Sänger-Songwriter Jens Lekman

"Den Fluch der Traurigkeit durchbrechen"

Der Sänger und Songwriter Jens Lekman
Der Sänger und Songwriter Jens Lekman © Ellika Henrikson
Jens Lekman im Gespräch mit Dirk Schneider · 14.02.2017
"Ich mochte es schon immer, traurige Geschichten zu fröhlicher Musik zu erzählen", erzählt der Sänger und Songwriter Jens Lekman aus Göteborg. Doch als er sich vornahm, nur noch Lieder über Männer zu schreiben, wurde selbst ihm das mit der Traurigkeit zuviel.
Dirk Schneider: Ein Song auf Ihrem neuen Album heißt "Hotwire The Ferris Wheel", also die Aufforderung, das Riesenrad kurzzuschließen. Was für ein großes, romantisches und auch revolutionäres Bild. Wie kamen Sie darauf?
Jens Lekman: Diese Idee hatte ich schon vor zwölf Jahren. Ich ging mit einem Freund spazieren, in Südschweden, und wir kamen an einem geschlossenen Vergnügungspark vorbei. Meinem Freund ging es nicht sehr gut zu der Zeit, und wir sprachen über die Idee, in den Vergnügungspark einzubrechen und das Riesenrad in Gang zu setzen. Einfach, um den normalen Gang der Dinge durcheinanderzubringen und damit den Fluch der Traurigkeit zu durchbrechen.
Am Ende des Songs gibt es ja diese Zeile, in der mein Freund zu mir sagt: Wenn Du einen Song aus der Geschichte machst, lass es kein trauriges Lied werden. Und nachdem wir über die Idee gesprochen hatten, das Riesenrad kurzzuschließen, wussten wir tatsächlich auf einmal, dass wir plötzlich die Macht hatten selbst zu entscheiden, ob die Dinge sich für uns gut oder schlecht entwickeln würden. Und wir haben uns entschieden, dass es für uns gut ausgehen würde.
Dirk Schneider: Und wie ist die Geschichte ausgegangen?

Der Moment, wo etwas klick macht

Jens Lekman: Es gibt nicht wirklich ein Ende der Geschichte. Aber ich denke, darum geht es auch nicht. Ich bin einfach fasziniert von diesen Momenten, in denen man merkt: Jetzt ändert sich etwas, aber man weiß noch nicht, was am Ende dabei herauskommen wird, wo man am Ende landet. Aber irgendetwas, in dir, oder in deiner Beziehung, macht klick, das sind die Momente, die mich interessieren und über die ich schreibe.
Im Übrigen ist mein neues Album viel weniger autobiografisch als meine früheren Alben. Vieles, wovon ich auf diesem Album singe, hat nicht wirklich stattgefunden. Dennoch ist nichts davon erfunden, alles habe ich auf die eine oder andere Weise wirklich erlebt. Ich würde es "magischen Realismus" nennen. Oder vielleicht auch "magischen Alltag".
Dirk Schneider: Sie haben ja gerade diese eine Zeile aus dem Song zitiert: "If you write a song about this, don’t make it a sad song", also: "Wenn du hieraus ein Lied machst, lass es kein trauriges Lied sein" – Ihre Lieder haben eigentlich immer ein heiteres Gewand, oder haben Sie jemals ein wirklich trauriges Lied geschrieben?

