Samuel Maoz über seinen Film "Foxtrot"

"Was jenseits unserer Kontrolle liegt"

Film-Szene aus Samuel Maoz Drama "Foxtrott".
Film-Szene aus Samuel Maoz Drama "Foxtrott". © dpa / picture-alliance
Samuel Maoz im Gespräch mit Susanne Burg und Patrick Wellinski · 07.07.2018
Eine israelische Familie erfährt, dass ihr Sohn beim Militärdienst umgekommen ist. Samuel Maoz erzählt diese Geschichte als lakonisches Drama mit surrealen Szenen. Trotz mehrerer Auszeichnungen ist der Streifen in Israel heftig kritisiert worden.
Susanne Burg: Sein erster Spielfilm "Lebanon" hat es 2009 nicht nur sofort auf eines der bedeutendsten Festivals geschafft – nach Venedig –, sondern der israelische Regisseur Samuel Maoz hat dort auch gleich den goldenen Löwen gewonnen. "Lebanon" war die autobiografische Verfilmung von Samuel Maoz’ Einsatz als israelischer Panzerschütze im ersten Libanonkrieg. Auch sein zweiter Spielfilm "Foxtrot" handelt vom Kriegstrauma.
Patrick Wellinski: Trauer und Ungewissheit von Familien, die nicht wissen, ob Söhne und Töchter beim Militärdienst ums Leben gekommen sind, das ist der Kern dieses Films. Das Besondere ist aber, dass Maoz das Ganze als lakonisches Drama erzählt mit komischen, surrealen Szenen. "Foxtrot" gewann den großen Preis der Jury in Venedig und war Israels offizieller Oscar-Kandidat, auch wenn die Politik, die im Film, mit Skepsis begegnete. Am Donnerstag nun kommt "Foxtrot" auch in unsere Kinos, und wir haben den Regisseur vorab gesprochen. Samuel Maoz, welcome to our show!
Samuel Maoz: Hello!
Burg: "Foxtrot" beginnt mit einem Klopfen an einer Haustür, Soldaten stehen davor. Sie sagen dem Ehepaar in der Wohnung, dass der Sohn beim Militäreinsatz ums Leben gekommen ist. Das Interessante an der Szene ist, dass die Eltern mit dem Klopfen sofort wissen, was auf sie zukommt. Wie bekannt ist dieses Klopfen in Israel?
Maoz: Wir nannten das meist die Totenglocke, wenn man einen Offizier, einen Arzt und eine Soldatin sieht, wie sie an der Tür stehen und läuten, dann ist das die schlimmste Nachricht.

Eine Stunde Ungewissheit

Wellinski: Ihr Debütfilm "Lebanon" war stark autobiografisch geprägt. Gilt das auch für "Foxtrot"?
Maoz: Ich kann über die beiden Hauptmotive sprechen, die mich dazu gebracht haben, "Foxtrot" zu drehen. Das Erste war eine persönliche Erfahrung mit meiner ältesten Tochter, die immer zu spät aufwachte und uns oft zwang, ein Taxi zu rufen, damit sie noch rechtzeitig zur Schule käme. Wir haben damit viel Geld verloren. Ich hielt das für ein Zeichen von einer schlechten Erziehung und sagte eines Tages, als sie wieder zu spät aufwachte, jetzt nimmst du einfach den Bus wie jedes anständige Kind, und so musste sie diese Buslinie 5 nach Tel Aviv nehmen in das Zentrum der Stadt. 20 Minuten nachdem sie das Haus verlassen hatte, erreichte uns die Nachricht, ein Selbstmordattentäter habe diesen Bus in die Luft gesprengt und dutzende von Menschen getötet. Ich versuchte sofort, sie auf dem Handy zu erreichen, aber das Netz war zusammengebrochen. Es war damals die erste Zeit der Handytelefonie. Eine Stunde später kam sie dann zurück, erzählte uns, sie habe versucht, diesen Bus noch zu erreichen, habe gewinkt, aber er sei ihr vor den Augen weggefahren, und sie habe dann den nächsten Bus genommen.

"Die schlimmste Stunde meines Lebens"

Diese eine Stunde der Ungewissheit war für mich die schlimmste Stunde meines Lebens überhaupt, schlimmer als der gesamte Libanonkrieg. Ich habe in der Folge mich dann gefragt, was kann ich daraus lernen und habe nicht viel herausgefunden. Ich glaubte damals, das Richtige zu tun und bemühte mich dann, diese Lücke zu erkunden zwischen dem, was wir in der Hand zu haben glauben, und dem, was jenseits unserer Kontrolle liegt, und das bringt mich zu meinem ersten Film, zu dem Film "Lebanon". Der beruht auf meiner echten Kriegserfahrung. Hier habe ich versucht, meine Grundgefühle in Bilder zu übersetzen, die ich damals hatte als 20-jähriges Kind, das nie mit Gewalt konfrontiert gewesen war und eines morgens als Soldat dann in der Hölle erwacht, blutige Schlachten mit ficht, Menschen umbringen muss.

