Sarah Wieners Speisekammer

Wenn die Angst vor ungesundem Essen krank macht

Donuts essen bei einer Party
Donuts und anderen Süßkram futtern: Nicht wenige Menschen verbieten sich das strikt. © Unsplash / Kyle Nieber
Von Sarah Wiener · 17.08.2018
Die Grenze zwischen ungewöhnlichem Essverhalten und zwanghafter Essstörung ist fließend, meint Sarah Wiener. Drastische Diäten, neue Ernährungsregeln und der Zwang zur Selbstoptimierung seien mitschuldig an vielen Fällen von Orthorexie.
Orthorexie ist ein neuer Begriff, den der amerikanische Arzt Steven Bratman im Jahre 1997 geprägt hat. Der Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet "richtiger Appetit". Betroffene zwingen sich dazu, sich (in ihren Augen) besonders gesund und "rein" zu ernähren.
Sie fürchten sich vor ungesunder Nahrung oder bestimmten Ernährungsgewohnheiten, das zu einer Sucht ausarten kann und dann zu einem Krankheitsbild führt. Die Grenze zwischen ungewöhnlichem Essverhalten und zwanghafter Essstörung ist fließend und nicht immer einfach zu erkennen.
Es gibt "Orthorexier", die legen Wert auf bestimmte Lebensmittel, andere Speisen sind dagegen absolut tabu. Wiederum andere müssen gegessen werden, z.B. bestimmte Körner, Getreide oder nur Rohkost. Sie essen nur zu bestimmten Zeiten oder nur einmal am Tag, betreiben das dann immer extensiver und schränken so ihre Ernährung stark ein. Das führt sehr oft zur Unterversorgung oder zu einer sehr ausgeprägten Mangelernährung.

Drei Gründe für den Anstieg von Orthorexie

Das eine ist die Medienpräsenz zur Selbstoptimierung. Die Themen in den Zeitschriften lauten: Schlaf ich gut genug, betreibe ich ausreichend Sport, kann ich mich noch mehr optimieren, bin ich jung und fit, was soll ich essen und was nicht?
Ein zweiter Grund sind Diäten, die überall und allgegenwärtig sind, viel Geld kosten und einem vermitteln: Wenn man dazugehören will, dann muss man ein bestimmtes Schönheitsideal, einen bestimmten Körperfettanteil und ein bestimmtes Aussehen haben. Das ist gerade für junge Mädchen, die verunsichert sind, nicht so viel Selbstwertgefühl haben und zu drastischen Diäten greifen, oft der Einstieg in die Orthorexie.
Der dritte Grund sind Ernährungsregeln, die in unserer Zeit gefördert werden, sei es aus ethischen Gründen wie bei Veganern und Vegetariern oder aus religiösen Gründen mit bestimmten Essverboten. Lebensmittelallergien nehmen bei immer mehr Menschen zu: 20 Prozent der Deutschen sollen mittlerweile Allergien oder Unverträglichkeiten haben und fast ein Viertel der Deutschen verzichtet auf Produkte wie Gluten, Fruktose, Histamin oder Laktose, obwohl sie überhaupt keine Unverträglichkeit haben.

Nicht nur die Gesundheit leidet

Ein wesentlicher Teil der Einschränkung ist der soziale Aspekt. Wenn ich nicht mehr meine Suppe mit dem anderen teilen kann oder will, weil ich Angst habe, Falsches zu essen oder komisch angeschaut werde, wenn ich bestimmte Essgewohnheiten habe, dann grenze ich mich aus. Ich gehe nicht aus, koche und esse nicht mehr mit anderen. Das zieht oft eine soziale Vereinsamung nach sich und bedeutet, dass Menschen sich dann noch mehr mit sich selber und ihrem Körper beschäftigen.
Das ist ein Teufelskreis, der nur schwer durchbrochen werden kann. Die Menschen mit diesem Krankheitsbild sind überzeugt, dass sie genau wissen, wie sie sich zu ernähren haben. Und das verteidigen sie, auch wenn Ernährungswissenschaftler und Ärzte das Gegenteil sagen.

Ein gesundes Körpergefühl geben

Ich empfehle Eltern, ihren jungen Töchtern und Söhnen ein gesundes Körpergefühl zu geben. Sie sollten nicht selber in den Spiegel schauen und sich abwerten und erst recht nicht ihre Kinder. Ansonsten respektieren sie, dass man nicht alles essen will und essen muss − und dass man nicht lebt, um zu essen, sondern dass man essen muss, um gut zu leben!
Die TV-Köchin und Unternehmerin Sarah Wiener bereitet am 24.11.2016 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) bei der Veranstaltung "Ich kann Kochen" in einer Schulküche mit Kindern Essen zu.
Die TV-Köchin und Unternehmerin Sarah Wiener bereitet am 24.11.2016 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) bei der Veranstaltung "Ich kann Kochen" in einer Schulküche mit Kindern Essen zu. © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
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