Sänger mit Tradition

Von Susanne Arlt · 10.10.2008
Die Wurzeln des Chores gehen auf die Gründung des Klosters Neuwerk zurück. Dieses Kloster erhielt damals das Recht zu unterrichten und fortan gestalteten die Mönche mit den Schülern die Musik für ihre Gottesdienste. Seit 200 Jahren ist der Chor auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen angesiedelt.
Es ist Donnerstag, früher Nachmittag. In wenigen Minuten beginnt die gemeinsame Chorprobe. Die jungen Sänger nehmen drei Stufen auf einmal hinauf in den dritten Stock des Gebäudes auf dem Gelände der Frankeschen-Stiftungen.

Chormanagerin Cornelia Kleinert sieht es gar nicht gerne, wenn die Knaben des Stadtsingchors zu spät zur Probe erscheinen. Disziplin gehöre für die 8- bis 18-Jährigen schließlich schon zum Geschäft, sagt sie.

Im ausgebauten Dachstuhl des Stiftungsgebäudes findet jeden Donnerstag die gemeinsame Chorprobe statt. 73 Sängerknaben umfasst das Ensemble in diesem Schuljahr. In den vorderen Stuhlreihen sitzen die jüngeren Sopran- und Altstimmen, in den hinteren die Tenöre und Bässe. Vincent sitzt in der ersten Reihe. Der Zehnjährige ist einer der wenigen Altisten. Der schmale blonde Junge mit den Sommersprossen im Gesicht kann es kaum abwarten, bis es endlich losgeht.

Vincent Seidel: "Seit dritte Klasse hatte ich mich bei den Thomanern beworben und da haben die mich nicht genommen und dann habe ich hier in Halle geguckt nach einem Chor und da habe ich den Stadtsingechor gefunden und da habe ich gesagt, da will ich jetzt rein. Hier in dem Chor habe ich viele Freunde und am Singen reizt mich, dass es einfach schön klingt und musikalisch ist."
Die Jungs und jungen Männer stehen von ihren Stühlen auf. Vor dem Einsingen sollen sie erst ihre Stimmbänder dehnen. Chorleiter Frank-Steffen Elster macht die Übungen vor. Erst wandert sein Kopf langsam nach links, dann nach rechts.

Der Dirigent mit dem knabenhaften Kurzhaarschnitt sieht fast so jugendlich aus wie seine Schüler. Er trägt Jeans, einen blauen Pulli. Mit Anfang 30 hat der gebürtige Leipziger die Leitung des traditionsreichen Knabenchors übernommen. Die 8- bis 18-Jährigen sind von ihrem jungen Leiter ausnahmslos begeistert.

"Also Herr Elster ist cool, weil er jung ist, er hat nicht nur Singen im Kopf, er hat auch was anderes im Kopf. Also ich finde es besser, weil auf dem Chorlager, da macht er mehr mit uns, und da macht es auch mehr Spaß. Ist schon besser, dass er jünger ist. Er kann sich besser in uns hinein versetzen. Weil er einem das auch richtig beibringt und man kann auch dazwischen mal richtig lachen, also er ist ein Mensch mit Humor."

Der 32-jährige Frank-Steffen Elster hat ein schweres Erbe angetreten. Seine Vorgänger waren einst berühmte Komponisten wie Samuel Scheidt, Friedemann Bach und Carl Loewe. Angst vor dem musikalischen Erbe aber hat der studierte Dirigent nicht.

Frank-Steffen Elster: "Tradition darf nicht nur den Blick nach hinten bedeuten. Für mich ist es eher so, dass ich nach vorne schaue, mit dem guten Wissen, dass hier eine so unwahrscheinliche Fülle an Geschichte stattfindet, die man für sich nutzen kann."

Mit verschiedenen musikalischen Stilen will Frank-Steffen Elster seine Jungs begeistern. Moderne skandinavische Komponisten stehen auf dem Lehrplan, wie auch Werke von Bach und Händel oder so anstrengende Sprechstücke wie das des tschechischen Komponisten Petr Eben. Fördern und fordern ist das Motto des Chorleiters.

Frank-Steffen Elster: "Dieses Stück ist sehr anspruchsvoll für die Jungs, es ist eine Herausforderung, weil ein paar Dissonanzen dabei sind, die sind sie nicht so gewohnt. Es sind Wechsel zwischen Sprechstellen mit spannenden Rhythmen und anschließenden Gesangsstellen. Die aufgeteilten Stimmgruppen sind schon eine Herausforderung."

Trotz des großen Altersunterschieds kommen die Sängerknaben gut miteinander aus, obwohl oder gerade weil keine Mädchen dabei sind, meint der 16-jährige Maximilian.

Maximilian Geipel: "Jungs verstehen sich untereinander besser, man kann das besser klären, wenn man ein Problem hat miteinander und es wird nicht soviel gezickt."

Sechs Stunden Freizeit investieren sie jede Woche in die Chorproben. Dazu kommen Stimmbildung und der theoretische Unterricht. Beides ist fest im Lehrplan verankert, denn fast alle Chorknaben besuchen das Latina-Gymnasium. Sie absolvieren dort den musikalischen Zweig. Manchmal geben die Älteren den Jüngeren aber auch Nachhilfe in Mathe. Im Chor zu singen, bilde nicht nur Stimme und Geist, sagt der 17-jährige Sebastian.

Sebastian Obst: "Wenn man dann auch auf der Bühne steht mit Lampenfieber umzugehen hat, dann formt einen das schon, macht einen auch selbstbewusster."
Auch wenn nicht immer alles perfekt klinge, die Sängerknaben des Stadtsingechors haben viel stimmliches Potenzial, sagt Frank-Steffen Elster. Und das will der junge Chorleiter noch viele Jahre lang nutzen und ausbauen.