Schaar plädiert für mehr Personal auf Bahnhöfen

Moderation: Frank Capellan · 04.08.2006
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat sich nach den Bombenfunden in Dortmund und Koblenz für mehr Personal auf Bahnhöfen und in Zügen ausgesprochen. Es sei falsch zu glauben, eine größere Überwachung führe zu weniger Straftaten, sagte Schaar. Er wies zugleich die Forderung nach Nutzung von Lkw-Mautdaten zur Fahndung zurück.
Capellan: Eine Durchleuchtung von Reisenden und Gepäck, auch auf deutschen Bahnhöfen, die flächendeckende Überwachung der Stationen mit Videoaufzeichnungen, Kameras sogar in den Zügen - die Forderungen, vor allem konservativer Politiker, gehen alle in die gleiche Richtung. Nach den Bombenfunden in zwei Nahverkehrszügen sollen die Sicherheitsmaßnahmen verschärft und die Möglichkeiten neuer Technik ohne Wenn und Aber genutzt werden. Ist das in Zeiten akuter Bedrohung durch Terroristen – die jüngste Spur der Ermittler führt offenbar in den Nahen Osten – ist das eine angemessene Reaktion, oder ein weiterer Schritt hin zum Überwachungsstaat? Diese Frage möchte ich mit Peter Schaar diskutieren, er ist Bundesbeauftragter für den Datenschutz und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schaar.

Schaar: Guten Morgen.

Capellan: Herr Schaar, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble will jetzt prüfen lassen, ob neben Bahnhöfen auch Züge mit Videokameras überwacht werden können. Auch die Gewerkschaft der Polizei ist dafür. Können Sie sich das vorstellen?

Schaar: Vorstellen kann ich mir allerhand. Ob das sinnvoll ist, ist allerdings eine andere Sache. Die Bahnhöfe werden ja bereits schon zum großen Teil überwacht. Allerdings nur die Bereiche, die von der Bundespolizei gemeinsam mit der Bahn AG für gefährlich gehalten werden. Das sind schon relativ weite Areale in praktisch allen größeren Bahnhöfen. Bei den Zügen stellt sich die Frage der Videoüberwachung ja aus meiner Sicht nur dort, wo überhaupt gar keine Zugbegleiter dabei sind. Das heißt also beim öffentlichen Personennahverkehr. Und in vielen S-Bahn-Zügen, in verschiedenen Städten gibt es ja auch schon eine Videoüberwachung. Wenn das datenschutzrechtlich korrekt ausgestaltet ist, haben wir als Datenschützer da wenig dagegen einzuwenden.

Capellan: Was heißt das konkret?

Schaar: Nun, also wenn dort geklärt ist, dass es sich um Großraumwagen handelt, wo die Daten auch sinnvoll ausgewertet werden können, nicht etwa, dass dann auch die Toilettenbereiche entsprechend überwacht werden. Wenn geklärt ist, dass diese Daten versiegelt sind und nur im Fall, dass etwas vorgefallen ist, auf sie zugegriffen wird, das heißt, es ist ja keine Onlineüberwachung - die Vorstellung, die da manche haben, man könnte irgendwelchen Verbrechen vorbeugen durch Videoüberwachung, halte ich für ziemlich unrealistisch. Ganz anders sieht das aus bei den Fernzügen. Bei den Fernzügen kann es ja nicht so sein, dass man in Zukunft jedes Abteil überwacht und alles, was dort irgendwie geschieht, in einem quasi abgeschlossenen Bereich, dann aufzeichnet und möglicherweise auch noch gezielt auswertet, und vielleicht auch pauschal dann den Zugriff auch allen möglichen Stellen erlaubt. So etwas kann es, so etwas darf es nicht geben.

Capellan: Herr Schaar, das ist mir nicht ganz klar: Wo ist der Unterschied zwischen der Überwachung im Großraumwagen und im Abteil?

Schaar: Nun, im Abteil hat man einen quasi abgeschlossenen Bereich, in dem man sich frei unterhält, in dem man auch vielleicht andere Dinge tut, sich umarmt, küsst, was weiß ich. So etwas auf Video aufzunehmen, generell, und dann praktisch einer Überwachung zugänglich zu machen, hielte ich für sehr weitgehend. Außerdem, und das finde ich spricht auch gegen eine Überwachung von Fernzügen, wir haben hier es auch zu tun mit Bereichen, wo Zugbegleiter dabei sind und zwar mehrere Zugbegleiter üblicherweise bei jedem Zug. Und auch bei den aktuellen Bombenfunden sind diese Gepäckstücke ja aufgefunden worden von diesen Zugbegleitern und die haben eingreifen können. Mir geht es häufig sehr viel zu schnell, von der Forderung nach Sicherheit zu mehr Überwachung. Man kann Sicherheit auf unterschiedliche Art und Weise herstellen, zum Beispiel dadurch, dass man Personal in Zügen hat, dass man Personal vor Ort in den Bahnhöfen hat, und dieses Personal kann dann vor Ort auch helfen. Wenn jemand hingefallen ist - das sind ja die weitaus meisten Fälle, wo dann gegebenenfalls eingegriffen werden muss - wenn jemand ansonsten Hilfe braucht, dann hilft die Videokamera ja relativ wenig.

