Schallplatten-Händler "33rpm"

Klassik-Schätze auf Vinyl

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Volker Müller vertreibt seine Klassik-Platten übers Internet. © Volker Müller
Von Olga Hochweis · 09.01.2018
Nicht nur in der Popmusik hat die gute alte Schallplatte in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Auch in der Klassik lässt sich ein überraschender Vinyl-Boom beobachten. Der hat allerdings einige Besonderheiten.
Wer wissen möchte, wessen phänomenale Sopranstimme dieses Lied von Hugo Wolf intoniert, sollte kyrillische Buchstaben entziffern können. 1959 presste VSG, ein Unterlabel der sowjetischen "Melodiya" das Moskauer Konzert der US-Amerikanerin Mattivilda Dobbs auf eine Zehn-Zoll-Platte. Dobbs war damals eine weltweit gefeierte Sängerin- und die erste Afro-Amerikanerin, die ab den 1950ern regelmäßig in der New Yorker Met auftrat. Die handliche Platte mit deutschsprachiger Liedkunst ist ein kleines Juwel: eine von insgesamt 50.000 Klassik-Platten des Vinylhändlers Volker Müller.
"Das ist schon ne Menge Holz. Läden in dieser Größenordnung findet man in Europa nur eine Handvoll."
Die "Menge Holz" braucht Platz. Ein Erdgeschossbüro in Berlin-Kreuzberg beherbergt den gigantischen Schatz an Klängen, der allein schon optisch überwältigt. Plattenregale, soweit das Auge reicht, dichtgedrängt bis knapp unter der Decke in vier Metern Höhe. Die Geschichte des Klassik-Vinyl-Handels von 33rpm – und damit der beruflichen Laufbahn von Volker Müller – beginnt ausgerechnet mit dem Niedergang der Schallplatte in den 80ern – als Sammler ihre Platten wegen der CD nur noch loswerden wollten.
"Und Schallplatten, die vorher 30 Mark noch gekostet haben, haben plötzlich drei gekostet, und das war das Himmelreich, das war einfach absolut großartig. Ich hab mir Schallplatten gekauft wie verrückt. Und irgendwann hatte ich einfach zu viel."

Große Namen und kleine Labels

Nicht nur Begeisterung, vor allem Neugierde kennzeichnet den Platten-Fan Volker Müller. Er hatte bei seinen Aufkäufen all die Jahre nicht nur auf große Namen gesetzt, unbekanntere Interpreten interessierten ihn mindestens genau so und viele kleinere Labels in Osteuropa, etwa Opus aus der Slowakei.
"Und das hat mir jetzt bei dem Boom, den wir jetzt haben, doch sehr geholfen. Denn jetzt haben wir ganz andre Leute, die ganz andere Schallplatten suchen. Die brauchen nicht das Sammlerstück von vor 30 Jahren. Die brauchen Schallplatten, die wie neu spielen. Die kommen in 'nen Laden, den größten Schallplattenladen in Berlin, und finden vielleicht 250 verschiedene Titel. Das ist die ganze Auswahl. Und die kommen dann irgendwann in die Antiquariate und finden, das sind nicht 200, sondern 20.000 verschiedene Titel."
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Müllers bester Kunde, ein chinesischer Manager, lebt in Hongkong. © Volker Müller
Neben der Vielfalt gilt als Hauptgrund für den Klassik-Vinyl-Boom der sehr viel bessere Klang gegenüber der CD. Das erste Szymanowski-Violin-Konzert, gespielt von David Oistrach mit den Leningrader Philhamonikern unter Kurt Sanderling 1959 bildet ein Beispiel für eine frühe Mono-Aufnahme voller erstaunlicher Räumlichkeit und Transparenz.
Klar, dass sich solche Schätze mithilfe des Internets schnell weltweit unter die Leute bringen lassen. Müllers bester Kunde, ein chinesischer Manager, lebt in Hongkong. Der ein oder andere japanische Kunde vertreibt seine Einkäufe mit vielfacher Gewinnmarge weiter im eigenen Land.
"Das Interesse an westlicher klassischer Musik ist in Japan größer als irgendwo sonst in der Welt. Nirgendwo werden so viele verschiedene Pressungen, verschiedene Aufnahmen, gemacht, nirgendwo werden so viele Platten gesammelt und die Kenntnis ist sehr hoch. Die Leute wissen wirklich Bescheid."

Höchstpreise für Raritäten

Die Vinyl-Begeisterung in Japan liefert andererseits aber auch eine ganz gute Warnung:
"Der japanische Markt ist ja an diesen zu hohen Preisen dort zugrunde gegangen. Die waren so teuer, im Vergleich zu dem, was sonst in der Welt so verlangt wurde, das musste irgendwann zusammenzubrechen, das ist mit dem Internet zusammengebrochen. Für Japaner war es selbstverständlich, bei einem japanischen Händler zu kaufen, das war eine Frage der Ehre, das musste einfach sein. Und das Internet hat vorgeführt, wieviel teurer die kaufen, und sie hätten jetzt die Möglichkeit, für buchstäblich ein Zehntel des Geldes die Platten zu kaufen. Porto spielte da keine Rolle, wenn ich 40 statt 400 zahle, dann ist das Porto von 50 Euro kein Grund, das nicht zu tun. Das Geschäftsmodell hat einfach nicht mehr funktioniert."
In Deutschland dagegen funktioniert der Vinyl-Markt immer besser. Was auch an den moderaten Preisen liegen mag. Und die wiederum haben natürlich mit den vielen, teilweise noch ungehobenen Vinyl-Schätzen deutscher Haushalte zu tun. Bleibt nur die Frage: Wie findet man die?
"Wie finde ich die? Die finden mich!"
So wie die Angehörigen eines schwäbischen Arztes, der 30 Jahre lang Erstausgaben gesammelt hatte, bis er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.
"Und die Familie hat diese Sammlung 40 Jahre lang in einem einzigen großen Raum unangetastet aufbewahrt. Wenn man so ne Tür aufmacht, denkt man, das kann einfach nicht wahr sein, unvorstellbar. Das werde ich nie wieder so finden. Das war ein gigantisches Archiv und alles Erstausgaben. Da war keine einzige Platte dabei, die nicht besonders wertvoll gewesen wäre."
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