deutsche Der Radsport habe bereits vor einem Jahr mit Veranstaltern, Rennställen und Medizinern ein Programm zur Dopingbekämpfung entwickelt, das vorbildlich sei "auch für den internationalen Sport, nicht nur für den Radsport", sagte Scharping.
Holger Hettinger: Die Tour de France ist vorbei. Endlich vorbei, seufzen die Tageszeitungen heute fast unisono - das traditionsreiche Radrennen war überschattet von etlichen Doping-Fällen. Alles halb so wild, sagen die Funktionäre - die erwischten Doping-Sünder beweisen doch, dass das Kontrollsystem funktioniert. So kann man's natürlich auch sehen, aber mit einem Bewusstseinswandel im Radsport hat das nichts zu tun. Wie sieht die Zukunft des Profiradsports aus? Das besprechen wir nun mit Rudolf Scharping. Er ist Präsident des "Bundes Deutscher Radfahrer". Schönen guten Morgen, Herr Scharping.

Rudolf Scharping: Guten Morgen.

Hettinger: Herr Scharping, eine Tour de France, die überschattet war von Dopingfällen, ein Toursieger, der mit dem Dopingarzt Fuentes in Verbindung gebracht wird. Was ist dieser Toursieg wert?

Scharping: Ja, abseits all dieser Missstände war es ja trotzdem eine Tour mit auch sehr spannendem Sport. Und was Alberto Contador angeht, das möge die spanische Justiz und das mögen die Medien gemeinsam aufklären. Wir können dazu leider, leider gar nichts beitragen.

Das Zweite ist, es gibt einen Bewusstseinswandel im Radsport. Allerdings, er geht noch nicht weit genug, was man am Verhalten verschiedener Teams unschwer ablesen kann. Da gibt es einige, die veröffentlichen alle Blutwerte, alle Atteste ihrer Fahrer. Es gibt andere, die wollen das noch nicht. Man könnte die Frage nach dem gläsernen Athleten stellen.

Und das Dritte, was für mich interessant ist, ist die Tatsache, ich hab auch durchgeatmet, dass die Tour nun vorbei ist, aber ich sehe natürlich auch, dass der Radsport, was den Kampf gegen Doping angeht, eine besondere Verpflichtung hat. Allerdings, er ist auch weiter als jede andere Sportart.

Hettinger: Aber diese, der Weltradsportverband UCI beispielsweise hat den Untersuchungsbericht zum Fall Fuentes. UCI-Chef McQuaid sagt dazu: "Diese 600 Seiten werde ich aber nicht lesen, ich kann ja nicht mal spanisch". Glauben Sie im Ernst, dass Menschen mit dieser Haltung den rigorosen Kampf gegen das Doping vorantreiben können?

Scharping: Erstens sind es 6.000 Seiten. Zweitens: Er muss das ja nicht persönlich lesen, sondern sachkundige Juristen müssen das lesen und das geschieht ja auch.

Hettinger: Was muss getan werden, was muss passieren, damit dieser Bewusstseinwandel, von dem Sie reden, effektiver vorangetrieben wird?

Scharping: Die Debatte muss mit nüchterner Härte weitergeführt werden. Und wir haben hier in Deutschland schon vor über einem Jahr begonnen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und ziehen das auch sehr, sehr konsequent durch. Beispielsweise gemeinsam mit den Veranstaltern, auch mit den Rennställen, auch mit medizinischem Sachverstand und vielen anderen ein Programm aufgelegt, das vorbildlich ist, auch für den internationalen Sport, nicht nur für den Radsport.

Ich will Ihnen das an zwei, drei Beispielen kurz erläutern: Wir legen Blutprofile an, wir messen Blutvolumen, wir ermöglichen den DNA-Abgleich wenn erforderlich, wir intensivieren die Kontrollen, wir erhöhen ihre Qualität und wir verschärfen die Sanktionen. Das ist alles schon geschehen. Und das sage ich vor dem Hintergrund, dass zum Beispiel Grenzwerte für den Anteil roter Blutkörperchen im menschlichen Blut der Radsport die schärfsten Grenzwerte hat. Andere Ausdauersportarten liegen zum Teil um fast 10 Prozent darüber. Das wird öffentlich zurzeit nicht diskutiert und ich bin auch sehr zurückhaltend mit solchen Bemerkungen, weil das ja immer sofort in den Verdacht gebracht wird, man wolle auf andere zeigen.

Viel schlimmer noch ist, es gibt Ausdauersportarten, die kennen solche Grenzwerte überhaupt nicht. Also hier sollte der internationale Sport, auch gegründet auf die guten wie miserablen Erfahrungen des Radsports, guten Erfahrungen im Kampf gegen Doping, miserabel, weil es Doping und Betrug leider immer noch gibt, sollte also der internationale Sport zu einheitlichen Grenzwerten, einheitlichen Maßstäben und einheitlichen Sanktionen kommen. Ich kann das nur hoffen, dass das auf den Weg kommt.

Hettinger: Einheitliche Sanktionen. Bisher ist es ja so, dass die Gerichtsbarkeit bei, ja mehr oder weniger bei den Verbänden liegt. Welche neuen Wege sind da für Sie vorstellbar?

Scharping: Ich bin der Auffassung, dass wir so wie wir einen Internationalen Sportgerichtshof haben, auch einen nationalen brauchten. Die Verbände müssen raus aus dem Verdacht, dass sie in eigener Hoheit Sportgerichtsverfahren durchführen und sie dann möglicherweise sachfremd beeinflussen, irgendetwas für ihre Sportlerinnen oder Sportler hinbiegen. Deswegen meine ich, sollte die zweite Instanz in Deutschland in einem nationalen Sportgerichtshof zusammengefasst werden unter der Obhut des Deutschen Olympischen Sportbundes.

