Säen und ernten
Welche Rolle spielt der Übergang vom menschlichen Leben als Jäger und Sammler zum Ackerbauerndasein für unsere Gesellschaft? Diese und andere Fragen versucht der Brite Peter Thompson in seinem Buch "Der Keim unserer Zivilisation" zu beantworten.
Vor 12.000 Jahren leitete der Mensch den Übergang von einem Leben in freier Wildnis zum Dasein des Ackerbauern ein. Damit ließen sich die steinzeitlichen Kulturen auf einen janusköpfigen Tausch ein, wie Peter Thompson in seinem zu Recht hoch gelobten neuen Buch "Der Keim unserer Zivilisation - Vom ersten Ackerbau bis zur Gentechnik" herausarbeitet: Die ungewisse Existenz von der Hand in den Mund wich der Vorhersagbarkeit der bäuerlichen Landwirtschaft. Doch auch die Freiheit und der zeitweise Überfluss des Jäger- und Sammlerlebens verschwanden. Nach und nach beugte sich der Mensch in die gleichförmige, tägliche Mühsal des Säens und Erntens.
Dass im Prozess der Domestizierung auch Pflanzen den Menschen prägten, gehört zu den Kernthesen des originellen Buches. Denn jedes Getreide stellt besondere Ansprüche. Maisbauern beispielsweise können miteinander kooperieren, müssen es aber nicht - selbst ein kleines Maisfeld wirft genügend Erträge ab, um eine Familie zu ernähren. Weizen hingegen ist eine überaus gesellige Kulturpflanze - wer seine Körner ernten möchte, muss das Land großflächig bewirtschaften.
Das hat tiefgreifende soziale Folgen: Wer Weizen angebaut, wird arbeitsteilige Formen der Kooperation entwickeln. Auf diese Weise entstehen Hierarchien und Regierungen. Darüber hinaus kann Weizenmehl mannigfaltiger verarbeitet werden als Maismehl und fördert handwerkliche Spezialisierung. Gesellschaften, die Brot, Gebäck, Torten, Pasteten und Nudeln produzieren, differenzieren sich zwangsläufig sozial aus. Während die indigenen Kulturen etwa Nordamerikas über Jahrtausende eher lockere Sozialverbände beibehielten, entwickelten sich im gesamten Nahen Osten fast zur gleichen Zeit urbane Zivilisationen - der Weizen hat’s gemacht.
Im Mittelteil seines Buches feiert der Autor die ausgetüftelten Lebensstrategien von Pflanzen und ihren Samen. Aus der schier überbordenden Fülle seines Wissens schöpfend und so anschaulich wie der Biologielehrer, den man sich in der Schule immer gewünscht hat, erzählt Peter Thomson von hauchfeinen Orchideensamen und schwergewichtigen Kokosnüssen, berichtet von Blüten, die Insekten verführen oder erpressen, und untersucht die Eigenheiten von Einkorn, Walch-Gräsern und Emmer, deren Kreuzung zum Brotweizen führte.
Der Schlussteil des Buches stellt aktuelle politische Themen der modernen Landwirtschaft ins Zentrum. Peter Thomson wägt - etwas angestrengt um Diplomatie bemüht, wo klare Standpunkte nichts geschadet hätten - Vor- und Nachteile der "Grünen Revolution" ab, thematisiert die Industrialisierung des Ackerbaus, den dramatischen Schwund an Nutzpflanzensorten, die internationale Rechtsprechung zum Umgang mit pflanzengenetischen Ressourcen sowie Sinn und Schwierigkeiten von Saatgutbanken. Die leise Anämie der politischen Erörterungen wirft jedoch nur einen kleinen Schatten auf ein Werk, das ansonsten mit Frische und Originalität glänzt und nicht umsonst schon jetzt in den USA als Wissenschaftssachbuch des Jahres 2012 gefeiert wird.
Besprochen von Susanne Billig
Peter Thompson: Der Keim unserer Zivilisation - Vom ersten Ackerbau bis zur Gentechnik
aus dem Englischen von Manfred Roth, gebunden, 312 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, 24,90 Euro
Dass im Prozess der Domestizierung auch Pflanzen den Menschen prägten, gehört zu den Kernthesen des originellen Buches. Denn jedes Getreide stellt besondere Ansprüche. Maisbauern beispielsweise können miteinander kooperieren, müssen es aber nicht - selbst ein kleines Maisfeld wirft genügend Erträge ab, um eine Familie zu ernähren. Weizen hingegen ist eine überaus gesellige Kulturpflanze - wer seine Körner ernten möchte, muss das Land großflächig bewirtschaften.
Das hat tiefgreifende soziale Folgen: Wer Weizen angebaut, wird arbeitsteilige Formen der Kooperation entwickeln. Auf diese Weise entstehen Hierarchien und Regierungen. Darüber hinaus kann Weizenmehl mannigfaltiger verarbeitet werden als Maismehl und fördert handwerkliche Spezialisierung. Gesellschaften, die Brot, Gebäck, Torten, Pasteten und Nudeln produzieren, differenzieren sich zwangsläufig sozial aus. Während die indigenen Kulturen etwa Nordamerikas über Jahrtausende eher lockere Sozialverbände beibehielten, entwickelten sich im gesamten Nahen Osten fast zur gleichen Zeit urbane Zivilisationen - der Weizen hat’s gemacht.
Im Mittelteil seines Buches feiert der Autor die ausgetüftelten Lebensstrategien von Pflanzen und ihren Samen. Aus der schier überbordenden Fülle seines Wissens schöpfend und so anschaulich wie der Biologielehrer, den man sich in der Schule immer gewünscht hat, erzählt Peter Thomson von hauchfeinen Orchideensamen und schwergewichtigen Kokosnüssen, berichtet von Blüten, die Insekten verführen oder erpressen, und untersucht die Eigenheiten von Einkorn, Walch-Gräsern und Emmer, deren Kreuzung zum Brotweizen führte.
Der Schlussteil des Buches stellt aktuelle politische Themen der modernen Landwirtschaft ins Zentrum. Peter Thomson wägt - etwas angestrengt um Diplomatie bemüht, wo klare Standpunkte nichts geschadet hätten - Vor- und Nachteile der "Grünen Revolution" ab, thematisiert die Industrialisierung des Ackerbaus, den dramatischen Schwund an Nutzpflanzensorten, die internationale Rechtsprechung zum Umgang mit pflanzengenetischen Ressourcen sowie Sinn und Schwierigkeiten von Saatgutbanken. Die leise Anämie der politischen Erörterungen wirft jedoch nur einen kleinen Schatten auf ein Werk, das ansonsten mit Frische und Originalität glänzt und nicht umsonst schon jetzt in den USA als Wissenschaftssachbuch des Jahres 2012 gefeiert wird.
Besprochen von Susanne Billig
Peter Thompson: Der Keim unserer Zivilisation - Vom ersten Ackerbau bis zur Gentechnik
aus dem Englischen von Manfred Roth, gebunden, 312 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, 24,90 Euro