Sanierung der Lübecker Synagoge

Stillstand statt Gebete

Die Bauarbeiten stehen still: Blick in die Carlebach-Synagoge in Lübeck.
In der Carlebach-Synagoge wird gebaut - seit gut zwei Jahren. Doch nun fehlt das Geld. © Johannes Kulms
Von Johannes Kulms · 16.09.2016
Die Carlebach-Synagoge in Lübeck ist das einzige historische jüdische Gotteshaus, das es noch in Schleswig-Holstein gibt. Als vor knapp zwei Jahren die Sanierung begann, atmete die jüdische Gemeinde der Stadt auf. Doch seit Monaten herrscht Stillstand auf der Baustelle - weil das Geld fehlt.
Mark Inger hat ein Problem: Zwar gibt es da dieses Schlüsselbund mit 50 oder 60 Schlüsseln – doch keiner passt zur Eingangstür der Carlebach-Synagoge. Dieses Problem ist allerdings vergleichsweise klein – viel größer und bedrückender ist das, was Inger umgibt: eine staubige Baustelle mitten in der Lübecker Altstadt, auf der seit Monaten nichts voran geht.
"Während der Pogromnacht wurde diese Synagoge nicht in Flammen gesetzt. Sie wurde verschont. Nicht, weil die Nazis so großzügig zu diesem Gebäude waren, sondern weil dieses Gebäude in Flammen zu setzen wäre gleichbedeutend mit dem ganzen Viertel gleichzeitig in Flammen zu setzen."
Inger ist 49 Jahre alt, schlank, seine Haare sind ergraut. Vor rund 21 Jahren ist er mit seiner Familie aus der Ukraine nach Norddeutschland gekommen. Kurz vor seiner Ankunft hatte es 1994 einen Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge gegeben.
"Natürlich, das war ein Schock. Aber ich muss auch sagen: So viele öffentliche Aufmerksamkeit, so viele Menschen waren dort, so viele Lübecker, die hergekommen sind zu einer Kundgebung um die Gemeinde zu unterstützen. Das hat irgendwie diesen Schock gemindert."
Inzwischen hat Inger einen Ersatzschlüssel besorgt, betritt das Innere der Synagoge.
"Ich würde sagen, es ist mehr nicht gemachte Arbeit als schon gemachte. Weil es wurde praktisch nur das Fundament und mehrere Fenster ausgewechselt, ausgetauscht. Also, das Dach, was momentan nicht ganz hundertprozentig dicht ist, das ist auch unsere große Sorge wegen kommenden Winter. Und es gibt auch keine Heizung hier im Gebäude."

"Eine Tragödie für unsere Gemeinde"

Ihre Gottesdienste feiern die Mitglieder der jüdischen Gemeinde zur Zeit nicht hier, sondern in einem kleinen Kellerraum in einem Nebengebäude der Synagoge. So kann es nicht weitergehen, meint Alexander Olschanski. Der Gemeindevorsitzende steht neben Inger und starrt in die Leere des rund 30 Meter langen kahlen Innenraums.
"Das ist eine Tragödie für unsere Gemeinde. Das ist ganz schlimm. Und vorher, das super Gebetssaal und Synagoge, alles war schön. Aber jetzt, das ist unmöglich für uns, das jeder Tag sehen, das ist sehr, sehr problematisch."
"Heikles Thema"; "sehr sensibel" – solche Formulierungen hört man am Telefon immer wieder, wenn man fragt, warum es nicht mehr weitergeht bei der Sanierung der Lübecker Synagoge.
Für den Architekten, der damit beauftragt ist, ist die Sache ganz einfach:
"Was schief läuft ist, dass wir kein Geld mehr haben. Und wenn man kein Geld mehr hat, kann man nicht mehr bauen."
Thomas Schröder Berkentien sitzt nur ein paar Schritte von der Synagoge entfernt in seinem Büro. Von Anfang an sei das Projekt nicht durch finanziert gewesen. Warum wer und wann dann aus der Förderung ausgestiegen ist – darüber gibt es verschiedene Theorien.

Ausstieg aus der Finanzierung

Rund die Hälfte der veranschlagten 6,3 Millionen Euro ist für die Sanierung bereits geflossen. Beteiligt daran sind der Bund, das Land Schleswig-Holstein sowie mehrere Stiftungen. Die in Lübeck beheimatete Possehl-Stiftung wie auch der Bund - die zusammen knapp die Hälfte der bisherigen Sanierungssumme bereitgestellt haben - sind in diesem Jahr aus der Finanzierung ausgestiegen.
Immerhin werden wieder Gespräche geführt über weitere mögliche Gelder für das Projekt. Die sind auch dringen nötig, denn die rund 700 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde Lübeck gilt als arm. Die Suche nach Geldgebern wird zudem dadurch erschwert, dass ihre Mitglieder nicht so gut Deutsch sprechen, sagt Schröder-Berkentien. Der Architekt ist insgesamt aber optimistisch, und sagt fast schon trotzig:
"Ich befürchte gar nichts. Ich bedauere nur die Unterbrechung. Wir bauen das, was wir einmal bemessen haben – und das setzen wir um."
Die ganze Auseinandersetzung über die Sanierung findet der Architekt einfach nur peinlich für die Hansestadt Lübeck, die so stolz ist auf ihr Kulturleben. Und auch Antje Peters-Hirt, deren Büro in einem prächtigen Bürgerhaus der Altstadt liegt, meint: "Wir sind der Geschichte etwas schuldig." Peter-Hirt ist stellvertretende Direktorin des Vereins "Die Gemeinnützigen", der das soziale und kulturelle Leben der Stadt fördern soll:
"Wir können auf Dauer nicht in den Spiegel gucken – und diese Stadt auch nicht in Tüddelchen verkaufen, anbieten, stolz auf sie sein, diese ganze Touristen hier reinfordern - wenn dort eine Bauruine liegt."
Peters-Hirt sieht mögliche Versäumnisse auf beiden Seiten. Sowohl auf Seiten der jüdischen Gemeinde als auch beim Bürgertum der Hansestadt. Und richtet einen eindringlichen Appell an die Lübecker Bürger:
"Wir können nicht die Gemeinde, den Architekten, die Bürgerschaft, Kiel und vor allen nicht die Possehl-Stiftung, die Gemeinnützige Sparkassenstiftung und andere Stiftungen im Regen stehen lassen. Wir müssen es noch mal zu unserer Sache machen."
Mehr zum Thema