Hettinger: Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, hat gefordert, dass jeder Verband 5 Prozent seiner Fördermittel für den Kampf gegen Doping verwenden soll. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß?

Scharping: Das finde ich gut, wenn der DLV das macht und wenn andere Sportarten das machen. Wir verwenden heute schon 10 Prozent unserer Sponsorengelder für den Kampf gegen Doping, manchmal noch mehr. Deswegen haben wir ja auch eine unabhängige Kommission eingerichtet, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, aber auch, um etwas zu lernen für den Kampf in der Gegenwart und in der Zukunft. Ich glaube nämlich, dass wir uns allzu sehr gefangen lassen von den Ereignissen, die heute stattfinden, ohne darauf zu achten, was morgen oder übermorgen möglich sein könnte.

Und da glaube ich, ist der Sport auch gut beraten, einen intensiven Austausch mit der Wissenschaft zu führen, damit er nicht ständig Entwicklungen hinterher hechelt oder rennt, oder fährt, sondern dass der Sport vorsorglich eher von den Wirkstoffen weg zur Wirkungsforschung hingehen kann und auch zum Nachweis bestimmter Wirkungen. Das genau ist der Grund, weshalb wir die Blutprofile anlegen, damit wir von jedem einzelnen Sportler, nicht nach Schema F längs eines Grenzwertes, sondern von jedem einzelnen Sportler bestimmte Werte haben und bei jeder nicht mehr natürlich erklärbaren Änderung sofort reagieren können, selbst dann, wenn die Dopinggrenzen noch nicht erreicht sind.

Wissen Sie, diese Grenzwerte haben ja ein Problem. Sie sind gewissermaßen sporthistorisch zufällig entstanden, sind dann etwas verfeinert worden und sie bedeuten für manchen Sportler und vor allen Dingen für manchen gewissenlosen Mediziner immer noch eine Versuchung, nämlich die, dass man den Sportler an diese Grenze gewissermaßen heranführt oder herandopt. Das muss weg.

Hettinger: In welcher Hinsicht müsste man das rein praktisch bewerkstelligen?

Scharping: Deswegen misst zum Beispiel das Team T-Mobile Blutvolumen, um genau solche Wirkungen erkennen zu können.

Hettinger: Die Verteilung von Fördergeldern ist an den Erfolg der Sportler bei internationalen Wettbewerben gekoppelt. Also, wer schlecht abschneidet wie die Leichtathleten in Athen, bekommt weniger Geld. Befördert diese Praxis die Versuchung, mit Doping nachzuhelfen?

Scharping: Nein, das glaube ich nicht. Allerdings sollten wir uns alle gemeinsam etwas überlegen, nämlich Sie, die Journalisten, wir, die Funktionäre, und alle anderen drum herum bis hin zu den Zuschauern. Wir jubeln, wenn jemand Erster wird, wir ignorieren, wenn jemand Zweiter wird und wir halten den Siebten oder Zehnten für einen kompletten Loser. Solange sich diese Haltung nicht ändert und solange wir nicht die Leistung als solche anerkennen und nicht nur auf die Platzierung schauen, ich weiß ja auch, dass Gewinnen schöner ist als Zweiter werden, aber solange wir nur auf die Platzierung schauen, machen wir, denke ich, einen Fehler und erzeugen genau den Druck, dessen Folgen wir beklagen.

Hettinger: Aber dieser Druck, der da erzielt wird, da geht's ja um Zehntelsekunden letztlich. Jemand, der sauberer ist und dadurch etwas langsamer ist, das fällt ja im Fernsehen oder dem Zuschauer so in der Form gar nicht auf.

Scharping: Ja, aber wir haben doch auch schon Sender erlebt, die mit vermeintlichen Siegern exklusive Verträge gemacht haben, um sich Interviews zu sichern, bevor alle anderen drankamen, usw., usw. Ich rede von einem gesellschaftlichen Phänomen. Es wäre allzu billig, das auf Radsport oder Sport zu reduzieren. Das ist einmal das Phänomen, dass überall, wo große Leistungen und auch Leistungserwartungen, großes Geld und große Prominenz zusammenkommen, eine betrügerische Versuchung entsteht. Das gilt in der Wirtschaft, das gilt im Sport, das gilt in anderen Lebensbereichen. Und das Andere ist, dass wir eine Leistungsorientierung entwickeln, die mit humanem Leistungssport relativ wenig zu tun hat und dazu führt, dass Menschen in die Versuchung geraten, ihre natürlichen Grenzen zu sprengen, anstatt sie durch harte Arbeit systematisch zu dehnen und ihr Leistungsvermögen zu erweitern.

Hettinger: Inwieweit strahlt dieses Doping-Image der Tour de France auf die bevorstehende Rad-WM in Stuttgart Ende September ab?

Scharping: Ich hatte ja schon den Vorschlag gemacht, hier eine Steuerungsgruppe einzurichten und die Internationale Anti-Doping-Agentur genauso wie die deutsche dort einzubinden, also WADA und NADA. Das ist bei dem Gespräch mit dem Bundesinnenminister, das übrigens sehr, sehr konstruktiv war, akzeptiert worden, ist auch von der Stadt Stuttgart akzeptiert worden. Ich war bei diesem Vorschlag der Meinung, dass der Sport im Augenblick und der Radsport insbesondere in der gegenwärtigen Lage alleine die Glaubwürdigkeit nicht mehr aufbringen kann und dass wir deswegen die Zusammenarbeit brauchen. Nicht nur wegen der Glaubwürdigkeit, sondern eben auch wegen der fachlichen Kompetenz und der Neutralität, die diese Anti-Doping-Agenturen darstellen.