Donnerstag, 18. April 2024

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Resistenzbildung bei Antibiotika
Weniger Massentierhaltung, weniger Antibiotika

Die Europäische Kommission will die Zahl der für die Tiermedizin zugelassenen Antibiotika reduzieren: Viele Krankheitserreger haben Resistenzen entwickelt. Mikrobiologe Michael Schloter fordert im Dlf dagegen vor allem eine Reduzierung der Massentierhaltung und bessere Bedingungen für die Tiere.

Michael Schloter im Gespräch mit Arndt Reuning | 14.09.2021
Eine Schweineschnauze reckt sich durch das Stallgatter
Antibiotika kommen gleich massenweise im Schweinestall zum Einsatz. "Wenn ein Tier Symptome zeigt, werden alle Tiere im Stall behandelt", sagte Mikrobiologe Michael Schloter im Dlf (picture alliance/dpa | Sina Schuldt)
Die Entdeckung des Penicillins und anderer war ein Wendepunkt für die moderne Medizin: Fortan war es möglich, bakterielle Krankheiten zu behandeln, unter denen die Menschen zuvor in hoher Zahl gestorben waren. Allerdings zeigten sich bald schon die ersten Probleme mit diesen Medikamenten: Viele Krankheitserreger wurden mit der Zeit unempfindlich gegen die Wirkstoffe. Die Bakterien entwickelten Resistenzen.
Trotzdem werden Antibiotika weiterhin in hohen Mengen verabreicht - nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in Schweine-, Kuh- und Geflügelställen.
Masthähnchen dicht gedrängt in einem Stall
Multiresistente Keime in der Landwirtschaft
Antibiotika in der Tiermast begünstigen die Entstehung gefährlicher Superkeime. Harmlose Krankheiten könnten so wieder zur tödlichen Gefahr werden. Vor dem Rückfall ins medizinische Mittelalter warnen Ärzte. Die Politik aber zögert, Maßnahmen zu ergreifen.
Michael Schloter, Mikrobiologe vom Helmholtz-Zentrum München, sagte im Dlf, man könne die Gabe von Antibiotika in der Tiermedizin vor allem reduzieren, indem man die Massentierhaltung einschränke: "Je weniger Tiere in einem Stall sind, desto weniger Tiere müssen auch behandelt werden, wenn ein Tier Symptome zeigt."
Auch die Art der Nutztierhaltung spiele ein Rolle: Tiere, die regelmäßig Weidegang hätten, wiesen auch ein besseres Immunsystem auf und seien somit weniger empfänglich für Infektionskrankheiten, "weil das Immunsystem genau das erledigt, was wir mit den Antibiotika versuchen, wenn das Immunsystem in der Art und Weise nicht mehr funktioniert."

Das Interview im Wortlaut:

Arndt Reuning: Warum brauchen wir dieses Verbot von bestimmten Antibiotika-Klassen in der Tierhaltung?
Michael Schloter: Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass Mikroorganismen sehr schnell auf die Gabe von Antibiotika reagieren können und entsprechende Resistenzen entwickeln können. Das heißt, wir stehen heute vor dem riesengroßen Problem, dass wir Infektionskrankheiten, und zwar nicht nur im Tierstall, sondern auch beim Menschen nicht mehr behandeln können, weil Mikroorganismen gegen Antibiotika resistent sind, und zwar nicht nur gegen ein Antibiotikum, sondern gegen sehr viele Antibiotika, sodass auch möglicherweise Reserveantibiotika, die man ja immer vorgehalten hat, um sie dann einzusetzen, wenn Infektionskrankheiten nicht mehr mit klassischen Antibiotika zu behandeln sind, zu therapieren.
Junge Hähnchen in einer Mastanlage bedienen sich an den Wassertränken. Zu sehen sind ausserdem die Tränkeschalen unter den Tränkenippeln, die verhindern sollen, dass der Untergrund zu feucht wird.
Umwelthilfe: Antibiotika im Stall dringend reduzieren
Der großflächige Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung wird immer wieder kritisiert. Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe fordert vor allem die Verwendung von Reserveantibiotika drastisch zu senken.
Reuning: Das heißt, das sind Medikamente, die trotzdem, obwohl wir sie als Reserve zurückhalten, auch in der Tierhaltung verwendet werden?
Schloter: Nein, die Reserveantibiotika werden in der Tierhaltung nicht verwendet. Wir haben aber in den letzten Jahren gelernt, dass Mikroorganismen durchaus in der Lage sind, unterschiedliche Resistenzen aufzunehmen. Die Umwelt ist dafür ein sehr guter Reaktor, weil das, was passiert ist, dass die Tiere oder auch der Mensch weitestgehend die Antibiotika in der ursprünglichen Form wieder ausscheiden. Sie gelangen dann über die Kläranlagen beim Menschen oder über die Gülle in der Tierhaltung in die Umwelt, und dort entsteht eben durch die Anwesenheit der Antibiotika ein sehr großer Selektionsdruck.
Das heißt, die Mikroorganismen müssen darauf reagieren, sie müssen Resistenzen entwickeln, und deswegen ist die Umwelt ein so großer Reaktor, wo diese Resistenzen sich ausbilden können. Und wir haben heute gelernt, dass man dann nicht mehr unterscheiden kann, was kommt nun aus der Humanmedizin und was kommt aus der Veterinärmedizin, sondern dass sich in diesem Reaktor eben diese Mikroorganismen so entwickelt haben, dass sie untereinander diese Resistenzen austauschen können.
Und was ich vorhin gesagt habe, ist eben ganz wichtig, dass es eben dann nicht nur um den Austausch einzelner Resistenzen geht, sondern dass diese sogenannten Multiresistenzplasmide zwischen den Mikroorganismen ausgetauscht werden, sodass wenn ein Antibiotikum A im Boden vorhanden ist oder in der Umwelt vorhanden ist, möglicherweise die Mikroorganismen auch gegen ein Antibiotikum B, C, D und E resistent sind, sodass dann eben die Therapie scheitert und entsprechend die Mikroorganismen nicht mehr eingedämmt werden können und entsprechend dann die Krankheitssymptome bei den Patienten sich verschlimmern würden.

