Sanktionen

Russland am Scheideweg

Der russische Präsident Wladimir Putin in Wien
Der russische Präsident Wladimir Putin © dpa / picture alliance / Sergey Guneev
Von Ernst Rommeney · 02.08.2014
Seit der Jahrtausendwende versprechen Russlands Politiker Wirtschaftsreformen, die sie jedoch nie durchgeführt haben, meint Ernst Rommeney. Die amerikanischen und europäischen Sanktionen könnten nun ein Weckruf sein.
Die Europäer sind tief enttäuscht. Nein, nicht von Russland, sondern von der politischen Klasse Moskaus. Über Jahrzehnte waren sie unterwegs im Dialog, kannten einst die sowjetische Nomenklatura wie heute die russischen Eliten. Und so zögerten sie lange, bis sie Balten und Polen folgten, die solidarisches und gemeinsames Handeln einforderten.
Zu undurchsichtig ist das Spiel, dass sich Wladimir Putin für die Ukraine ausgedacht hat, wie er erst die Krim annektierte, wie er jetzt durchblicken lässt, auch noch im Osten des Nachbarlandes militärisch intervenieren zu wollen, diskret darauf hinweisend, Atomstreitkräfte hinter sich zu haben, und vor allem, wie er kühl über den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs hinwegging.
Politisch und ideologisch waren russische Gesprächspartner immer schwierig, diplomatisch und wirtschaftlich verhandelten sie hart. Nun aber sind sie unberechenbar geworden, haben sich eine eigene Realität geschaffen, sind williges Opfer ihrer Propaganda geworden, die das ganze Land derart national dopt, dass nur noch Hass und Häme für alle jene übrig bleibt, die als Gegner ausgemacht werden.
Label eines Gegenentwurfs zur Dekadenz des Westens
Sie wollen Russlands Größe respektiert sehen. Und Russland ist eine Größe – im europäischen Kulturraum. Seine Schriftsteller, Komponisten und Naturwissenschaftler bleiben ungeschmälert geachtet. Nur eine Großmacht ist es nicht, weil die Regierenden der Größe des Landes nicht gewachsen sind, weder innen- noch außenpolitisch.
Seit der Jahrtausendwende versprechen sie Wirtschaftsreformen, die sie nie durchgeführt haben. Sie kritisieren die USA und Europa für ihre Art, mit den großen Konflikten der Erde umzugehen, waren aber in keinem einzigen als zielstrebiger Vermittler, als lead-nation, engagiert. Stattdessen mauern sie sich im Kreml ein, intellektuell wie physisch.
Zuletzt gab Putin dieser Politik das Label eines orthodox-konservativen Gegenentwurfs zur Dekadenz des Westens, verband sie durch einen antimodernen Pakt mit der Religion. So entsteht ein recht typisches Bild, wie jene, die vormals nie die Kirche besucht haben, sich öffentlich bekreuzigen, wo ihnen ein Problem begegnet, und weitergehen, ohne es zu lösen.
Analytiker durch massiven Druck mundtot gemacht
Es ist nicht so, dass die Eliten in Moskau und St. Petersburg nicht wüssten, wie es um sie steht. Denkfabriken, Wissenschaften und Medien haben eindrucksvolle Analysen zur Lage Russlands vorgelegt. Doch mittlerweile sind deren Autoren verstummt, durch massiven Druck mundtot gemacht.
Die amerikanischen und europäischen Sanktionen könnten, wenn es gut läuft, wie ein Weckruf wirken. Sie werden durchschlagen, nicht weil sie so messerscharf wären, sondern weil sie wirtschaftliche Schwäche bloß legen. Die Konjunktur schwankt am Rande einer Rezession, der Maschinenpark fährt auf Verschleiß, die Infrastruktur ist marode.
Es bräuchte Investitionen. Doch private Kapitalgeber ziehen sich zurück. Nicht einmal reiche Russen glauben an Moskaus Pläne. Es gerät ja auch nicht zur Standortwerbung, wenn es dem betrieblichen Mittelstand schlechter geht denn je, weil er unverändert durch die Willkür der Rathäuser, Finanzämter und Gerichte, durch korrupte, mafiöse Strukturen drangsaliert wird.
Erfahrene, verlässliche Partner im Ausland verprellt
Wladimir Putin fordert zu Recht, nun müssten alle Kräfte der heimischen Wirtschaft mobilisiert werden. Nur pfeift er da ziemlich allein im Wald einer untätigen Administration. Und verprellt dazu noch erfahrene, verlässliche Partner im Ausland. Selbst die Chinesen werden ihm die Arbeit an seinen Aufgaben nicht abnehmen.
Es wird sich zeigen, ob der Mann im Kreml das Ruder wirklich in der Hand hat, oder nur ein Zyniker der Macht ist, der den Tag weit hinausschieben will, an dem es seinem Volk so schlecht geht, dass es vom patriotischen Rausch ausgenüchtert sein wird.
Mehr zum Thema