Seinen ersten Film drehte Maoz mit 47

Ich hatte dann echte Schuldgefühle, und ich würde sogar sagen, danach erlebte ich so etwas wie eine posttraumatische Störung der stilleren Art, ganz unterschwellig, nicht so, wie man sich den üblichen volltraumatisierten Menschen vorstellt, aber doch etwas, was mich für Jahre hinweg aus der Bahn warf, und deswegen habe ich dann im vorgerückten Alter vom 47 Jahren, statt, wie üblich, mit etwa 30 plus x Jahren, meinen ersten Film gedreht, einen Film, der über mich selbst sprach, über meine Gefühle. Als er dann herausgekommen war, merkte ich, ich war keineswegs allein. Die israelische Gesellschaft produziert am laufenden Band solche Menschen wie mich, und das warf dann weitere Fragen auf, was sind nun diese Traumata. Nun, sie sind verankert in unserem emotionalen Gedächtnis, diese beiden Traumata, der Holocaust und unsere anschließenden Überlebenskriege sind stärker als unsere Realität, als unsere aktuellen Erfahrungen. Diese tiefen Wunden, diese Traumata werden von Generation zu Generation weitergegeben, und sie besagen, wir stünden beständig unter existenzieller Bedrohung, und das führe zu einem immerwährenden Krieg.

Niemand spricht über die Traumata

Burg: Wie bewusst sind sich die Menschen denn über diese Traumata? Es scheint zumindest in ihrem Film, dass sie einfach damit leben. Niemand redet darüber.
Maoz: Niemand spricht darüber, und das ist Teil des Problems, denn um ein Trauma zu überwinden, muss man erst einmal akzeptieren, dass man in einer traumatischen Situation lebt. Es ist wie im Foxtrot, wo man zwei Schritte vor und zwei Schritte zurück macht und dann immer wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Jede unserer Generationen tanzt diesen Tanz der Wiederkehr anders, aber man kehrt doch stets wieder zum selben Ausgangspunkt zurück.
Wellinski: Die Figuren in Ihrem Film werden aber mit dieser Bewältigungsarbeit ganz allein gelassen. Michael muss damit alleine zurechtkommen, auch seine Frau muss damit alleine klarkommen. Müssen die Israelis mit ihrem Traumata immer alleine fertigwerden?
Maoz: Es gibt so ein übliches Bild vom posttraumatischen Menschen. Das ist eigentlich ein Klischee, dass man dann ständig Albträume habe, dass man sehr vereinsamt sei, dass man in sich verschlossen sei. Ganz anders dagegen dieser Michael in diesem Film. Er unterdrückt das Ganze, er leugnet das Ganze, er verkündet wirklich voller Überzeugung, dass alles in Ordnung sei, und, wissen Sie, das ist irgendwie auch der Zustand der israelischen Gesellschaft. Wir sind jetzt die zweite Generation nach den Holocaustüberlebenden. Man zeigte uns ostentativ die KZ-Nummern auf dem Unterarm. Sie gaben uns zu verstehen, dass sie diese Erfahrung überlebt hätten, und wir seien einfach nur verwöhnt, wir dürften in einem sonnenbeschienen Land an der blauen See aufwachsen, Haufen von Orangen spielen weiterhin eine wichtige Rolle, uns wurde also kräftig der Kopf gewaschen, und ein Satz, der uns wirklich eingehämmert wurde, war, es ist gut, für das Vaterland zu sterben.

"Diese Generation unserer Eltern und Lehrer hat uns völlig versaut"