Tiermedizin Haupttreiber für Resistenzen?

Reuning: Aber wie sinnvoll ist es denn, dann diese beiden Sphären Humanmedizin, Tiermedizin hinsichtlich der Antibiotika überhaupt voneinander zu trennen, wenn wir sowieso zu einer Vermischung der Resistenzen kommen?
Schloter: Die Trennung so, wie sie mal vor 30, 40 Jahren diskutiert worden ist, ist aus wissenschaftlicher Sicht sicherlich nicht mehr besonders sinnvoll. Wir müssen aber natürlich daran denken, dass Antibiotika gerade in der Veterinärmedizin in enorm hohen Mengen eingesetzt werden, weil eben im Gegensatz zur Therapie beim Menschen, wo eben der einzelne Mensch therapiert wird, in der Tierhaltung oftmals sehr viele Tiere therapiert werden, gerade wenn es um Betriebe geht, die eben sogenannte Massentierhaltung betreiben.
Wenn ein Tier Symptome zeigt, werden alle Tiere im Stall behandelt, und das führt natürlich dazu, dass aus der Veterinärmedizin oder in der Veterinärmedizin sehr viel größere Mengen an Antibiotika eingesetzt werden als in der Humanmedizin, was dann eben dazu führt, dass man darüber diskutiert, dass die Veterinärmedizin möglicherweise ein Haupttreiber für die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen ist, was aber eben durch die komplexen Zusammenhänge, die es in der Natur gibt, so eindeutig auch noch nicht bewiesen ist.

Antibiotikagabe sowohl bei Nutz- als auch Haustieren

Reuning: Aber könnte man denn auf den Gebrauch von Antibiotika in der Tierhaltung ganz verzichten? Schließlich wird auch Nutzvieh mal krank und braucht dann eben Medikamente.
Schloter: Also ganz verzichten kann man sicherlich nicht, aber man kann die Menge an Antibiotika deutlich eindämmen, indem man Massentierhaltung reduziert. Das heißt, je weniger Tiere in einem Stall sind, desto weniger Tiere müssen auch behandelt werden, wenn ein Tier Symptome zeigt. Und der zweite Punkt ist – und das wissen wir ja auch alle von uns Menschen –, wenn wir uns in der Umwelt bewegen, wenn wir mit der Umwelt in Kontakt sind, wird unser Immunsystem gestärkt, und das Gleiche gilt natürlich auch für Tiere.
Wenn ich Tiere unter normaler Weidehaltung habe, ist deren Immunsystem weitaus besser ausgeprägt, als wenn Tiere im Stall gehalten werden, und damit sind sie natürlich weitaus weniger empfänglich gegen Infektionskrankheiten, weil das Immunsystem genau das erledigt, was wir mit den Antibiotika versuchen, wenn das Immunsystem in der Art und Weise nicht mehr funktioniert.
Reuning: Sehen Sie denn dieses Problem der Resistenzbildung vor allem bei den Nutztieren, also im Kuhstall, oder gibt es das auch bei den Haustieren?
Schloter: Diese Problematik Resistenzbildung gibt es natürlich überall da, wo Antibiotika eingesetzt werden, und gerade bei den Haustieren werden auch sehr viele kritische Antibiotika eingesetzt, zum Beispiel das Vancomycin – was in der Nutztierhaltung verboten ist, wird aber bei Haustieren oftmals eingesetzt. Und das ist natürlich durchaus problematisch, sodass auch durch den Einsatz von Antibiotika in den Haustieren oder bei den Haustieren Resistenzen entstehen können und damit natürlich auch die Behandlung von Haustieren zur Entwicklung von diesen multiresistenten Bakterien, Mikroorganismen beitragen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.