Saubere Spiele im Land der Doping-Labors

29.04.2008
Von keinem Land der Welt werden so viele unbekannte anabole Steroide und Wachstumshormone vertrieben wie von China. Nirgends gibt es so viel systematische Dopingforschung in Kleinstlaboren wie im Reich der Mitte. In "No Limit" erklärt Ines Geipel die Olympischen Spiele deshalb zu einem einzigen großen Schwindel und zeigt zugleich gesellschaftliche Tendenzen zum Massendoping auf.
Ines Geipel, in den 80er Jahren selbst Weltklassesprinterin, hat ihre Rekorde zurückgegeben. Auch den bis heute offiziell gültigen 100-Meter-Staffelweltrekord, den sie mit der DDR-Nationalmannschaft 1984 in Erfurt erzielte, gab sie zurück, weil er unter Zwangsdoping zustande gekommen war.

Die im Sommer bevorstehenden Olympischen Spiele in Peking hält Geipel, Professorin für Verssprache an der Schauspielschule Ernst Busch, für einen einzigen großen Schwindel. China sei der weltweit größte Exporteur meist sogar noch unbekannter anaboler Steroide und Wachstumshormone. In Kleinstlaboren und an staatlichen Einrichtungen werde mit enormem finanziellem Aufwand seit langem systematische Dopingforschung betrieben. Darüber hinaus seien die Chinesen führend in der Genforschung.

Ines Geipel stellt in No Limit ein Land vor, dass sich erstaunlich mühelos auf internationale Betrugsstandards in Sachen Doping eingestellt hat. In den langen Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur haben die Chinesen gelernt, zu tricksen und zu verschleiern. Mit diesen Fähigkeiten finde man sich in der kaputten Welt des Sports, in der es oft darum gehe, sich an Grenzwerte heranzudopen, um bei den Dopingtests nicht aufzufallen, bestens zurecht.

"Auch der olympische Gedanke wird wohl im Pekinger Trauerspiel seinen Schlussakt erleben", schreibt Geipel. "Wenn IOC und DOSB - Deutscher Olympischer Sportbund - auf so kategorische Weise eine Diktatur stützen, die Menschenrechte und die eigene Charta missbrauchen, muss man anerkennen, wie es um diese honorigen Institutionen steht."

Die verdopte Gesellschaft

Sieben Millionen Bundesbürger arbeiten in 6500 Fitnessstudios an einem optimalen Körper, hat Ines Geipel herausgefunden. Fast alle professionellen Bodybuilder, aber auch viele Freizeitsportler helfen mit verbotenen Mitteln nach, wenn es darum geht, den Körper in die gewünschte Form zu bringen. Für jeden und alles gibt es Happy Pills. 2007 erzielten die Händler von Lifestyledrogen weltweit ein Marktvolumen von 27 Milliarden Dollar. Jeder fünfte Collegestudent in den USA frisiert seine Leistungen mit Prozac oder Ritalin.

"Wenn keiner mehr traurig ist, warum dann ich?", fragt Ines Geipel und beschreibt faktenreich, wie die Menschheit fieberhaft daran arbeitet, sich mit immer ausgefeilteren Drogen maßgeschneiderte Gehirne zu verpassen. Einerseits könne man mit diesen neuen neurologischen Medikamenten - so genannten Neuroceuticals - natürlich Krankheiten immer besser bekämpfen. Anderseits sieht die Autorin in dieser Form des Hirndopings, das den Mensch rundum glücklich macht, Panik und Ängste verschwinden lässt, einen verheerenden Generalangriff auf den freien Willen. Längst sind maßgeschneiderte Medikamente für spezielle Berufsgruppen auf dem Markt, die beispielsweise den höllischen Stress des Börsenmaklers in Luft auflösen und ihm zu permanenter Höchstform verhelfen. Ines Geipel:

"Doch ist es in einer Gesellschaft, die sich systematisch mit allen Mitteln und jeder Faser auf Leistung trimmt, nicht geradezu bigott, andauernd einzelne Athleten zu skandalisieren, die zufällig mal aufgeflogen sind? Wie steht es um die Möglichkeit eines sauberen Sports, wenn der genfrisierte Athlet längst kein Menetekel mehr ist, sondern breitenwirksame Realität?"

Neue Armeen von Cyborgs

Die Defence Advanced Research Projects Agency, DARPA, hat das Internet entwickelt. Ausgestattet mit einem Jahresetat von rund zwei Milliarden Dollar, hat die offizielle Denkfabrik des Pentagons nach Ines Geipels Überzeugung nahezu alle Freiheiten für atemberaubende Forschungsprojekte. Aktuell arbeite die DARPA im Rahmen des "Military Bioengineering" an einer dreiteiligen Biotech-Reihe. Es geht um Schmerzbekämpfung, Hartnäckigkeit im Kampf und dauerhafte Leistungsunterstützung. In Planung seien vollkommen schmerzfreie Krieger, die mittels Chemie in die Lage versetzt werden sollen, trotz eines abgerissenen Arms ohne Posttraumatisches Belastungssyndrom weiterzukämpfen.

Die Emotionen werden durch Chips im Hirn reguliert, zitiert Ines Geipel den amerikanischen Körperdesigner Max More. Muskeln werden durch Nanofasern verstärkt. Was verschlissen ist, wird ersetzt. Die nicht mehr alternde Gesellschaft antizipiert durch invasive Technisierung einen Körper, der nicht mehr älter wird. Was einmal Leib war, wird eine rein technische Angelegenheit, was einmal Leben war, etwas durch und durch Quantifizierbares.

In "No Limit" macht Ines Geipel nachhaltig und erschreckend deutlich, dass wir von diesen Szenarien gar nicht mehr so weit entfernt sind.

Rezensiert von Thomas Jaedicke

Ines Geipel: No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft?
Klett-Cotta, Stuttgart 2008
220 Seiten, Euro 19,90