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Makerspaces und Repair Cafés
"Das sind postindustrielle Akteure"

Do-it-yourself ist kein neuer Trend. Doch immer stärker ist eine besondere Ausprägung dieses Trends: die gemeinschaftliche Entwicklung von etwa Alltagstechnologien, die das Leben einfacher und besser machen sollen - ohne dabei finanzielle Interessen zu verfolgen. Für die Soziologin Christa Müller ist das nicht nur pragmatisch, sondern auch politisches Engagement.

Christa Müller im Corso-Gespräch mit Tanja Runow | 18.11.2016
    Ein Mann repariert ein altes Radio bei einem Repair Café Treffen. Repair Cafés sind ehrenamtliche Treffen, bei denen die Teilnehmer alleine oder gemeinsam mit anderen ihre kaputten Dinge reparieren.
    Ein Mann repariert ein altes Radio bei einem Repair Café Treffen. (imago / JOKER)
    Tanja Runow: Sie heissen Fab-Labs, Makerspaces oder Repair Cafés - und sind allesamt Teil eines Phänomens, über das wir bei Corso schon häufiger berichtet haben. Und das sich schon als veritable "Bewegung" bezeichnen lässt. Oft wird sie mit dem Label "Do it yourself" überschrieben, denn es geht ums Selbermachen. Aber meint eben nicht nur das Marmeladekochen oder Handwerkerarbeiten im Hobbykeller, sondern, dass Menschen sich zusammentun, um Bauanleitungen für mobile Solarkraftwerke zu entwickeln oder komplexe Landwirtschaftsmaschinen, die dann umsonst und für alle ins Netz gestellt werden. Und das sind nur zwei Beispiele von sehr vielen - aus allen möglichen Gesellschaftsbereichen - die ein neues Buch im Transcript Verlag zusammengetragen hat. "Die Welt reparieren" heißt es und die Soziologin Christa Müller hat es mit herausgegeben. Guten Tag.
    Christa Müller: Guten Tag.
    Runow: Frau Müller, auf dem Cover Ihres Buches, da ist so eine technische Bauanleitung zu sehen, darunter lese ich "Die Welt reparieren". Ich war total begeistert, endlich mal jemand, der weiß, wie es geht. Wo fangen wir denn an?
    Müller: Ja, wir haben die Aktivitäten einer neuen, jungen - Sie haben es gesagt - "Do it yourself"-Bewegung erforscht, die bislang unbekannte Wege des sozialökologischen Aktivismus beschreiten, und darüber eben auch neue, politische Formen kreieren. Politik zeigt sich hier im Experimentellen - produzieren, eingreifen, reparieren, verändern, gestalten, fabrizieren.
    Runow: Ja. Jetzt haben Sie gesagt, bislang unbekannte Wege, ein Redaktionskollege von mir fühlte sich gleich an diese alten Hippie-Handbücher erinnert, die es früher mal gab - wie baue ich ein Haus, wie baue ich mein Gemüse selber an. Wie viel von diesem alten Selbstversorger-Spirit steckt denn in dieser neuen Generation der Selbermacher?
    Müller: Das Neue ist tatsächlich, dass Sie nicht aussteigen und sich quasi mit einem Rest begnügen, sondern, dass Sie mitten in unseren Großstädten diese Laboratorien aufbauen, dass experimentiert wird mitten in den Großstädten. Dass keine Gegenposition aufgebaut wird zu der des Konsumenten, sondern, dass man versucht, diese Position, diese Akteursposition des Konsumenten, zu erweitern durch produzierendes Handeln. Das heißt, wir haben es hier mit einer Generation zu tun, die auch nNicht zuletzt über das Internet gelernt hat, gestaltend einzugreifen.
    "Postindustrielle Akteure"
    Runow: Und da geht es ganz stark auch um das 'gemeinsame Schaffen', wenn ich das richtig verstanden habe.
    Müller: Es sind keine individuellen Angänge, sondern es sind neue, kollektive Angänge. Man zieht sich nicht zurück, sondern man geht in den öffentlichen Raum, tut sich mit anderen zusammen, findet ein Thema und bearbeitet das.
    Runow: Sie beschäftigen sich ja schon ziemlich lange mit diesem Thema, leiten auch eine Forschungsgesellschaft dazu. Gibt es Initiativen, die Sie besonders beeindruckt haben oder war das alles altbekannt für Sie?