Nur ein Männer-Song hat es aufs Album geschafft

Jens Lekman: Bei der Arbeit an dieser Platte habe ich an verschiedenen Themen gearbeitet. Und ich hatte mir eine Zeitlang als Regel auferlegt, nur über Männer zu schreiben, da ich schon so viele Songs über Frauen geschrieben habe. Ich habe ja früher vor allem Liebeslieder geschrieben, und die meisten meiner Freunde sind Frauen, darum habe ich vor allem über weibliche Figuren geschrieben.
Und diesmal war ich einfach gespannt, was passieren würde, wenn meine Songs nur männliche Protagonisten haben. Und das hat mich auf einen ziemlich düsteren Pfad geführt. Denn ich habe angefangen darüber zu schreiben, wie sich Männer in Beziehungen verhalten, über Männlichkeit, über Gewalt, über einen Freund, der Steroide genommen hat. Und es fiel mir sehr schwer, da irgendeine Form von Optimismus hineinzubringen und nicht nur über Problematisches zu schreiben.
Darum musste ich viele dieser Songs aufgeben. Nur einer hat es auf das Album geschafft, er heißt "How Can I Tell Him", es geht darin um die Unfähigkeit vieler Männer, Nähe zu anderen Männern zuzulassen, sich gegenüber anderen Männern verletzlich zu zeigen.
Aber die meisten Songs wollte ich nicht aufnehmen. Mir gefällt es nicht, wenn ein Song keine Lösung aufzeigt oder wenigstens eine Form von Hoffnung vermittelt. Wenn es nur um Probleme geht. Das werden meistens keine guten und hilfreichen Songs.
Dirk Schneider: Ich dachte immer, Ihre Strategie sei es, traurige Geschichten in schöne Melodien zu packen.
Jens Lekman: Oh ja, ich mochte es schon immer, traurige Geschichten zu fröhlicher Musik zu erzählen – und umgekehrt. Viele meiner traurigsten Lieder sind in Dur geschrieben. Wenn man traurige Geschichten auch noch in Moll singt, ist das manchmal einfach schwer zu ertragen.
Dirk Schneider: Sie werden ja oft mit Bands wie den Schotten von "Belle and Sebastian" verglichen, ich denke zu Recht, die Ähnlichkeit liegt sicher in diesem Streben nach Melodie und Schönheit. Jetzt haben sich Belle and Sebastian auf ihrem letzten Album ausgerechnet an Eurodisco versucht. Auch Sie setzen auf "Life Will See You Now" weniger auf natürliche Schönheit, sondern eher auf trashige Sounds, auf billige Drummachines und gesampelte Gitarren – wie kommt das?
Jens Lekman: Ich wollte auf diesem Album mehr mit elektronischen Sounds arbeiten, und vor allem stärker mit Rhythmus. Ich habe mit vielen Schlagzeugern darüber gesprochen, wie man Rhythmen erfindet und damit nahtlose Übergänge schafft. Ich bin ja kein besonders versierter Musiker, ich kann auch keine Noten lesen und schreiben. Und tja, irgendetwas hat mich sehr daran gereizt, stärker mit Rhythmen zu arbeiten.
Dirk Schneider: Sie würden also nicht sagen, dass diese Musik trashig, billig klingt?
Jens Lekman: Nein. Vielleicht ist da was dran, aber ich wollte vor allem einen warmen Sound, kein klinisch-kaltes, elektronisches Album. Seit ich vor 15 Jahren begonnen habe, mit Samples zu arbeiten, hat es mir schon immer gefallen, wenn die Sounds klangen, als würden die Maschinen bei der Arbeit schwitzen. Als seien sie kurz vor dem Zusammenbruch, als hätten sie eine Panikattacke.
Aber gleichzeitig finde ich, dass dieses Album sehr clean ist, anders als meine früheren Alben. Alles klingt sehr scharf, was auch daran liegt, dass es das erste Album ist, das ich in einem richtigen Studio aufgenommen habe. Übrigens in Berlin, ein Studio namens LowSwing.
Dirk Schneider: Das heißt, Sie hatten auch einen Produzenten?
Jens Lekman: Ja, einen Engländer namens Ewan Pearson. Wissen Sie, das ist jetzt gerade mal das fünfte Interview, das ich zu diesem Album gebe, und ich höre sehr interessiert zu, was die Leute darüber sagen. Und offenbar ist es ein trashiges Album, das finde ich faszinierend, mich interessiert wirklich, was Sie sagen.
Dirk Schneider: Ich möchte es nicht mit Müll vergleichen, es ist ein wunderschönes Album, es sind wundervolle Songs darauf. Es spielt ein bisschen mit dem Trash, würde ich sagen.