Also, wie soll ich das sagen, wir sind ja hier im Radio, das muss ich doch salonfähig ausdrücken: Ich würde sagen, diese Generation unserer Eltern und Lehrer hat uns völlig versaut. Zum Beispiel als ich aus dem Libanonkrieg zurückkehrte mit zwei Händen, zwei Füßen und auch zehn Fingern und mich dann dennoch beschwerte, dass ich eine traumatische Störung hätte, da wurde mir sofort vorgehalten, dass sei eigentlich inakzeptabel. Also wir haben den Holocaust überlebt, und du beschwerst dich jetzt darüber. Das nahm teilweise groteske Züge an, zum Beispiel, wenn ich dann mit der schlechten Note 6 aus der Grundschule nach Hause kam, sagte meine Mutter zu mir: "Und dafür habe ich den Holocaust überlebt?" Das war teilweise lächerlich.
Burg: Nach Ihnen kommt ja die nächste Generation, und auch deren Situation zeigen Sie im Film. Der Sohn von Michael bewacht mit ein paar Kameraden einen verlassenen Grenzübergang. Sie wohnen in einem Container, der zur einen Seite in der Erde versinkt. Alles ist schief. Dann tanzen die Jungs mit ihren Waffen Foxtrot im Nirgendwo. Ist diese surreale Absurdität Ihr Weg, mit der Lage im Nahen Osten umzugehen?
Maoz: Ich sage es mal so, ich habe beschlossen, über den Film und seine Geschichte eine surrealistische weitere Schicht zu legen, zunächst mal, weil ich wusste, dass ich einen sehr heiklen Stoff anpackte. Das ist ja doch ein sensibler Punkt, die israelische Armee. Ich wollte also dieses Thema als Allegorie in eine Straßensperre in diesen Kontrollpunkt übersetzen, um in diesem geschlossenen Mikrokosmos die apathische angstgetriebene israelische Gesellschaft zu zeigen. Ich wusste schon, dass die meisten eben eine verengte Sicht auf die Realität haben.

Die Realität selbst ist verzerrt

Ich wollte das Publikum zwingen, den Blick zu weiten auf diese Allegorie, dass sie darin eben nicht nur eine Art Behälter einer verzerrt wahrgenommenen Realität sehen würde, sondern dass sie erkannte, dass die Realität selbst verzerrt und aus den Fugen geraten war. Ich wollte dann ein typisch filmisches Mittel auch einsetzen: In der zweiten Sequenz des Films wird eine Routineoperation gezeigt, die dann zu einem Höhepunkt zutreibt. Ich hatte das Gefühl, wenn ich das allzu trocken oder sehr realistisch wiedergebe, dann könnte das zu Langeweile führen, und darüber hinaus war mir klar, wenn man etwas kritisiert, was andere für heilig erachten, dann hat es keinen Sinn, da rumzuschreien. Das wird letztlich zu keiner Änderung führen. Wenn man das Ganze aber würzt mit etwas Humor, mit Selbstironie und mit klugen filmischen Mitteln anreichert, dann hat man größere Chancen, ein offenes Gespräch anzuregen und auch damit eine echte Debatte herbeizuführen.
Burg: Sie haben schon erwähnt, wie schwer es ist, die israelische Armee, den Schutzengel des Landes, offen zu kritisieren, und Ihr Film hat in Israel eine große Debatte ausgelöst. Die Kulturministerin hat sich über "Foxtrot" aufgeregt, der Film würde die Armee in einem falschen Licht darstellen. Was hat Ihnen diese heftige Reaktion auf Ihren Film über die israelische Gesellschaft gesagt?

In Israel löste der Film heftige Kritik aus

Maoz: Ich wusste, dass in dem Film mindestens eine sehr heikle Szene drin ist, die wohl auch Kritik hervorrufen würde. Ich hatte also Kritik erwartet, aber nicht einen derartigen Schwall, der dann auf mich herniederbrach. So hat etwa die israelische Kultusministerin, ohne den Film gesehen zu haben, ihn schon angegriffen und mich als Verräter bezeichnet, und sie hat damit genau das bestätigt, was ich in dem Film aufzeigen wollte, und sie hat sogar gesagt, dieser Film zerstört unser Land. Sie hat auch das Publikum im Land aufgehetzt, sodass diejenigen, die den Film gar nicht gesehen haben, dann sich trotzdem aufregten, und sie hat damit auch eine Widerspiegelung der tiefen Kluft in unserer Gesellschaft bestätigt. Ihre Fans, ihre Wähler haben den Film zerrissen, ohne ihn zu sehen. Ihre Gegner strömen in die Kinosäle und unterstützen diesen Film. Dieser Film wurde dann also nicht mehr nur als Film über dieses Thema allein gesehen, sondern die Debatte weitete sich aus auf die Grundwerte: Ich kritisiere das Land, in dem ich lebe, weil ich mir Sorgen mache, weil ich es schützen und hegen will, und letztlich mache ich das aus Liebe.
Wellinski: Samuel Maoz, thank you very much for your movie and thank you very much for your time!
Maoz: Ich habe Ihnen da einen endlos langen Satz geschenkt!
Wellinski: Why not! Great!
Burg: Der israelische Regisseur Samuel Maoz, sein Film "Foxtrot" kommt am Donnerstag in die Kinos.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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