    Müller: Besonders beindruckt hat mich eigentlich die Vielfalt. Also wir sprechen so von der 'New School' des Selbermachens. Das sind also tatsächlich Leute, die nach ihren eigenen Vorstellungen soziale Wirklichkeiten gestalten, Orte und auch Werkzeuge und Produktionsmittel. Das heißt, das sind eigentlich postindustrielle Akteure. Sie vollziehen die Trennungsmuster der Industriemoderne nicht mehr, und das eben in ganz unterschiedlichen Bereichen.
    Runow: Ja, das müssen wir ja ein bisschen praktischer machen glaube ich jetzt.
    Müller: Ja.
    Runow: In welchen Bereichen sind die denn zum Beispiel tätig?
    Müller: Zum Beispiel schaffen sie Korridore zwischen Stadt und Land. Also vollziehen die Trennung zwischen Stadt und Land nicht mehr nach.
    Runow: Indem sie was tun?
    Müller: Indem Sie zum Beispiel in urbanen Gärten, in solidarischen Landwirtschaften, in vegan-vegetarischen mobilen Küchen im öffentlichen Raum anbauen, kochen und Räume schaffen, die nicht so leicht lesbar sind, die sind sowas wie queer, die fordern eigentlich alle, die daran vorbeikommen, zum neu denken und neu handeln auf und eben auch zum mitmachen.
    Neue Form von Aktivismus
    Runow: Okay. Jetzt nehmen wir mal das Beispiel der urbanen Gärten. Das ist aber doch letztlich eine Ergänzung, zur sonstigen Lebensmittelversorgung zum Beispiel. Das ist ein Hobby, oder?
    Müller: Ja, das kommt drauf an. Das ist auch politischer Aktivismus. Oder nehmen Sie zum Beispiel das Bio-Lab, wo ethisch und ökologisch akzeptable Materialien alternativ zu Leder hergestellt werden. Zum Beispiel aus grünem Tee und Orangenschalen, die mit Bakterien geimpft werden. Wir haben überall solche kleinen Laboratorien, die im Großen sozusagen keine Alternative jetzt zum industriellen Produzieren darstellen, die aber auf ganz konkreten Akteursebenen zeigen, dass es auch anders gehen kann. Und damit wird die große Industrie herausgefordert.
    Oder: Repariert wird eben nicht nur ein Fahrradschlauch, sondern auch die Stadtplanung. Man schafft, dadurch, dass man diese Orte wie einen urbanen Garten hat, schafft man konkret Alternativen zur Nutzung des öffentlichen Raums, der da an der Stelle nicht zugebaut wird, der da an der Stelle nicht mit einem kommerziellen Einkaufszentrum bepflastert wird, sondern wo was ganz anderes stattfindet, was öffentlich sichtbar ist. Und was viele städtische Bewohner und Bewohnerinnen so fasziniert, dass sie hinterher vielleicht auch eine Unterschrift leisten dafür, dass dieser Ort erhalten bleibt und dass diese Fläche eben nicht vermarktet wird.
    Runow: Also es geht auch um Selbstermächtigung, um Möglichkeiten des Eingreifens, die anders daherkommen als klassischer, politischer Aktivismus.
    Müller: Ja. Es ist eine neue Form von Aktivismus, die ganz stark auf das Produzieren von Räumen oder von Produkten oder auf das Reparieren setzt. Politik zeigt sich hier tatsächlich in den praktischen Tätigkeiten und es entsteht immer was neues, was dann auch als Beispiel dafür, dass man es auch anders machen kann, gezeigt wird. Also, zum Beispiel wird vorhandenes umgenutzt, es werden Alternativen zu einer industriellen Produktion geschaffen, die eben auch kein Morgen kennt und sich im Kapitalismus auch immer wieder neu von der gegenwärtigen Produktlinie abstoßen muss. Und die neuen Akteure lenken eigentlich den Blick auf das vorhandene.
    Qualität der "Machergeneration"
    Runow: Also es ist eine kritische Praxis? Und, es ist natürlich auch ein gutes Gefühl, eine mobile Solaranlage zum Beispiel, zu bauen. Weil die Firmen machen da ein riesen Buhei drum, entwickeln da Jahrzehnte dran und dann kommt so ein Kollektiv und schafft es, sowas auf die Beine zu stellen. Das ist doch schon erstaunlich oder?
    Müller: Genau. Da sitzt jemand an der Spree in Berlin und es gibt ein mobiles Kino, das wird mit einem Generator betrieben, das ist sehr laut und dann denkt der sich - wieso haben die keinen Solargenerator - und lädt Leute ein, in seine offene Werkstatt zu kommen und das gemeinsam zu entwickeln. Und das ist eben genau diese Qualität, die diese Machergeneration hat. Dass sie nicht lange lamentieren, das sie nicht in Konjunktiven denken, sondern, dass sie auf den Punkt bringen, was sie gerne hätten, wie sie es hätten, was gut für die Welt ist und das dann auch umsetzen und dann auch ein Produkt entwickeln.
