Sarah Glidden: "Im Schatten des Krieges"

Der Irakkrieg und die blinden Flecken der Berichterstattung

Irakische Soldaten in Panzern südlich von Mossul
Irakische Soldaten bei Mossul: Die Berichterstattung ist umstritten. © AFP / Ahmad al-Rubaye
Von Tabea Grzeszyk · 21.12.2016
Für ihre Graphic Novel "Im Schatten des Krieges" besuchte Sarah Glidden zwei Journalisten im Nahen Osten, um über den Irakkrieg 2003 aufzuklären - und die Rolle von "embedded journalists" zu hinterfragen. Das Buch gibt einen hochpolitischen Blick hinter die Kulissen des Nachrichtengeschäfts.
An diesem Buch scheiden sich die Geister: Zum "Fremdschämen" findet "Spiegel"-Rezensent Timur Vermes die Graphic Novel "Im Schatten des Krieges", während die Comic-Jury des Berliner "Tagesspiegels" den Band zu den fünf besten Neuerscheinungen des Jahres zählt. Was ist da los?
Die amerikanische Comic-Autorin Sarah Glidden hat im Jahr 2010 zwei befreundete Journalisten und einen Golfkriegsveteran auf einer zweimonatigen Reise durch den Nahen Osten begleitet. Die jungen Freiberufler möchten über die Folgen des Irakkriegs von 2003 aufklären: Die blinden Flecken der Berichterstattung ausleuchten, die amerikanische Kriegsreporter als "embedded journalists" hinterlassen haben, wie etwa das Schicksal irakischer Flüchtlinge, die durch die US-Invasion dutzende Angehörige verloren haben.
Sarah Glidden beobachtet und begleitet die Reporter bei ihrer Recherche, um in Comicform der Frage nachzugehen, was Journalismus eigentlich ist und wie er funktioniert? In Zeiten besorgter Bürger, die der sogenannten "Lügenpresse" zunehmend misstrauen, verspricht Gliddens Buch einen hochpolitischen Blick hinter die Kulissen des Nachrichtengeschäfts.
Doch streng genommen läuft hier einiges schief: Die enorm prekären Arbeitsbedingungen der idealistischen Rucksack-Journalisten erschweren von Beginn an die Arbeit. Der Veteran ist nicht nur Ex-Soldat, sondern auch Ex-Liebhaber der Jugendfreundin der Reporterin.
Buch wirkt historisch überholt
In seinem Bemühen, ihr eine gute Story zu liefern, öffnet sich Dan jedoch vor allem, wenn das Mikro aus ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Journalistin Dan's Story bereits im Kopf zu haben scheint, bevor sie überhaupt angekommen sind. Journalistische Distanz? Eine Kostenfrage, wenn man eine Geschichte verkaufen will, um zumindest die Reisekosten wieder reinzubekommen.
Dabei dokumentiert Sarah Glidden minutiös die Authentizität ihrer Aufzeichnungen. In den Anmerkungen zum Text schreibt sie etwa: "Dieses Gespräch wurde auf der Grundlage von Sarahs und Jessicas Bericht über ihr Treffen mit Botschafter Mustafa rekonstruiert und sollte nicht als direktes Zitat verstanden werden." Doch trotz aller Gründlichkeit wirkt das Buch heute historisch überholt, sechs Jahre lang hat Glidden am Band gearbeitet. Während Damaskus als Zufluchtsort für irakische Flüchtlinge breiten Raum einnimmt, könnte man heute dasselbe Kapitel über Beirut schreiben, wo seit 2011 syrische und irakische Flüchtlinge gleichermaßen nach Schutz suchen.
Für die Frage nach dem "Wesen" des Journalismus bleibt Sarah Gliddens Spurensuche dagegen aktueller denn je. Wer glaubt, unter solch prekären Arbeitsbedingungen arbeiteten nur amerikanische Freelancer, der irrt: Auch in Deutschland werden aufwändige Recherchen längst von freien Kollegen gemacht, die ebenso journalistische Inhalte gegen ökonomische Zwänge abwägen müssen. Sarah Glidden ist es zu verdanken, genau diese Ambivalenzen des journalistischen Alltagsgeschäfts festgehalten zu haben. Eine lesenswerte Zeitdiagnose, über die sich gut streiten lässt!

Sarah Glidden: Im Schatten des Krieges. Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei
Aus dem Englischen von Ulrich Pröfrock
Reprodukt, Berlin 2016
304 Seiten, 29 Euro

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