"Ich liebe es, wenn etwas zusammenbricht"

Jens Lekman: Aber nein, da ist schon was dran. Es hat sicher damit zu tun, dass es mir kalt den Rücken runter läuft, wenn etwas zu sauber klingt. Vor allem, wenn es um programmierte Elemente in der Musik geht, weil sie aus dem Computer kommen und einfach zu perfekt klingen. Und ich liebe es, wenn etwas zusammenbricht, wenn etwas in der Musik stirbt. Der schönste Klang ist für mich der eines Kassettenrekorders, dessen Batterien zu Ende gehen. Ich liebe es, wie die Schallwellen dabei langsam breiter werden.
Letztes Jahr habe ich mit einem Streichorchester gespielt, mit sehr jungen Musikern, sie waren zwischen 13 und 16 Jahre alt. Und anders als ausgebildete Musiker in einem Orchester haben sie nicht perfekt zusammen gespielt, manche haben zu tief gespielt, andere zu hoch. Aber zusammen klang das viel breiter, so, als hätte ein Maler einen breiteren Pinsel benutzt, und ich habe diesen Klang geliebt, der gewissermaßen ein bisschen verschmiert klang.
Dirk Schneider: Zwischen Ihren letzten beiden Alben lagen immerhin fünf Jahre. Arbeiten Sie eigentlich so lange an Ihren Alben, oder sind Sie auch mit anderen Dingen beschäftigt?
Jens Lekman: Ich spiele auf Hochzeiten. So verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Ich wünschte wirklich, ich bräuchte nicht fünf Jahre, um ein neues Album zu machen. Allerdings hatte ich nach meinem letzten Album wirklich Zweifel, ob ich so was überhaupt noch einmal schaffen würde. Ich hatte große Selbstzweifel, und mir kam es auf einmal so vor, als sei alles, was ich je gemacht habe, fürchterlich, ich hasste das alles. Es war sehr schwierig für mich, darüber hinweg zu kommen.
Ich habe ja zwischendurch dieses Projekt namens "Postcard" gemacht, für das ich ein Jahr lang jede Woche einen Song geschrieben und veröffentlicht habe. Das war für mich, als hätte ich einen Vertrag mit der Welt unterschrieben, in dem stand, dass ich weitermachen muss und dass ich da rauskomme. Und wenn ich wieder in Selbstzweifeln versänke, würde ich dafür zur Verantwortung gezogen.
Dirk Schneider: Ich habe mit meiner Frage auch auf etwas abgezielt, das Sie mir vor dem Interview erzählt haben, nämlich dass Sie das neue Album eigentlich schon vor zwei Jahren fertig gestellt hatten und es dann erst mal liegen gelassen haben, weil Sie es nicht mochten.

Selbstzerstörerische Tendenzen

Jens Lekman: Ja. Ich habe damals sehr viel Musik geschrieben, und sehr schnell. Aber ich weiß nicht, ob Sie das kennen, manchmal gibt es diesen Teil in einem selbst, der versucht, alles, was man tut, kaputt zu machen. Und ich hatte tatsächlich ein Album gemacht, dessen Botschaft war: Ich gebe auf. Hier ist dieses fürchterliche Album, auf dem ich mir noch nicht mal Mühe gegeben habe.
Und da hat dieser Teil aus mir gesprochen, der nicht mehr an mich geglaubt hat, der mich satt hatte und sich fragte, was das eigentlich alles soll. Glücklicherweise gab es Leute in meinem Leben, die mir geraten haben, eine Pause einzulegen und etwas anderes zu machen. Und das habe ich getan.
Dirk Schneider: Und würden Sie sagen, dass dieses Album immer noch ein bisschen nach Aufgeben klingt?
Jens Lekman: Nein. Ein Teil des Albums handelt noch davon. Aber es hat sich der Teil von mir durchgesetzt, der gesagt hat: Das machen wir jetzt. Es gibt Sachen an diesem Album, die ich früher sehr angezweifelt hätte. Aber jetzt habe ich gesagt, diesmal mache ich es ganz genauso, wie ich es will.
Ich wollte zum Beispiel unbedingt, dass meine Freundin, die Comiczeichnerin Klara Wiksten, das Artwork der Platte macht. Sie zeichnet diese Figuren, die so extrem menschlich sind, die wunderschön sind, in all ihrer Hässlichkeit, all ihrer Menschlichkeit. Und das war schon eine seltsame Wahl für eines meiner Plattencover.
Meine früheren Cover waren viel eleganter, viel mehr designt. Aber diesmal wollte ich etwas, das menschlicher aussieht. Und es gab viele Stimmen die gesagt haben, ich sollte etwas anderes wählen, das meinen früheren Artworks ähnlicher ist. Aber ich hatte einfach das Gefühl, das bin ich nicht mehr, und ich muss mich genau für das entscheiden, was ich jetzt will. Und es gibt andere Elemente auf dem Album, bei denen es ähnlich ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema