Satirisches Bild einer militarisierten Gesellschaft

Rezensiert von Katharina Döbler · 19.09.2005
In "Ecce homo" schildert der streitbare Publizist Yitzhak Laor den angespannten Alltag in Israel in Form von Fragmenten und Short Cuts. Mitunter führen seine Erzählungen ins Absurde, wenn etwa ein israelischer Geheimdienstgeneral seine Spezialeinsatztruppe ein toskanisches Dorf einnehmen lässt.
Yitzhak Laor, Jahrgang 1948, ist Dramatiker, Lyriker, Romancier - und ein höchst streitbarer Publizist. Seine Stellungnahmen gegen die israelische Besatzungspolitik in der Jerusalemer Tageszeitung "Ha´aretz" wie auch in der internationalen Presse, zum Beispiel der renommierten "London Review of Books", haben ihm weltweit Geltung verschafft und die unverbrüchliche Feindschaft der politischen Rechten in Israel eingetragen. 1990 weigerte sich Präsident Yitzhak Shamir, Laor den Poesiepreis des Ministerpräsidenten persönlich zu überreichen.

"Ecce homo" ist, wie schon Laors Roman "Steine, Gitter, Stimmen" über den Libanonkrieg von 1982 (deutsch 2003), in erster Linie die Beschreibung eines Landes im permanenten Kriegszustand. Das Buch, das erstmals 2001 erschien, spielt während des ersten Golfkriegs im Jahr 1990, als in Israel eine ungeheure Anspannung herrschte und jeder eine Gasmaske mit sich herumtrug.

Laor erzählt keine fortlaufende Geschichte, sondern verfolgt die Lebenslinien verschiedener Figuren, die parallel laufen, sich kreuzen und auseinander gehen. Es gibt keine erzählerische Geschlossenheit, nur Fragmente, Verweise, überraschende Zusammenhänge.

Zentrale Figur ist der hässliche alternde General Adam Lotem: vor Jahren hat er die Spezialkommandos ins Leben gerufen, in denen als Araber verkleidete israelische Soldaten in den besetzten Gebieten Terror verbreiten. Lotem ist ein emotionales Wrack; verzweifelt und devot begehrt er eine Aktivistin der palästinensischen Rückkehrbewegung, die ihn für ihre Zwecke ausnutzt.

"Adam" bedeutet bekanntlich – wie "homo" auch – Mensch beziehungsweise Mann. Adam Lotem ist ein Bündel männlicher Lebensentwürfe: unersättlicher Erotomane und Liebhaber der Renaissance, gewissenloser Krieger, Machtmensch und moralischer Zweifler, Leser des "Faust" und der "Göttlichen Komödie", dabei einsam in einer heruntergekommenen Kleinwohnung hausend.

Auf seine alten Tage zunehmend von Skrupeln heimgesucht, versucht der General, seine Untaten zu sühnen, indem er die israelischen Kampfeinheiten in einer absurden Operation bloßstellt – sie sollen eine toskanische Kleinstadt einnehmen. Der Plan ist so fantastisch wie undurchführbar, aber viele der zahlreichen ineinander verwobenen Erzählfäden in Laors Roman sind so: Irreal und gleichzeitig auf bizarre Art einleuchtend, parabelhaft und unwahrscheinlich, dabei beseelt von der suggestiven Kraft der Träume.

Gleichzeitig zeichnet Yitzhak Laor das satirische Bild einer militarisierten Gesellschaft: Die Unterwerfung der Intellektuellen unter die Staatsmacht karikiert er in Gestalt eines alten Professors, der davon besessen ist, mit dem General zu essen und die Identität des Chefs des Inlandsgeheimdienstes zu kennen. Die horizontale Spaltung der Gesellschaft in die "europäischen" und "orientalischen" Juden sowie die für niedere Arbeiten nötigen Araber zeigt er immer wieder in kurzen Skizzen und entlarvenden Dialogen. Doch so beißend Laors Kritik auch ist – sie ist nicht ohne Mitgefühl und auch nicht ganz ohne Hoffnung.


Yitzhak Laor: Ecce homo
Roman. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Unionsverlag. Zürich 2005. 603 S., 24,90 €.