    "Selbermachen drückt sich heute technischer aus"
    Runow: Wollen Sie diese Leute mit dem Buch auch so ein bisschen vernetzen? Ich habe gesehen, dass Sie es nicht nur verkaufen, sondern eben frei verfügbar auch im Internet anbieten, als PDF zum runterladen.
    Müller: Ja, wir wollten gemeinsam mit dem Verlag, also die Anstiftung, gemeinsam mit dem transcript Verlag wollten wir...
    Runow: Die Anstiftung ist eine Stiftung, die Sie leiten in München, wo es um nachhaltige Lebensweisen geht.
    Müller: Genau, um nachhaltige Lebensstile. Es geht eben darum, welche Bedeutung das 'Do it yourself', das Selbermachen, die Eigenarbeit für eine zukunftsfähige Gesellschaft haben kann. Das ist unsere Forschungsarbeit, damit beschäftigen wir uns seit vielen Jahren. Und wir haben hier eben jetzt eben ganz neue Akteure entdeckt und gesehen, dass sich die Formen des Selbermachens sehr viel stärker auch technisch heute ausdrücken. Wir haben es hier mit einer technophilen Generation zu tun, das ist auch ein weiterer Unterschied zu der Hippie-Generation: Die wenden sich der Technik zu, die lehnen die Technik nicht ab als entfremdeter Raum, sondern sie sagen, wir können die Technik ja so gestalten und so nutzen und so umbauen, wie sie für uns sinnvoll ist und wie sie für eine Welt sinnvoll ist.
    Also es werden immer wieder Weltbezüge hergestellt. Man denkt die sogenannte 'Dritte Welt' mit, die Menschen dort werden auf Augenhöhe gesehen, sie werden nicht als Ressourcenlieferanten gesehen. Und das sind alles natürlich - wenn man das in einem ganzen Feld sieht - zukunftsfähige Angänge, die dazu führen, dass wir auf dieser Welt im Westen weniger konsumieren sollten und vor allen Dingen eben nachhaltige Produktionsformen finden, die auch dezentral sind und die auch gute Lösungen sein können für Menschen im globalen Süden.
    Kapitalistische Vermarktungsdynamik
    Runow: Ja. Das klingt natürlich alles total sinnvoll, wir sollten weniger produzieren. Jetzt hat sich aber rund um das Selbermachen auch ein riesiger Markt entwickelt, also für die Elektrofrickler im Portal wie SparkFun, wo ich mir die tollsten Elektronikteile bestellen kann und die Handarbeitsfraktion versorgt sich dann im edlen Stoffladen mit ergonomischen Stricknadeln oder abonniert eins dieser Do-it-yourself-Magazine. Da findet ja auch Konsum statt, bezieht er sich nur auf andere Produkte oder?
    Müller: Nein, das bezieht sich nicht auf andere Produkte, sondern das sind dann, man kann sagen, 'Kannibalisierungen' durch den Markt, die natürlich sehen, hier entstehen neue Räume, die sind hip und schauen wir mal, wie wir sie vermarkten können. Das ist eben die Dynamik im Kapitalismus. Dass alles, was noch nicht in eine Ware verwandelt wurde, in eine solche verwandelt werden soll. Es gibt in Berlin sogar mittlerweile einen Gemeinschaftsgarten, der von einem großen Energiekonzern - Vattenfall nämlich - betrieben wird, mit Bannerwerbung und so weiter. Also das sind eben diese Formen der kulturindustriellen Vereinnahmung von hippen Orten. Und es kommt tatsächlich darauf an, wie stark sich diese Orte davon lösen können, befreien können und weiter in nichtkommerziellen Zusammenhängen weiter die Welt reparieren können.
    Runow: Und Spaß machen soll es auch.
    Müller: Unbedingt.
    Runow: Die Soziologin Christa Müller war das. Mitherausgeberin des Buches "Die Welt reparieren – Open Source und Selber Machen als postkapitalistische Praxis", es ist im transcript Verlag erschienen. Und wie eben schon erwähnt, man kann es käuflich als Buch erwerben oder auch kostenfrei herunterladen, auf der Seite des transcript-Verlags. Frau Müller, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Müller: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das Buch "Die Welt reparieren - Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis" ist im transcript Verlag erschienen.
    Man kann es käuflich als Buch erwerben, aber auch kostenfrei auf der Webseite des transcript-Verlags herunterladen.