Sachbuch "Männerphantasien"

Neuauflage von Klaus Theweleits Erfolgswerk

05:42 Minuten
Filmstill: Blick auf die Berge. Im Vordergrund links Sepp Rist, rechts Leni Riefenstahl auf einer Felsspitze
Ein einsamer Meteorologe wird von seiner Liebsten vor dem Kältetod gerettet: Der Film "Stürme über dem Mont Blanc" prägte das Männerbild der 1930er. © imago / United Archives
Von Peter Kaiser · 16.10.2020
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Klaus Theweleits zweibändiges Werk "Männerphantasien" hat vor 43 Jahren eine Diskussion über Faschismus, Gewalt- und Männerforschung initiiert. In Zeiten von Machthabern wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro scheint es wieder erstaunlich aktuell.
Als 1977 Klaus Theweleits zweibändiges Werk "Männerphantasien" erschien, stieß die auf insgesamt 1174 Seiten formulierte Zentralthese, dass faschistische Gewalt meist aufgrund eines gestörten männlichen Körperbewusstseins entsteht, auf eine hohe Resonanz.
"Es gibt Körper, die sind so negativ behandelt, dass sie die Welt nicht anders erleben können als über Bedrohung. Alles Mögliche bedroht sie und dringt in sie ein, und dagegen werden Abwehrstrategien errichtet, und diese sind heute sehr viel mächtiger geworden dadurch, dass sie geteilt werden können."

Die Angst vor dem Weiblichen

Wörter wie "Fragmentkörper" oder "nicht zu Ende geborene Individuen" entfachten eine breite Diskussion über Faschismus, Gewalt- und Männerforschung. Mit dem "Nicht-zu-Ende-Geborenen" meint der in Freiburg lebende Kulturtheoretiker, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Theweleit jenes Individuum, das in einem soldatischen Korsett steckend von der psychotischen Angst vor Auflösung, Ich-Zerfall, vor allem Fließenden, Weiblichen, Weichen beherrscht wird. Heute, wie in den 1930er-Jahren.
Schriftsteller Klaus Theweleit in seinem Arbeitszimmer.
Mit "Männerphantasien" sorgte Klaus Theweleit Ende der 1970er-Jahre für Furore.© picture alliance / dpa / Patrick Seeger
"Die Zentralvorwürfe, die auf zentralen Ängsten basieren, haben schon damit zu tun, dass dem Jüdischen eine auflösende Kraft zugeschrieben wird, körperauflösend. Sie lösen das Geld auf in Zinspolitiken, überall spielt noch der jüdische Banker im Hintergrund eine fantastische Rolle, sexuelle Übergriffe, auch in der MeToo-Debatte gibt es solche Töne im Hintergrund. Es ist nicht so allumfassend wie im Deutschland der 30er-, 40er-Jahre, wo gesagt wurde, an all dem, was übel ist, sind die Juden schuld. Diese Sorte von Totalität hat das heute nicht. Aber es gibt eine Menge von Leuten, wo so Teilaspekte davon auftauchen können."
Klaus Theweleit meint, dass im 1930er-Antisemitismus die Angst vor Körperauflösung, "die bei allen Leuten vorliegt, die mehr von Ängsten angefüllt sind als von anderen Gefühlen, die zentrale Angst" gewesen sei. "Und die wurde im alten System fast ausnahmslos den Juden zugeschrieben, auch den Schwarzen, auch anderen Abweichenden. Gekoppelt in den 20er-, 30er-Jahren am stärksten mit dem Bolschewismus. Also der ganze Antisemitismus in Deutschland ist nicht zu verstehen ohne seine Kopplung mit dem Anti-Bolschewismus. Man schlug im Kommunisten den Juden tot und umgekehrt."
Und heute? Beim Aufmarsch "Wir für Deutschland", am 30. Juni 2016 in Berlin: "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen." – "Abschaum, such dir Arbeit, such dir Arbeit. Linker Abschaum!"

Penibler Körperkult

In der Tiefe geht es um das symbiotische Kind-Mutter-Verhältnis, in dem der spätere Mann ständig in und bei der Mutter neu entsteht, bis er endgültig oder fertig geboren ist. Passiert das nicht, unterwirft sich der spätere Mann eher brutalen Reinlichkeitsdressuren, wie sie in allen Armeen der Welt vorkommen. Geboren ist dann der faschistische Mann, der zum Töten konditioniert ist.
In "Männerphantasien" wird Ernst Jünger dazu zitiert: "Wenn das Blut durch Hirn und Adern wirbelte wie vor ersehnter Liebesnacht und noch viel heißer und toller. Die Feuertaufe! Da war die Luft so von überströmender Männlichkeit geladen, dass jeder Atemzugberauschte, dass man hätte weinen mögen, ohne zu wissen warum. O Männerherzen, die das empfinden können!"

Auch 43 Jahre nach Erstveröffentlichung aktuell

Wenn man die Worte des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hört, der eine Abgeordnete im Parlament mit den Worten zurechtwies: "Ich würde dich nie vergewaltigen, weil du es nicht wert bist". Oder Donald Trump, der die gefallenen US-Soldaten des Ersten Weltkrieges als "Trottel" und "Verlierer" bezeichnete. Oder der AfD-Newcomer Andreas Gehlmann vorschlägt, Homosexuelle in Deutschland zu inhaftieren. Dann versteht man, dass hier wie dort ein Männertypus herrscht, wieder herrscht, der unter anderem auch Frauen herabsetzt, um sich positiv zu erhöhen, der tötet, um sich nicht aufzulösen. Doch was kann man tun?
"Ich würde ganz einfach ziviles Verhalten vorschlagen. Leute, die Angst haben, sind meistens isoliert. Sie haben nicht genügend Beziehungen. Sie haben nicht genügend freundschaftliche Beziehungen. Sie fühlen sich nicht getragen. Der Boden verschwindet unter den Füßen. So wird das ja auch formuliert von manchen Attentätern. Groß politisch bekämpfen kann man rechtes Denken meiner Meinung nach nicht."
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