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Eurokrise
Ökonom: EZB-Anleiheaufkauf führt zu vielen Kollateralschäden

Der Ökonom Professor Ansgar Belke von der Universität Duisburg-Essen hält den geplanten Anleihekauf durch die EZB für kurzsichtig. Die Zentralbank ziehe ihren letzten Trumpf, der aber negative Nebenwirkungen habe, sagte Belke im DLF: "Vor allen Dingen ist nicht ganz sicher, ob das Ganze überhaupt bei den Banken ankommt."

Ansgar Belke im Gespräch mit Andreas Kolbe | 22.01.2015
    Andreas Kolbe: Die EZB will Hunderte Milliarden Euro in die Wirtschaft pumpen. Schon im Vorfeld hat das zu einer kontroversen Debatte geführt, in der Politik ebenso wie unter Ökonomen. Einer der Kritiker ist Professor Ansgar Belke, Makroökonom an der Universität Duisburg-Essen und Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, kurz DIW. Er ist uns jetzt aus Berlin zugeschaltet. Guten Abend, Herr Belke!
    Ansgar Belke: Schönen guten Abend!
    Kolbe: Die EZB hat jetzt ihren letzten Trumpf ausgespielt mit dem Aufkauf von Staatsanleihen. Ist das jetzt die Politik alles oder nichts?
    Belke: Ich denke, dass es der letzte Trumpf war, denn was soll schon sonst kommen. Wenn man Anleihen von Staaten kauft, was durchaus kritisch zu sehen ist, wo man sich auch in Konflikt begibt mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht, bleibt nicht viel mehr übrig. Wir haben einen Nullzins, wir haben eine deflationäre Entwicklung und das war sozusagen die letzte Bazooka, wie wir das nennen, durchaus mit negativen Nebenwirkungen. Vor allen Dingen ist nicht ganz sicher, ob das Ganze überhaupt bei den Banken ankommt und die Banken dieses für mehr Kredite in Südeuropa ausgeben.
    Kolbe: Die Nebenwirkungen, Herr Belke, würde ich mit Ihnen gleich gern besprechen. Jetzt schauen wir doch erst mal auf die Größe dieser Bazooka, wie Sie es genannt haben: 60 Milliarden Euro pro Monat. Kann das denn reichen, um die Ziele, die man sich gesteckt hat, nämlich die Inflation anzuheizen, zu erreichen?
    Belke: Nun, das ist am oberen Rahmen dessen, was die Märkte erwartet haben, und trotzdem haben sie niedrige Inflationserwartungen. Das zeigt uns schon mal, dass die Märkte nicht ganz daran glauben, dass die Inflation hierdurch wieder nach oben getrieben wird. 60 Milliarden im Monat ist etwas, was die Fed in den USA auch gemacht hat, und Schätzungen ergeben, dass in der Summe diese knapp über 1000 Milliarden Anleihekäufe etwa einen Inflationsauftrieb von 0,3 bis 0,4 Prozent bringen werden. Mehr nicht! Die Distanz ist höher, wie wir eben in der Anmoderation gehört haben. Es wird also nicht ausreichen.
    Die Währung allerdings fällt und fällt. Das ist eigentlich beabsichtigt mit der Maßnahme. Wir gehen in Richtung einer Parität zum Dollar seitens des Euros. Das hat kurzfristig auch die erwünschten Effekte. Hiervon profitiert Italien dreimal so viel wie Deutschland und auch Spanien zweimal so viel. Kurzfristig scheint das zielgerichtet gemacht worden zu sein, und es ist auch mit geldpolitischen Absichten gemacht und soll eigentlich eine Schuldenvergemeinschaftung klein halten.
    Kolbe: Eigentlich, sagen Sie ganz oft. Wir haben das Beispiel USA angesprochen. Dort hat man ja ganz positive Erfahrungen gemacht mit dieser quantitativen Lockerung, wie das in der Sprache der Notenbanker heißt. Warum soll das nicht auch bei uns in Europa funktionieren?
