Sawolschje

Russlands Monostädte haben eine düstere Zukunft

Menschen kommen aus dem Motorenwerk in Sawolschje. Vor dem baufälligen Gebäude stehen alte Busse.
Feierabend im Motorenwerk in Sawolschje © Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Von Gesine Dornblüth · 27.10.2016
Mindestens zehn Prozent der Russen leben in sogenannten Monostädten. In den Orten, die fast vollständig von einem Industriezweig abhängig sind, geht es seit dem Ende der Sowjetunion bergab.
Feierabend beim Motorenwerk Sawolschje. Die Menschen strömen zu Fahrrädern, der Bushaltestelle, ihren Autos. Andrej wartet am Parkplatz auf einen Bekannten. Er ist Rentner und hat selbst sein Leben lang in der Motorenfabrik gearbeitet.
"Wir würden kein Existenzgründungszentrum brauchen und auch sonst nichts, wenn nur das Motorenwerk voll arbeiten würde. Dann hätten die Menschen hier Beschäftigung, und dann wären die Fachkräfte nicht abgewandert, sondern würden hier leben und arbeiten."
Absatz von Autos geht zurück
Sawolschje, 40.000 Einwohner, liegt im Gebiet Nischnij Nowgorod. Die Region ist von der Automobil-Industrie geprägt. Das Werksgelände erstreckt sich entlang dem Wolgaufer. Die Einheimischen sagen scherzhaft, der Kurzname des Werks, ZMZ, stehe für: Zawod moich znakomych, das heißt: die Fabrik meiner Bekannten, weil früher nahezu jeder Bewohner von Sawolschje in dem Motorenwerk gearbeitet hat. Zu Hochzeiten waren es 25.000 Beschäftigte, jetzt sind es noch etwa 4.500. Und statt wie früher sechs Tage, arbeiten sie vier Tage die Woche. Der Rentner Andrej steigt ins Auto. Er glaubt trotz allem an die Zukunft des Werks.
"Die Leute dürfen nicht nur reden, sondern müssen etwas tun. Nach Möglichkeiten suchen, den Menschen Arbeit zu geben. Es muss doch einen Markt für unsere Motoren geben, irgendwo, vielleicht im Ausland. Die Menschen hier sind gut ausgebildet und hoch qualifiziert."
Der Betrieb wird subventioniert
Wegen der Wirtschaftskrise ist der Absatz von Autos in Russland im letzten Jahr um ein Drittel zurückgegangen. Der Abwärtstrend hält an. Dennoch ist die Lage in Sawolschje heute relativ stabil. Das Motorenwerk hat den Großteil der Beschäftigten bereits in früheren Jahren entlassen, nach der großen Wirtschaftskrise 2008/2009. Damals gab es Überlegungen, das Werk zu schließen, der Absatz war um knapp die Hälfte eingebrochen. Der Staat sprang ein, seitdem wird der Betrieb subventioniert. Eine Lösung sei das nicht, sagt der Oppositionspolitiker Aleksej Wetoschkin von der Partei Jabloko.
"Die Bevölkerung war erst mal zufrieden, nach dem Motto, jetzt wird es wenigstens nicht noch schlimmer. Jetzt müsste man die Anlagen erneuern, in neue Arbeitsplätze investieren. Das ist bisher nicht passiert. Es gibt aber Orte, an denen sieht es viel trüber aus."
Insgesamt gibt es in Russland mehr als 300 Monostädte. In rund einem Drittel bewertet die russische Regierung die Situation als "sehr schwierig". Sawolschje zählt nicht dazu.
Förderung von kleinen Unternehmen
Die Regierung hat bereits im Jahr 2010 Programme aufgelegt, um die Infrastruktur der Monostädte zu entwickeln und um kleine und mittlere Unternehmen zu fördern. In Sawolschje gibt es seither einen sogenannten Business Inkubator. Dort werden zurzeit 18 Existenzgründer gefördert, darunter ein Möbelfabrikant, eine Fotografin, eine Schneiderin. Jurij Chudjakow sitzt am Computer und prüft Tabellen. Er hat viele Jahre im Motorenwerk gearbeitet, zuletzt als Leiter des Verkaufs. Er ging, bevor die großen Entlassungswellen kamen.
"Ich wollte schon lange meine eigene Firma haben. Denn ich wusste, dass mir niemand hohe Löhne zahlen wird. Und wenn ich schon wenig Geld verdiene, dann wenigstens in Eigenregie."
Chudjakow beschäftigt elf Mitarbeiter, sie stellen Kunststofferzeugnisse her. Nach drei Jahren schreibt seine Firma jetzt erstmals schwarze Zahlen.
Außer den bisher wenigen russischen Startups haben sich einige ausländische Industriebetriebe in Sawolschje angesiedelt. Ein deutscher Baustoffproduzent expandiert sogar, hat kürzlich 40 Millionen Euro investiert, trotz der Krise. Die Fabrik ist allerdings hochautomatisiert und bietet nur knapp hundert Menschen Arbeit.
Die Stadt will die Abhängigkeit von der Automobilindustrie weiter senken. Auf dem Gelände des Motorenwerks soll ein Industriepark entstehen, erläutert Oksana Schestkowa, die Leiterin der Stadtverwaltung.
"Die Investoren müssen nur kommen. Die Infrastruktur ist da: Wasser, Wärmenetz, Strom, Gas, Gebäude. Aber zurzeit sinken die Investitionen eben. Ich denke, es müssen mindestens 20 bis 25 Jahre vergehen, bis wir das Profil von Sawolschje geändert und unsere gesamte Wirtschaft modernisiert haben."
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