Sachbuch

So einer und die schöne Musik?

Von Stefan Amzoll · 28.03.2014
Linz, Wien, München - und immer wieder Bayreuth: Ein neues Sachbuch von Autor Sebastian Werr geht der Frage nach, wie die Musik Hitlers Selbstinszenierung und die Musikpolitik der Nationalsozialisten geprägt hat.
Hitler und die Musik – welch Unverhältnis. Der war doch bloß Anstreicher, verhinderter Schreiberling, dilettierender Architekt und obendrein Menschenverächter. Er hasste die Juden, die Slawen, die Kommunisten und wollte sie ausrotten, versklaven, an den Galgen bringen. So einer und die Musik, die schöne Musik?
Es ist heute üblich, noch den größten Verbrechern menschliche Seiten abzugewinnen, weil: die lassen sich am besten verkaufen. Warum Hitler nicht oder nur ungelenk küssen konnte, welche Lieblingsblume man für ihn erfinden musste, warum er mit Eva Braun keinen oder kaum Geschlechtsverkehr hatte, ob er onaniert hat oder nicht, derlei läuft in den einschlägigen Biografien und Filmen mit.
Das Buch "Heroische Weltsicht - Hitler und die Musik" von Sebastian Werr geht dem zwar aus dem Wege, dafür hat es andere, noch gewichtigere Schwächen. Der Autor beschreibt Stationen und gliedert damit zugleich: der, der mal die Welt regieren wollte, in seinen musikalischen Beziehungen zu Linz, Wien, München, Bayreuth, Nürnberg, Berlin etc. Ein weites Feld, dem der Autor noch weitere anklebt. Der Titel steht unapostrophiert auf dem Buchdeckel, ohne Abstand. Das irritiert. Hatte Hitler eine heroische Weltsicht? Und wenn, wie verkörperte er sie? Klare, der Hitlerschen Verbrechensgeschichte angemessene Antworten darauf darf man suchen.
"Mein Kampf" – bestens studiert, ausgiebig zitiert
Scheu indes, noch die schäbigsten Quellen anzufassen, hat der Autor nicht, darf er nicht haben. Hitlers "Mein Kampf", bestens studiert, zitiert er ausgiebig und sucht darüber die ach so innige Beziehung des "Führers" zu Wagner zu erklären, dessen Musik dieser recht inne geworden wäre bei er Aufführung von "Tristan und Isolde" 1906 an der Wiener Hofoper unter Gustav Mahler, einem Juden. Hitlers Wagner-Rezeption bzw. Wagnervergötzung, eingeschlossen des "Meisters" Antisemitismus, ziehen sich durch.
Eminent problematisch ist die Quellenlage. Klar ist dem Autor, dass weite Teile des Buches lediglich Gerüchte aufgreifen oder auf abgeschriebenen, erfundenen Texten basieren. Das heißt, er musste zur Memoirenliteratur und den Anekdötchen derer greifen, die Hitler unverhohlen verehrt haben, von Jugendfreunden über Militärs bis zu Musikern und Dirigenten - Göring, Bormann, Franck, Kaltenbrunner und Goebbels eingeschlossen: ein fragwürdiger Fundus. Werr bedauert geradezu das Fehlen sämtlicher eigener Dokumente, die Hitler vor seinem Selbstmord vernichten ließ… welch Glück für die Menschheit, nicht auch noch diesen Schmutz gewahren zu müssen. Dafür wird der Autor in jener Sammlung fündig, die jedes Wort, jedes, das Hitler sich entrang, dokumentiert. Eine noch fragwürdigere Quelle.
Pointierte Darstellung fehl am Platze
In solchen verbalen Gewächsen und Sumpfblüten, einerlei ob sie von Musik oder Mord oder Raubkrieg handeln, herumzutappen, dürfte für jeden humanen Autor eine Zumutung sein. Der unbeirrbare Forscher freilich hat damit kein Problem – das daraus erwachsene Buch indes sehr wohl. Werr überschlägt sich geradezu in der Huberei von Ereignissen. Vielfach ufert der Stoff aus. Zitat reiht sich an Zitat. Eine Riesenmenge Daten und Fakten wird bewegt - quälend. Eine pointierte Form der Darstellung, welche die Dinge klar und einsichtig verbindet und geschichtliche Schlüsse zieht, findet sich nicht.
Die Hitlersche Musik, deren Zeugen, Adepten und Deuter marschieren durch das Buch wie die Meistersinger durch die Oper. Das geht von der ersten bis zur letzten Zeile. Ja, es schmerzt bisweilen, Seite um Seite durchzusehen, noch mehr, weil darin so viel Schmieriges, entsetzlich Banales dauernd hin – und her gewendet wird, so sehr, dass es einem den Appetit verdirbt: wie viel Musikwissen hätte der "Führer" doch versammelt und wie viel berechtigte Kritik hätte er geäußert. "Mein Kampf" studierte der Autor auch darauf hin. Er differenziert, treibt ins Uferlose dort, wo dies unangebracht ist und in Beschönigung umzuschlagen, ja in Weichzeichnung der weltgeschichtlichen Untat zu münden droht. Dergleichen ist nicht nur ein Problem des Sebastian Werr, sondern von immer mehr Autoren, deren Akribie ihre eigene conditio humana aushöhlt.

Sebastian Werr: "Heroische Weltsicht – Hitler und die Musik"
Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2014
300 Seiten, 29,90 Euro

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