    Belke: Nun, die Volkswirtschaften haben unterschiedliche Strukturen. Die USA hatten sehr viel Erfolg damit, denn sie sind ein Schuldnerland, und dadurch, dass sie weniger Zinsen zahlen müssen, steigen die Einkommen und es wird mehr konsumiert und vielleicht auch investiert. In der Eurozone sieht es anders aus. In dem Land, was jetzt mehr konsumieren soll, in Deutschland, haben wir ein Gläubigerland vorliegen, dem natürlich geschadet wird, wo vor allen Dingen den Sparern erheblich geschadet wird. Man spricht sogar schon von einer finanziellen Repression.
    Auch die Lebensversicherungen haben Probleme und auch die Pensionsrückstellungen in Unternehmen werden sehr viel mehr wert und bringen Unternehmen an den Rand der Pleite. Es kann sein, dass in Deutschland hierdurch noch mehr gespart werden muss als weniger, weil viele Leute ihre Altersvorsorge decken müssen, und die konsumieren nicht. Das ist ein großes Umverteilungsprogramm.
    Kolbe: Das heißt, Sie würden sagen, Deutschland ist eher ein Verlierer dieses Aufkaufprogramms?
    Belke: Deutschland verliert erst mal im direkten Effekt, und Deutschland konsumiert nicht mehr durch die Maßnahme, als es vorher schon getan hat, und Deutschland soll ja durch das Programm die Rolle der Konjunkturlokomotive übernehmen. Schauen Sie: Wenn in den USA Anleihen gekauft werden, die den Immobiliensektor nach oben treiben, profitieren viele Bürger davon, weil viele Bürger Immobilien besitzen in den USA. Das ist bei uns was ganz anderes: Hier sind es die Mieter, die das als negativ empfinden und deshalb auch weniger konsumieren.
    Kolbe: Herr Belke, wir haben heute Nachmittag hier im Programm vom Deutschlandfunk mit Carsten Brzeski gesprochen. Er ist der Chefvolkswirt der ING DiBa. Und er sagt, dass Deutschland profitieren wird, vor allem Deutschland von diesem Programm:
    "Wir haben im Augenblick ja schon auf deutsche Staatsanleihen negative Zinsen. Die Zinsen würden noch weiter nach unten gehen. Wir haben so extrem niedrige Zinsen wie noch nie. Wer profitiert in Europa am meisten von dem schwachen Euro? Das sind die deutschen Exporteure, die hiervon am meisten profitieren. Letztendlich ist wirklich das Land, was am lautesten eigentlich Kritik hat auf die EZB, das Land, was am meisten profitieren wird."
    Zwei Ökonomen, zwei völlig gegensätzliche Meinungen. Kann man damit sagen, dass das auch ein Experiment mit völlig ungewissem Ausgang ist, was die EZB da gestartet hat?
    Belke: Den Wechselkurseffekt sehe ich ganz anders. Untersuchungen zeigen, dass Deutschland natürlich aus der Abwertung am wenigsten profitiert, weil hierdurch auch die Importe aus dem Ausland, gerade aus Osteuropa, wo wir unsere Automobile fertigen, teurer werden. Das ist umgekehrt: Italien profitiert dreimal so viel wie Deutschland.
    Im Grunde kann man als Fazit ziehen, dass die Effekte natürlich nicht sicher sind. Diese Bazooka hat es noch nie gegeben. Aber es gibt viele Kollateralschäden. Wir haben das an der Schweiz gesehen. Das Umland kommt mit dieser Art von Geldpolitik nicht klar, sie müssen mit Wechselkursbindungen experimentieren, erleiden Verluste und bringen Wechselkursvolatilität ins Spiel. Und auch das, was die Banken mit dem ganzen Geld machen, da ist nicht sicher, dass das in die Kredite geht im Süden der Eurozone, sondern es kann in spekulative Blasen gehen. Das wissen wir alle nicht, und insofern ist da das Urteil offen.
    Kolbe: Die EZB hat ein Experiment mit ungewissem Ausgang gestartet, sagt Professor Ansgar Belke von der Universität Duisburg-Essen zum Anleihenkauf der EZB. Ihnen vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.