Satire

Ein Kaleidoskop von Handlungssträngen

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Im Mittelpunkt des 600 Seiten starken Werks: Bürokratie unter Steuerbeamten © dpa / Johannes Schmitt-Tegge
Von Daniel Haas · 29.11.2013
In David Foster Wallaces Roman erweist sich die Steuerbehörde als perfekter Ort, den modernen Menschen zu demontieren. In dem posthum erschienenen Werk vereint sich der Humor Woody Allens mit der Sprache von Thomas Bernhard.
Die Literatur hat uns schon an viele kuriose Orte geführt, Amtsstuben, Kellerlöcher, Wartesäle, aber eine Steuerbehörde, das ist neu und unerhört. Sechshundert Seiten über den amerikanischen Fiskus und seine bürokratischen Finessen – welcher Autor würde sich und dem Leser so ein Sujet zumuten? Nimmt sich nicht Kafkas Inspektion des Gerichtswesens dagegen wie ein heiteres Memo aus?
Die Überraschung, die dieses furiose, unterhaltsame und zugleich den Leser strapazierende Buch bereithält: Die Steuerbehörde ist der ideale Ort, um die Verfassung des modernen Menschen nicht nur darzustellen, sondern zu überzeichnen, zu erfassen und zu demontieren.
"Wenn man es einmal begriffen hat, dann verkörpert das Steuersystem die Essenz des Lebens: Gier, Politik, Macht, Göttlichkeit, Gnade", sagt ein Finanzinspektor – es klingt nach Größenwahn, aber es ist auch das Programm dieses posthum veröffentlichten Buchs. David Foster Wallace trat an, aus den Strukturen des bürokratischen Apparats eine Anatomie unserer Gegenwart zu präparieren. Dass es gelungen ist, ist auch seinem Lektor zu verdanken, der tausende Manuskriptseiten zu diesem – als unvollendet ausgewiesenen – Werk zusammenfügte.
Herausgekommen ist ein Erzählkaleidoskop, in dem sich die Handlungsstränge wild ineinander drehen, bestehend aus Stories, essayistischen Einsprengseln, Figurenporträts. Da sind die Steuerexperten, die ihre Tätigkeit als modernes Heldentum verstehen: "Langeweile über einen langen Zeitraum zu ertragen, das erfordert Tapferkeit."
Satire von höchstem komödiantischem Rang
Da sind die zahlreichen Nebendarsteller, die der Autor auftreten lässt. Der altruistische Leonard Stecyk, der seine Highschool mit Charity-Projekten drangsaliert – eine in sich abgeschlossen Satire von höchstem komödiantischem Rang, Woody Allen mit dem sprachlichen Furor von Thomas Bernhard. Die sadistische Toni Ware, eine Frau, die sich für die Traumata der Kindheit mit Bosheiten revanchiert, die Bret Easton Ellis den Atem verschlagen würden (Buletten, gewürzt mit fein geriebenem Glas!).
David Cusk, ein Nerd mit Transpirationsproblemen – was tut er nicht alles, um seinen Körper in den Griff zu kriegen, um am Ende doch an der Kreatürlichkeit zu scheitern. Nie erschienen einem die kosmetischen Glücksversprechen aus Werbung und Gazettenliteratur sinnloser als nach Lektüre dieses anrührenden Texts.
Und dann ist da ein gewisser David Foster Wallace, der das Buch als seine Autobiografie ausgibt. Der Autor, der sich in sein Werk hineinspiegelt, das ist nicht neu, man kennt solche Vexierspiele von Paul Auster bis Michel Houellebecq. Aber dieser zweite Wallace ist nun ebenfalls Steuerexperte und außerdem: Betrüger, Plagiator, ein Kritiker des verwalteten Lebens. Von ihm stammt die Diagnose, "dass abstruser Stumpfsinn ein weit effizienterer Schutzschild als Geheimniskrämerei ist".
Umgekehrt heißt dies aber auch: Wenn uns der Stumpfsinn des verwalteten Lebens zu überwältigen droht, können wir uns trösten mit den Geheimnissen der Kunst. Mit Texten wie "Der bleiche König", einem Werk der Weltliteratur.

David Foster Wallace: Der bleiche König
Übersetzt von Ulrich Blumenbach, 2013
Kiepenheuer & Witsch, 625 Seiten, 29,99 Euro

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