Sarah Roß

Jüdische Musik ist mehr als Klezmer

Blick in die Görlitzer Synagoge, aufgenommen am Dienstag (04.11.2008). Die Görlitzer Synagoge hat als einziger jüdischer Sakralbau in Sachsen die Pogromnacht am 9. November 1938 ohne Schaden überstanden.
Blick in die Görlitzer Synagoge, die seit 2008 als Kultur- und Begegnungsstätte genutzt wird. © picture-alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Michael Hollenbach · 26.02.2016
Sarah Roß ist die neue Leiterin des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik (EJZM) an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Die Professorin ist Nachfolgerin von Andor Izsak, der das Zentrum aufgebaut und jahrelang geleitet hat. Die Neubesetzung bedeutet mehr als nur einen Generationenwechsel.
Andor Izsak ist der Wiederentdecker der synagogalen Orgelmusik des Reformjudentums. Und mit dieser Musik hat er dem Europäischen Zentrum für Jüdische Musik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover jahrelang seinen Stempel aufgedrückt. Und nun: Die neue Leiterin Sarah Roß setzt auf musikalische Vielfalt:
"Alle Musiktraditionen, die mit jüdischer Kultur zusammenhängen, die außerhalb des synagogalen Bereichs angesiedelt sind. Das kann israelische Popmusik sein, das kann auch Klezmer sein. Da passiert ganz viel: Die junge Generation von Juden und Jüdinnen, die heute leben, die machen ja auch Musik, die bringen ihr Judentum auch in ihrer Musik zum Ausdruck. Und das wollen wir ebenso berücksichtigen wie die synagogale Musiktradition."
Das Problem: In der Öffentlichkeit steht vor allem ein Sound für jüdische Musik: Klezmer:
"Das ist eine ganz große Windmühle, gegen die ich kämpfe, und ich fange hier bei den Studierenden an. Ich habe jetzt bei dem Einführungskurs zu jüdischer Musik gemerkt, dass das Wissen sehr begrenzt ist, aber das Interesse der Studierenden ist sehr groß."
Vor allem das Interesse an der Bandbreite jüdischer Musik. Denn was "jüdische Musik" eigentlich ist, lässt sich nicht so leicht definieren:
"Sobald die Musik, die Juden machen, eine identitätsstiftende Wirkung hat, wenn sie eine Bedeutung im religiösen und kulturellen Bereich hat, dann können wir von jüdischer Musik sprechen."

Die Melodien in den Synagogen sind regional beeinflusst

Doch selbst die Musik, die in den Synagogen gespielt wird, ist weltweit durchaus verschieden, erläutert die 38-jährige Musikwissenschaftlerin:
"Was weltweit in den Synagogen relativ gleich ist, ist die Abfolge der Liturgie. Der Sound oder die Melodien, die sind auch innerhalb von Europa sehr unterschiedlich. Wir haben es bei jüdischer Musik immer mit sehr viel Diversität zu tun, Lokaltradition. In Indien zum Beispiel ist es so, dass man aufgrund der Migrationsbewegungen, zum Beispiel bei den Baghdadi-Juden, die in Indien leben, erkennen kann, dass sie weiter die jüdische Musiktradition aus Persien praktizieren, aber sich auch an die Musik ihrer Umgebung angepasst haben, an die hindustanische klassische Musik zum Beispiel."
Sarah Roß reizt vor allem die Musik jüdischer Frauen. Und das hängt mit einem Besuch in Jerusalem zusammen:
"Dann gab es dieses Erlebnis an der Klagemauer, wo sich die ganzen Männer da versammelt haben, singen und tanzen duften, und die Frauen dürfen das eben nicht. Und das fand ich sehr frustrierend."

Jüdische Musikerinnen wählen eher populäre Musik

Und mit diesem Erlebnis hat sie das wissenschaftliches Thema ihrer Magisterarbeit gefunden: Welche Musik machen eigentlich jüdische Frauen? Bei ihren Recherchen stieß sie auf Pionierinnen jüdischer Musik in den USA wie Debbie Friedman, Rayzel Raphael oder Shefa Gold.
"Die haben eher populäre Musik gewählt wie Folkrock, wo jeder leicht mitsingen kann. Und eingängige Melodien, die hört man einmal und jeder kann mitmachen. Und das ist die Form, wo sie versucht haben, eine egalitäre Form des Gottesdienstes zu kreieren und eben auch keinen Unterschied mehr zwischen Männern und Frauen, Kindern und Erwachsenen zu machen."
Sarah Roß wird sich der Forschung und der Lehre widmen. Ihr Vorgänger Andor Izsak wird aber weiterhin in der Villa Seligmann, in dem auch das Europäische Zentrums für Jüdische Musik untergebracht ist, Konzerte organisieren und selbst die Orgelregister ziehen. Das Credo des 71-Jährigen:
"Das reicht nicht, dass die Noten auf dem Regal stehen, die müssen erklingen, die müssen die Menschen erreichen." Und ganz ohne falsche Bescheidenheit fügt er hinzu: "Wie es aussieht, man konnte mich mit einer Person nicht ersetzen."
Seiner Nachfolgerin kreidet er an, sie ziehe sich zu sehr in den Elfenbeinturm der Musikethnologie zurück. Doch dem hält Sarah Roß selbstbewusst entgegen:
"Unser Auftrag ist Forschung und Lehre, aber wir sind keine Konzertagentur." (Lachen)

Weitere Informationen zum EJZM auf dessen Website

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