Samstag mit Mondtag: Theaterkolumne

Warum man auf René Pollesch gespannt sein kann

04:19 Minuten
René Pollesch steht am Rande einer Pressekonferenz zur "Zukunft der Volksbühne".
Der Theaterregisseur und Autor René Pollesch wird die Leitung als Intendant der Volksbühne zur Saison 2021/22 übernehmen. © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Von Ersan Mondtag · 15.06.2019
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Kaum ist René Pollesch Intendant der Volksbühne, wird schon Kritik laut. Ersan Mondtag kann das nicht verstehen. Er findet, dass René Pollesch mit seinem unverwechselbarem Stil, Raffinesse, Chuzpe jede Menge Erneuerungspotential für die Volksbühne mitbringt.
Ja, manchmal wollen die Kinder auch die Revolution fressen. Eben noch war René Pollesch bestimmten Geschmäckern der Gott-sei-bei-uns des Postpostpost-What-ever und einen Dreh der Schraube weiter die pure Nostalgie, der Stallgeruch. Sogar der inflationäre Begriff des Populismus, den man am Klimaaktivisten wie an potentiellen AFD-Ministerpräsidenten abgewetzt hat, wird jetzt an einem prägenden Autor stumpf und dumpf geschliffen.
Es ist schon merkwürdig, mit dem Gestus des Ressentiments auf einmal Dinge einzufordern, wie divers, queer, ambigue, multi – und dabei mit starrem Blick auf die Person zu übersehen, wie exakt all dies schon längst mit deren Werk verknüpft ist.
Man tut so, als hätte man sich die Dercon-Debatte wie ein reinigendes Feuer angetan und habe jetzt sozusagen aus der Asche einen Phönix verdient. Nicht nur, dass dies respektlos gegenüber der Interimsintendanz von Klaus Dörr ist, es legt auch den Verdacht nahe, dass in Wahrheit der Vaterkomplex mit Frank Castorf noch nicht ausgestanden ist.

Unverwechselbarer Stil

René Pollesch ist mit Sicherheit einer der Dramatiker deutscher Sprache, die einen unverwechselbaren Stil, ein eigenes Genre, eine Art des Spielens und Sprechens geschaffen haben, und dies mit Raffinesse und Humor und Chuzpe.
"Das billigste Geschenk, das du jemandem machen kannst, bist du selbst." Was könnte entwaffnender sein und was hinterlistiger zugleich? Und bedenkt man, dass man ihn jetzt für die einfachste Lösung hält, da zergeht einem der Satz ja gleich doppelt auf der Zunge. Sein Werk, seine Art zu denken, das Theater und das Leben, haben einen großen Zirkel der begabtesten, klügsten und interessantesten Künstlerinnen der Darstellenden Künste um sich herum versammelt. Von Fabian Hinrichs zu Birgit Minichmayer, Martin Wuttke zu Sophie Rois, Margit Carstensen zu Volker Spengler, Irina Sulaver zu Franz Beil etcetera ,etcetera ,etcetera. Die Liste ist länger, als diese Kolumne Zeichen hat.

Der Regisseur als "Moderator"

René Pollesch bezeichnete sich selbst einmal als Moderator. Er moderiert die verschiedenen Potentiale bei den Proben hin zu einem Theaterabend, der durch einen Text zusammengehalten wird. Sein dramatisches Werk dient gewissermaßen als Kleister zwischen den Künstlerinnen, ist aber so durchlässig, dass es niemals steif wird.
Er spricht davon, dass sein Autorentheater keine Regisseure braucht. Sie müssen sich denken, dass ich bei diesem Satz panisch durch meine Wohnung renne und die Affentapeten herunterreiße. So ist es natürlich nicht. Denn der Gedanke eines AutorInnentheaters ist radikal. Ich kann aus meiner eigenen Praxis als Regietheater-Regisseur berichten, dass oftmals das verbindende Moment bei den Proben das dramatische Werk ist. Gewissermaßen ein fest gewordener Leim, den man in seine Einzelteile zerbröseln muss, um ihn in irgendeiner Weise produktiv einzusetzen. Dass oftmals eben jene Unterschiedlichkeit während der Aufführung auseinanderbricht ist ein Resultat dessen, dass der Autor abwesend ist.

Der Text ist im besten Fall ein Werkzeug

Es ist aber eben jenes Talent eines Autors oder einer Autorin, einen Text zu schreiben, der die Differenzen, die Brüche und die Einzigartigkeit der Menschen, die ihn sprechen oder verkörpern, nicht nur zulässt, sondern gewissermaßen sogar kultiviert. Der Text ist im besten Fall ein Werkzeug der auf der Bühne denkenden Menschen und dient deren Ausdruck.
Und genau das ist, wofür René Pollesch für mich als Autor steht und eben das ist es, was, wenn man mal auf die Erneuerungsgedanken eingehen will, eben auch das große Potential für die Volksbühne ist. Denn interessiert Sie nicht auch, dass jemand, der solch eine singuläre Praxis anwendet seit über 25 Jahren jetzt entscheidet, wer noch so auf dieser Bühne mit dem Ensemble arbeiten darf?
Darauf sollten wir alle gespannt sein, denn genau das kann das deutschsprachige Theater "erneuern". Sofern man das will. Vor diesem Hintergrund René Pollesch als alten Schuh zu verunglimpfen, ist nicht nur unfair, sondern auch unterkomplex, denn das einzige, was Frank Castorf und René Pollesch verbindet, ist, dass jeweils vor Ihrer Ernennung der Untergang der Volksbühne prophezeit wurde. Da möchte ich Sie aber beruhigen, denn diese wird auch ihn überleben.
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