Capellan: Also Sie sagen, mehr Zugbegleiter, auch in den Nahverkehrszügen, oder möglicherweise diese so genannten, vielleicht auch privaten Sheriffs, die dann im Zug die Sicherheit überwachen sollen, das wäre der richtige Weg.

Schaar: Also mehr Personal wäre sicherlich eine ernstzunehmende Alternative zu mehr Überwachung. Denn Überwachung schafft nicht per se mehr Sicherheit, das ist eine völlig falsche Vorstellung. Gerade bei der Videoüberwachung können wir feststellen, dass es Bereiche gibt, die jetzt stark videoüberwacht werden und wo man jetzt feststellen muss, die Kriminalität geht überhaupt nicht zurück. Wir haben eine solche Diskussion in Hamburg gerade bei der Reeperbahn, die ja vollständig videoüberwacht wird, und seitdem haben die Straftaten, die man dort festgestellt hat, deutlich zugenommen.

Capellan: Lassen Sie uns noch einmal zu sprechen kommen auf die Videoüberwachung an deutschen Bahnhöfen. Sie haben es angesprochen, vor drei Jahren, da hatten wir diesen Bombenfund auf dem Bahnhof in Dresden. Da hat man einiges verändert, eine zentrale Videoüberwachung, eine Zentralstelle auch der Deutschen Bahn eingerichtet, und da sitzt an einem Arbeitsplatz ein Polizist, der gezielt auch, soweit ich das weiß, Kameras steuern kann, um zu überwachen. Sollte man das ausweiten?

Schaar: Das ist ja schon praktisch in allen größeren Bahnhöfen realisiert. Und zwar nicht nur mit einer zentralen Überwachungseinheit, sondern auch vor Ort gibt es dort Sicherheitszentralen, wo Mitarbeiter der Bundespolizei und gegebenenfalls auch Mitarbeiter der Bahn AG, dann konkret auch eingreifen können und helfen können, beziehungsweise bestimmte Straftaten dann verfolgbar machen. Das heißt, dass dann Personal auch vor Ort geschickt wird, um dann zum Beispiel einen Taschendieb festzunehmen.

Capellan: Also Sie wehren sich nicht grundsätzlich dagegen, die technischen Möglichkeiten zu nutzen bei der Verbrechensbekämpfung, etwa auch bei der Mauterhebung auf den Autobahnen. Da haben wir ja jetzt auch aktuelle Beispiele dafür, dass man Straftätern - es geht um die Ermordung einer 18-jährigen auf einer Autobahnraststätte - dass man denen auf die Spur kommen könnte, wenn denn nur die Polizei befugt wäre, diese Daten auch zu nutzen.

Schaar: Auch hier muss man sagen, wird häufig sehr pauschal argumentiert. Es wird gesagt, wenn ein Lastwagen im Spiel ist, dann sollte man doch sofort die Mautdaten auswerten. Das ist überhaupt gar kein realistischer Ansatz, sondern wenn hier ganz gezielt - das ist immer für mich der ganz große Unterschied - wenn ganz gezielt, bei ganz konkreten Ermittlungen, auf ganz bestimmte Daten, die man auch eng umgrenzen kann, zugegriffen werden kann, und diese Daten sind auch dann tatsächlich vorhanden, dann würde ich mich als Datenschützer einer entsprechenden Gesetzesänderung nicht widersetzen. Nur, andererseits muss man feststellen, die Forderungen gehen ja sehr viel weiter. Man hat die Vorstellung, dass man Toll Collect zu einer Art Fahndungssystem umbaut, wo dann erstmal diese Daten gesammelt werden, nur um möglicherweise dann geschehen Straftaten besser auf die Spur zu kommen. Das halte ich für völlig falsch. Es muss dabei bleiben, dass hier diese datenschutzrechtlichen Vorkehrungen, insbesondere auch die Beschränkung der Datenmenge, gewahrt bleiben.

Capellan: Aber das Gesetz müsste geändert werden, denn im Moment darf gar nichts genutzt werden, was bei der Mauterhebung gesammelt wird?

Schaar: Der Deutsche Bundestag hat vor zwei Jahren genau dieses sehr genau diskutiert und beschlossen. Und manchen von denen, die das heute verurteilen, haben vor zwei Jahren noch dafür gestimmt. Und eigentlich müssen die ja erklären, was denn diesen Stimmungswandel bei ihnen verursacht hat, ob sie vielleicht dieses Gesetz dann gar nicht gelesen haben, für das sie seinerzeit gestimmt haben.

Capellan: Peter Schaar war das, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in Deutschland. Herr Schaar, ich danke Ihnen, auf Wiederhören.