Säulen des Lernens

02.08.2009
Woher weiß man, was Kinder wann am besten lernen und welche Leistungserwartungen zu welchem Zeitpunkt angebracht sind? Fragen, denen sich das Buch "Wie Kinder heute lernen" des Neurobiologen Martin Korte widmet.
Wenn es überhaupt für ein komplexes und sensibles Organ wie das Gehirn so etwas wie eine Gebrauchsanweisung geben kann, dann finden Eltern sie in dem Buch "Wie Kinder heute lernen" von Martin Korte. Der Autor ist Professor für zelluläre Neurobiologie und forscht seit Jahrzehnten zu den Themen Lernen, Gedächtnis und Vergessen.

Und er zeigt: Um erfolgreich zu lernen, müssen Kinder motiviert sein, sie müssen sich konzentrieren können, in der Lage sein, sich über einen längeren Zeitraum etwas zu merken, und sie müssen in einem sozialen Gefüge zu recht kommen. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass Stress bewältigen zu können und gute sprachliche Fähigkeiten zu besitzen. Eltern immer auch die Lernbedingungen für das eigene Geschlecht kennen.

Anschaulich beschreibt Martin Korte, wie diese sieben Säulen des Lernens im Alltagsleben nach und nach errichtet werden können. Da kommt es sehr auf die freundliche, bestätigende Beziehung der Eltern zu ihrem Kind an. Denn das Gehirn ist immer auch ein Sozialorgan, das auf positive Anregungen reagiert.

Etwa dann, wenn Kinder sich motivieren oder konzentrieren müssen, findet im Hirn ein ständiger Verteilungskampf um die kostbare Ressource Aufmerksamkeit statt. Hellwach sind Kinder immer dann, wenn sie etwas interessiert und sie weder über- noch unterfordert sind. Dann weist das Gehirn ihnen ausreichend Ressourcen zu, um sich mit einer Sache weiter zu beschäftigen. Allein das zu wissen, verrät, dass eine Belohnung von außen nicht das richtige Futter für ein kindliches Gehirn sein kann.

Vielmehr braucht es überraschende Lernsituationen und häufigere Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung. Eltern müssen zudem die Grenzen und Möglichkeiten sehen, wie weit das kindliche Hirn - noch - aufnahmebereit ist. Eltern haben also die Möglichkeit zu schauen: Wann ist mein Kind noch bei der Sache, wann schaltet es ab.

Und dann eröffnet sich ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten, die Konzentrationsfähigkeit eines Kindes zu fördern: Natürlich selbst dran zu bleiben, das Kind auch für erledigte Teilaufgaben zu loben, mit ungewöhnlichen Erklärungen seine Aufmerksamkeit zu erregen, gemeinsam zu lesen, zu malen, zu basteln und spielen oder es durch Streicheln und Kitzeln oder Seilspringen und Jonglieren neu zu erwecken.

Detailliert erklärt Korte, wie es möglich ist, die Potenziale eines Kindes zu entdecken und zu fördern und was zu tun ist, wenn es eine Lernstörung oder eine Hochbegabung hat. Das erfreulich an dem Buch: Es ist alltagstauglich. Martin Korte geht auf viele Fragen ein, die Eltern von Schulkindern umtreiben: Wie es sein kann, dass ein Kind am Abend den Lernstoff beherrscht und in der Schule versagt und wie Eltern darauf adäquat reagieren. Oder wie wichtig Schlaf ist, um Lerninhalte im Gedächtnis zu verankern und wie sehr aufregender Medienkonsum die Vernetzung durcheinander bringen kann. Wie schädlich Stress ist oder wie unterschiedlich Mädchen und Jungen lernen.

Gleichzeitig spricht Korte davon, wie oft unbeachtete Dinge das Lernen beeinflussen: ausreichende Bewegung, gute Ernährung, eine Ordnung im Alltag, die Zuneigung und Zärtlichkeit der Eltern, das Rechte Maß zwischen Lob und Tadel, unbedingt das seelische Gleichgewicht. Statt den Eltern zu raten, bietet der Autor ihnen mit seinen Erklärungen über die Arbeitsweise des Gehirns Hilfe zur Selbsthilfe. Gerade das macht dieses gut lesbare und dennoch wissenschaftlich genaue Sachbuch zu dem, was der Untertitel verspricht: Ein Handbuch für den Schulerfolg.

Besprochen von Barbara Leitner

Martin Korte: Wie Kinder heute lernen. Was die Wissenschaft über das kindliche Gehirn weiß. Das Handbuch für den Schulerfolg. Deutsche Verlags-Anstalt, 2009, 256 Seiten, 19,95 Euro